Piraten kritisieren Umweltrats-Gutachten. Wachstum soll auf „generativen“ Ressourcen basieren.

Am 4.6.2012 hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen sein inzwischen alle vier (bis 2005 alle zwei) Jahre erscheinendes Umweltgutachten 2012 (http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2012_06_04_Umweltgutachten_HD.html) mit dem Titel

Verantwortung in einer begrenzten Welt

übergeben. Ein Kernsatz lautet: „In einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben“.

Diese Aussage nehmen die Piraten zum Anlass der Kritik:

„Als Aufmacher einer dringend notwendigen Debatte ist die Aussage von Herrn Faulstich und des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) durchaus angemessen, auch wenn sie inhaltlich natürlich wenig differenziert. Sie ist in vielen Bereichen sogar falsch, denn bei unserem Wissen und bei vielen anderen Dingen leben wir im menschlichen Maßstab eben in keiner „begrenzten Welt“.

Essentiell für diese Diskussion ist, dass wir hinreichend genau unterscheiden. Piraten haben den Begriff generativ“ für die sich nicht verbrauchenden Ressourcen eingeführt.

Mit diesem Begriff kann man trennscharf behaupten, dass unser Wachstum auf der Verwendung generativer Ressourcen basieren muss. Nur so ist auch für die nachfolgenden Generationen die Freiheit, die wir uns heute bei der Nutzung von Stoffen erlauben, möglich.

Aber auch die weiteren Ansätze des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) sind ebenso einseitig. Die Forderung nach einer Fettsteuer für die Verbraucher als Mittel der Bevormundung, um die Sache mit dem CO2-Ausstoß der Viehzucht anzugehen, beispielsweise.

Die darin verborgenen Fehler sind offensichtlich, denn das was eine Tier an Nahrung zu sich nimmt, insbesondere Rinder, auf die sich der SRU beruft, entstammt der Landwirtschaft und wurde in der Regel innerhalb eines Jahres ebenso der Atmosphäre entnommen. Wo ist das Problem? Ist ja viel besser als bei jeder Holzheizung oder dem Pelletimport der großen Energieversorger, um CO2-Zertifikate zu sparen und sich damit grün zu tarnen, besser als bei jedem Tropfen E10, das wir verfahren, weil einfach inzwischen der Preis an der Tankstelle entscheidet, was gezapft wird.

Das wirkliche Problem liegt genau auf der anderen Seite, denn die Futtermittel werden global gehandelt und somit findet eine Nährstoffverfrachtung statt. Millionen von Tonnen Soja-Eiweiß verlassen Südamerika in Richtung Europa, um hier in den Ställen der Massentierhalter Fleisch in unglaublichen Mengen zu unerträglichen Bedingungen zu mästen.

Diese Nährstoffe finden über die Ausscheidungen den Weg auf die Äcker und in die Böden sowie die Gewässer, um dort echten Schaden anzurichten. In Mengen, die die Regionen dort eben nicht verkraften können.

Und: Nährstoffe, gerade Pflanzennährstoffe wie das Phosphat, sind eine sehr begrenzte Ressource, an die ein SRU zuerst denken sollte. Doch die in vielen Ebenen diskutierte und populistisch angehauchte „Fleisch ist böse“-Diskussion ist eben echte Oberflächenpolitik ohne Tiefgang.

So müssen wir an den Nährstoffkreislauf rangehen und diesen wo immer möglich lokal schließen. Damit lösen sich dann plötzlich viele Probleme auf, denn die Antworten liegen bei dieser Herangehensweise fast auf dem Tisch.

Antworten, die die Wasserqualität ebenso berühren wie die Frage der Tierhaltung, der Fleischqualität, der Preisgestaltung und letztlich auch der konsumierten Menge. Aber eben auch die des Energieverbrauches, denn 10% des Weltenergieverbrauches gehen nur für die Düngemittelerzeugung in die Landwirtschaft, während wir in Deutschland noch immer mit teuerem Trinkwasser die Nährstoffe hochverdünnt in noch viel teuere Klärwerke mit viel Strombedarf für Pumpwerke pumpen, um dort letztendlich die wertvollen Nährstoffe entweder wieder in die Luft zu blasen wie bei den Stickstoffverbindungen oder zu Sondermüll degradiert letztendlich nicht mehr nutzbar deponieren. Alternativ schwemmen wir sie in die Gewässer und wundern uns über die Wasserqualität in der Ostsee.

Und wenn wir da sinnvoll ansetzen, dann zahlen die Bürger nicht zusätzlich, sondern der Wertstoff häusliches Abwasser reduziert die Kosten jedes Haushaltes.

Diese inzwischen unerträgliche, an der Oberfläche verharrende Politik des Schubladendenkens ist das Kernproblem, das wir lösen müssen.

Bernd Schreiner“

Es geht mir hier um die Gesamtaussage  von Herrn Schreiner und insbesondere um einige Begriffe und Passagen.
Versuchen wir also „hinreichend genau (zu) unterscheiden„:

Ist die Feststellung, dass wir (damit meine ich, sofern nicht anders vermerkt, immer die Menschheit als Ganzes) in einer begrenzten Welt leben, „inhaltlich natürlich wenig differenziert„? Ist unsere Welt begrenzt oder nicht – das ist eine Alternativfrage, die genau so gut zu differenzieren ist, wie die nach einer Schwangerschaft, denn hierbei gibt es nicht viel zu differenzieren. Der Lebensbereich der Menschheit ist (bis auf wenige zeitlich begrenzte  Ausnahmen, z.B. Bergleute, Flugpersonal oder -Passagiere) die Erdoberfläche mit ca. 510.000.000 km2. Das ist ein endlicher Wert und stellt eine Grenze dar. Die Erde ist nicht nur Grenze für die Besiedelung, sondern auch für Land- und Forstwirtschaft, Rohstoffgewinnung (selbst unter Berücksichtigung der Explorationstiefen), Solar- und Windkraftanlagen usw..
Aber die Piraten behaupten das Gegenteil: Unsere Welt sei nicht begrenzt. Als Begründung führen sie „unser Wissen und viele andere Dinge“ an. Hier handelt es sich um eine Verwechslung von Erkennbarkeit und Erkanntem (=Wissen): Wir können zwar alles erkennen (im Prinzip, irgendwann mal) aber wir wissen auf keinen Fall alles. Unser Wissen ist endlich, begrenzt – und das zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Diese Grenze kann zwar immer weiter verschoben werden, aber sie verschwindet nicht.
Bleibt der „menschliche Maßstab„. Hier sind zwei Fragen von Interesse:
1.   Was sind die Grundbedürfnisse von Menschen? Werden Menschen vom Wissen um Nahrung satt, wird ihnen von der Kenntnis der Herstellung von Kleidern, Bau und Beheizung bzw. Dämmung von Gebäuden warm? Offenbar nicht: Die Grundbedürfnisse müssen materiell – stofflich und energetisch – befriedigt werden. dazu sind Ressourcen erforderlich, die nicht so, wie potentiell unbeschränktes Wissen, unbegrenzt zur Verfügung stehen.
2.   Wenn wir den einzelnen Menschen zu Grunde legen, ist die Grenze zwar scheinbar nicht mehr da. Das Problem dabei ist aber, dass ein einzelner Mensch kaum überlebensfähig ist, denn wir sind Gattungswesen, die alles, was wir errungen haben, im sozialen Mit- (und Gegen-)einander erreicht haben – in jedem Fall in der Wechselwirkung mit anderen. Sofern wir nicht einen Teil der Menschhheit als Teil des „menschliche(n) Maßstab(es)“ willkürlich ausschließen (und damit einen unmenschlichen Maßstab verwenden) kann nur die Rede von der ganzen Menschhheit sein.
Das Global Footprint Network (GFN) berechnet jedes Jahr den „Earth Overshoot Day“, das ist der Tag im Jahr, an dem die Ressourcen, die die begrenzte Erde in einem Jahr zur Verfügung stellen kann, verbraucht sind. Im vorigen Jahr war das der 27.11.2011. Das heißt: „Wir“ verbrauchen bereits jetzt die Ressourcen von 1,5 Erden – und das, obwohl jährlich bereits mehr als 30 Mio. Menschen an Hunger sterben. Würden wir wirklich einen menschlichen Maßstab anlegen und allen Menschen auf der Erde die gleichen Rechte zugestehen, die wir in den Industriestaaten als selbstverständlich für uns in Anspruch nehmen, bräuchten wir nicht 1,5 Erden, sondern drei.
Nach dieser Betrachtung mag jeder  für sich entscheiden, ob es sich lohnt, weiter über die „viele(n) andere(n) Dinge“ nachzudenken.

Warum haben „Piraten … den Begriff „generativ“ für die sich nicht verbrauchenden Ressourcen eingeführt“ ?
Weil es darum geht, „das Wachstum“ zu retten: „Mit diesem Begriff kann man trennscharf behaupten, dass unser Wachstum auf der Verwendung generativer Ressourcen basieren muss. Nur so ist auch für die nachfolgenden Generationen die Freiheit, die wir uns heute bei der Nutzung von Stoffen erlauben, möglich.“
Die Freiheit, die wir uns erlauben, geht bereits jetzt auf Kosten vom Millionen Menschen (auf unserer begrenzten Erde) und nachfolgende Generationen sollen das fortführen? Und damit das möglich wird, verwenden sie einfach den Begriff „generativ“ anders, als üblich und trennen regenerative und generative Energien, um dann im Parteiprogramm (Anträge #BPT12 55 und #BPT12 108) Wind, Sonne und Wasser, aber auch Gezeiten und Geothermie zu differenzieren vom „begrenztem Umfang Biomasse“ (und anderen regenerativen Energien, die im Rahmen der Nachhaltigkeit genutzt werden sollen)?
Der Vorteil, der sich daraus ergibt, ist begrifflich zu unterscheiden zwischen den Energiequellen, die in unbegrenztem Umfang zur Verfügung stehen und denen, die zwar regenerativ (oder besser regenerierbar), aber nicht immer nachhaltig sind. Das hat Vorteile in der Polemik gegen „Biosprit“, Holzverbrennung in Kraftwerken usw., aber es löst keinesfalls das Problem „Wachstum“, denn hier ist wirklich zu differenzieren: Der Begriff wird im Allgemeinen als Wirtschaftswachstum gebraucht, das als BIP gemessen wird. Abgesehen davon, dass das BIP  Komponenten enthält, die keinen Beitrag zum Wohlstand des Volkes leisten (siehe unseren Flyer Lebensqualität statt „Wohlstand durch Wachstum“) ist das BIP-Wachstum der Industriestaaten weltweit nicht tragbar (siehe oben). Legt man den weltweiten „menschlichen Maßstab“ an, dann ist Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern zweifellos notwendig, hier jedoch höchstens in einigen Branchen bei insgesamt sinkendem BIP!
Zu den Energien, die auf der Erde praktisch unbegrenzt zur Verfügung stehen und demzufolge in der Terminologie der Piraten „generativ“ sind, ist weiterhin anzumerken, dass ihr Vorhandensein noch lange nicht bedeutet, dass sie für unsere Bedürfnisse nutzbar sind. Auch mit der Sonnenenergie ist es nicht so, wie in dem Märchen, in dem das kleine, nur mit einem Hemdchen bekleidete Mädchen mit diesem die herabfallenden Sterntaler aufsammeln und reich werden kann. Die Nutzbarmachung der (re)generativen Energien erfordert ebenfalls Ressourcen, deren Nutzung zum Teil bereits jetzt an ihre Grenzen stösst (siehe z. B. “Oben hui, unten pfui? – Rohstoffe für die ‘grüne’ Wirtschaft”).

Die Aussage: „was eine Tier an Nahrung zu sich nimmt, insbesondere Rinder, auf die sich der SRU beruft, entstammt der Landwirtschaft und wurde in der Regel innerhalb eines Jahres ebenso der Atmosphäre entnommen“ zeugt von – nennen wir mal – Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse. Diese Aussage ist nicht einmal richtig für die Klimabilanz, denn das Gras, das eine Kuh frisst, entspricht gebundenem CO2, aber ein Teil davon wird bei der Verdauung in Methan umgewandelt, das eine 21-fach höhere Klimawirksamkeit hat als CO2. Völlig unberücksichtigt bleibt dabei, dass für die Produktion eines Kilogramm Fleisch im Durchschnitt 20.000 l Wasser benötigt werden (1 Kilogramm Weizen: 50 l Wasser), d.h. dass die Herstellung von 5 kg Fleisch dem Jahres-Wasserbedarf von zwei Menschen entspricht.
Richtig ist, dass Futtermittel in Ländern der dritten Welt produziert und nach Europa (und USA, Kanada, …)  exportiert werden (wobei dei Piraten unterschlagen, dass dadurch in den Erzeugerländern die Ernährungsgrundlagen untergraben werden). Aber wenn dann daraus das Problem abgeleitet wird, dass die in Europa importierten Nährstoffe „über die Ausscheidungen den Weg auf die Äcker und in die Böden sowie die Gewässer( finden), um dort echten Schaden anzurichten„, dann wird damit die Realität verkehrt in die Behauptung: Nicht unser Fleischkonsum ist das Problem, sondern der globale Handel der Futtermittel.
Es ist schon eine gehörige Portion Ignoranz nötig, um diese Problematik als „populistisch angehauchte „Fleisch ist böse“-Diskussion“  und „echte Oberflächenpolitik ohne Tiefgang“ zu bezeichnen.

Zum Abschluss eine kurze Bemerkung zur Abwasserproblematik:
Die Einführung  der zentralen Kanalisation in den Städten war ein gewaltiger hygienischer Fortschritt – erkauft mit dem Transportmedium Wasser für die Fäkalien. Dazu ist allerdings keine Trinkwasserqualität erforderlich; Regenwasser reicht. Es ist aber leichter so zu tun, als wäre das gesamte System falsch und mit einem man könne es einfach neu machen, als es wirklich zu ändern. Auch Regenwasser für Toilettenspülung benötigt Speicher, Pumpwerke, Verrohrung – zusätzlich zur Trinkwasserleitung mit zusätzlichen Kosten. Für Körperpflege ist in Deutschland aus hygienischen Gründen Trinkwasserqualität vorgeschrieben – ob die Piraten das ändern wollen, bleibt unklar.
Die wertvollen Nährstoffe im Abwasser verbleiben zum großen Teil im Klärschlamm, der deponiert oder verbrannt wird. Das ist sicher kritikwürdig. Warum aber wird der nicht in nenenswertem Umfang auf die Felder ausgebracht? Weil (fast) kein Bauer das akzeptiert, denn seine Abnehmer verlangen entweder die Grarantie, dass die Felder klärschlammfrei sind oder sehr kostenintensive Bodenuntersuchungen. Der Hintergrund ist, dass der Klärschlamm, insbesondere aus großen städtischen Abwasserwerken, Schadstoffe enthalten kann. Und solange Menschen die Toilette als billigen Müllschlucker verwenden, wird sich daran kaum etwas ändern.
Es ist wohlfeil, so zu tun als könnte „der Wertstoff häusliches Abwasser … die Kosten jedes Haushaltes“ reduzieren („dann zahlen die Bürger nicht zusätzlich„), ohne klar zu machen, dass „die Bürger “ wenigstens zum Teil selbst die Ursachen sind.

Wolfgang Borchardt
16.6.2012