Markt und Staat – zwei Seiten einer Medaille

Über eine Woche nach dem UN-Gipfel Rio+20 wird allerorts Bilanz gezogen. Die enttäuschten Stimmen überwiegen deutlich, während sich insbesondere die Mainstream-Medien auf eine einzige Aussage von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon stürzten, in der er erklärte, dass der Gipfel erfolgreich gewesen sei.
Na Gott sei Dank; da können wir uns wieder beruhigt schlafen legen.

Bemerkenswert ist, dass Mitglieder der offiziellen deutschen Delegation den Gipfel tendenziell besser bewertet haben als die NGOs und teilweise sogar „positive Ansätze“ ausmachen konnten (z. B. Peter Altmaier, DBJR, Anita Tack, Umweltministerin der LINKEN in Brandenburg). Ist das Ausdruck der Marx´schen Erkenntnis, dass „das Sein das Bewusstsein bestimmt“?

Dem gegenüber wird in den armen Ländern klar erkannt, dass das Mäntelchen der „Grünen Ökonomie“ nur dazu dienen soll, die weltweite Wirtschaftsordnung wie bisher weiter zu führen – mit Ausgrenzung und Ausbeutung der Armen (Menschen und Länder), mit unserem Leben (der Bevölkerung in den wirtschaftlich „führenden“ Industriestaaten)  wie eine Made im Speck (Links siehe unten). Informationen darüber und über Alternativen zur dominierenden kapitalistischen Wirtschaftsweise muss man dagegen suchen. Ein Beispiel findet sich im Internet unter dem Titel

Während sich Staats- und Konzernchefs um grünes Kapitalwachstum kümmern, gedeihen überall auf der Welt Communitys, die auf gemeinschaftliche Ressourcennutzung setzen.

Die Bilanz von Rio+20 ist auch hier der Ausgangspunkt für ein Interview mit Brigitte Kratzwald, einer österreichischen Ko-Autorin des Buches
Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat„.
In diesem betrachten AutorInnen aus der ganzen Welt die Gemeingüter (engl. Commons) und ihre Nutzung und zeigen, dass sie auch im Kapitalismus überall anzutreffen sind, mehr noch, dass sie einen wichtigen Beitrag zu unserem Wohlstand leisten, egal ob es sich um öffentliche Parks, saubere Luft und Wasser, intakte Wälder oder freie Software und frei nutzubare Lizenzen (Creative Commons Lizenzen) handelt. Die AutorInnen finden, dass die Nutzer darüber entscheiden, ob ein Gut eine Ware oder ein Gemeingut ist und stellen Projekte und Ideen gemeinsamen Wirtschaftens vor.
dieStandard.at bringt das sehr lesenswerte Interview auf ihrer Webseite. Aus Sicht der Gemeinschaft verschwindet der Unterschied zwischen regelndem, ordnendem Staat und effektivem, aber selbstsüchtigem, alles zerstörendem Markt:

dieStandard.at: Das Bild vom Staat als regelnder Gegenmacht zu einem völlig unkontrollierten Markt wird in der Commons-Debatte grundsätzlich hinterfragt. Auch der Gegensatz von öffentlichen und privaten Gütern wird kritisch gesehen. Warum das?
Kratzwald: Aus der Commons-Perspektive muss die Frage nach dem Öffentlichen ja ganz neu gestellt werden. Was ist denn eigentlich das Öffentliche? Im Moment gehört das, was öffentlich ist, dem Staat. Wir wissen aber, dass der Staat im Moment wie ein Unternehmen geführt wird. Und gerade im Zuge dieser ganzen Sparprogramme werden Staaten dazu gezwungen, die öffentlichen Güter zu verkaufen. Die Kritik der Commons ist, dass die Staaten eigentlich die Verwalter dieser Güter sein sollten, diese Güter aber den Menschen gehören.

Wenn Markt und Staat (zugespitzt) zwei Seiten einer Medaille sind, dann lautet die spannende Frage : „Was bedeutet das für linke Politik?“ …
Dr. Manfred Sohn, inzwischen Landesvorsitzender der LINKEN in Niedersachsen, schrieb vor dem Göttinger Parteitag (23.5.12) zur damaligen Situation:

Erstens: Parteien überschätzen sich regelmäßig selbst. Fraktionen sind in dieser Hinsicht übrigens meist die Potenzierung dieser Selbstüberschätzung. In der Regel sind sie nur in seltenen Situation wirklich geschichtsmächtig. Vor allem sind sie ein Reflex auf gesellschaftliche Entwicklungen und Kräfteverhältnisse, denen sie einen organisatorischen und – in bürgerlich verfassten Gesellschaften – parlamentarischen Ausdruck geben. …  So wie das Original immer wichtiger ist als sein Spiegelbild, so ist das außerparlamentarische immer wichtiger als das parlamentarische und so ist die außerparlamentarische Linke immer wichtiger als die in Parteiform und in Parlamenten wirkende LINKE. Sie wird so oder so weiterbestehen.

Das bedeutet nicht Rückzug aus den Parlamenten (in denen die LINKE noch vertreten ist), aber es bedeutet, dass die Aktivitäten in den ausserparlamentarischen Organisationen und Aktionen verstärkt werden müssen, dass wir von dort Inspiration und Kraft schöpfen können. Wenn die LINKE eine Funktion in der Bundesrepublik hat, dann die, ausserparlamentarischen Bewegungen und Strömungen, Entrechteten nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, Kindern und Jugendlichen, der Zukunft unseres Planeten eine Stimme zu geben.
Was kommt nach dem wichtigen Antrag er Bundestagsfraktion „Rio+20 – Globale Gerechtigkeit statt grüner Kapitalismus“ (siehe Tarantel Nr. 57)?

 

Wolfgang Borchardt
3.7.12

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