alltäglicher Schadstofftransport oder kriminelle Energie?

Am 14.5.2013 verkündete die Hamburger Innenbehörde auf die Kleine Anfrage 20-07891 des Grünen Abgeordneten Anjes Tjarks Einzelheiten zu dem Brand des schwedischen Containerfrachters „Atlantic Cartier“ im Hamburger Hafen in der Nacht zum 2. Mai.

Brisant

ist der Brand durch die Fracht an Bord: Laut Ladeliste (Anlage2 zur o.g.  kl. Anfrage) waren viele Container mit Gefahrstoffen beladen. Unter anderem mehr als 20 Tonnen radioaktive Stoffe , darunter neun Tonnen Uran-Hexafluorid[1], 3,8 Tonnen Munition (Patronen), 180 Tonnen hochexplosiver Industriealkohol, 38 Tonenn korrosive, giftige Flüssigkeiten19 Tonnen Natriumhydroxid usw. An Deck, wo das Feuer ausbrach, standen rund 70 Neuwagen, von denen 30 zerstört wurden.

Der Frachter lag seit dem 1.5.2013 am O’Swaldkai, in Sichtweite von rund 35.000 Menschen, die gerade den Eröffnungsgottesdienstes des Kirchentages in der HafenCity feierten. Er gehört der Reederei ACL, die in den letzten drei Monaten 21 Mal Atomtransporte in Hamburg umgeschlagen hat (siehe Anlage1 zur o.g. kl. Anfrage).

Die taz schrieb am 18.5.13, dass die Löscharbeiten äußerst dramatisch waren, da in ganz Norddeutschland für die Feuerwehr kein Kohlendioxid (CO2) zu bekommen war, um die lodernden Flammen zu ersticken.[2]
Wasser zum Löschen von Uranhexafluorid einzusetzen ist nicht möglich, weil dieses mit Wasser Flusssäure bildet.[3]

Insgesamt 296 Feuerwehrleute waren im Einsatz. Ihnen ist es zu verdanken, dass es nicht zum GAU gekommen ist, denn sie bargen die Container aus dem brennenden Schiff. Mehrere Schiffe kühlten die glühende Bordwand inzwischen mit Elbwasser – darunter zwei Löschboote, von denen der Senat eines einsparen will. Mit dabei waren ein Löschroboter, Polizeiboote, Schlepper und 75 Fahrzeuge an Land.

Der Transport wurde vom Bundesamt für Strahlenschutz genehmigt. Das Material kam aus den USA und sollte von Hamburg über Land nach Holland gebracht werden. Weitere radioaktive Stoffe aus unbestrahlten Brennelementen waren auf den Transitweg nach Frankreich.[4]

Fragen

  • Warum hat der Hamburger Senat die Öffentlichkeit nicht früher informiert?
    Sollte die Verheimlichung „nur“ die TeilnehmerInnen des Kirchentages ruhig halten oder
    darüber hinweg täuschen, dass die Gefahren inzwischen „alltäglich“ sind (siehe unten)?
  • Wieso wurden verschiedene Gefahrenstoffe, deren Wirkung sich in ihrer Kombination potenziert, zusammen transportiert?
    (Was wäre passiert, wenn Munition durch den Brand explodiert wäre?
    Wäre der Container mit dem Uranhexafluorid intakt geblieben oder undicht geworden? Und dann …)
  • Was ist das für eine Wirtschaft bzw. Wirtschaftlichkeit, wenn der kostengünstige (?) Schiffstransport am Ziel vorbei führt und das Transportgut dann auf Straßen wieder ca. 500km zurück gefahren wird?

genehmigte Transporte

Ebenfalls am 18.5.13, zwei Tage nachdem der Hamburger Senat die Beinahe-Katastrophe zugab, hat .ausgestrahlt eine Pressemitteilung veröffentlicht, die zeigt, dass die Verantwortlichen anscheinend nicht in der Lage sind, aus Fehlern zu lernen:

„Kurz nachdem das ganze Ausmaß des Brandes eines Atomfrachters im Hamburger Hafen bekannt geworden ist, gibt es nun die nächste Hiobsbotschaft: Zwei LKW mit riesigen Mengen des Ultragiftes Plutonium sollen quer durch Belgien, Holland und Deutschland und mitten durch Hamburg rollen.

Wurde bei der Debatte über das brennende Schiff mit Uranhexafluorid noch darauf hingewiesen, dass solche Gefahrguttransporte quasi eine Alltäglichkeit für Hamburg darstellen, so lässt sich jetzt feststellen: Der Transport von Material, mit dem sich 25 Atombomben vom Nagasaki-Typ bauen ließen und das schon in allerkleinsten Mengen tödlich ist, ist eine absolute Extremsituation.

Würde bei einem Unfall ein MOX-Behälter undicht und das Plutonium durch Brandeinwirkung über eine größere Fläche verteilt, dann hätte das in der dichtbesiedelten Millionenstadt Hamburg fatale Folgen.  Denn schon wer wenige Millionstel Gramm dieses Ultragiftes einatmet, ist akuter Krebsgefahr ausgesetzt. Außerdem ist Plutonium wie andere Schwermetalle hochtoxisch. Schon eine Dosis im zweistelligen Milligrammbereich ist für Menschen tödlich. Eine rechtzeitige Evakuierung in einer dichtbesiedelten Großstadt wäre kaum möglich. Konkrete Katastrophenschutzpläne für einen Unfall mit einem MOX-Transport gibt es nicht.

MOX-Brennelemente sind nicht nur bei Verkehrsunfällen ein unverantwortbares Risiko. Auch ihr Einsatz im Reaktor birgt zusätzliche Gefahren. Das wurde der Weltöffentlichkeit durch die Ereignisse im Reaktorblock 3 von Fukushima besonders deutlich. Atommüll aus MOX strahlt etwas doppelt so stark wie der aus herkömmlichen Uran-Brennelementen.

Auch wenn wir den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Brokdorf grundsätzlich ablehnen, sei gesagt: Das AKW könnte auch ohne MOX betrieben werden – und zwar deutlich sicherer.

Wir fordern die Behörden auf, den unnötigen Transport abzusagen und ein Konzept zu entwickeln, wie Unfälle mit diesem extremen Gefahrgut gehandhabt werden können, ohne dass Menschen zu Schaden kommen. Sollte der Transport nicht abgesagt werden, muss die Bevölkerung genau über Routen und Zeitpläne informiert werden, damit sie sich selbst schützen kann.

Den Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein sei gesagt: Der MOX-Transport enthält deutlich mehr Plutonium als die geplanten Castor-Transporte aus Sellafield, über die gerade die halbe Republik diskutiert. Die Innenminister der betroffenen Bundesländer, also auch Hamburg, können den Transport verhindern, wenn sie sich nicht in der Lage sehen, kurzfristig genügend Kräfte zu seiner Sicherung bereitzustellen. Dann muss das Bundesamt für Strahlenschutz die Transportgenehmigung zurückziehen.“


[1↑] Uranhexafluorid (UF6) sollte importiert werden; die anderen radioaktiven Materialien waren im Transit.
Die Empfänger des UF6 sind vermutlich die URENCO bei Gronau in Nordrhein-Westfalen oder eine Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen (siehe hier).
UF6wird verwendet, um Uran 235 (U235) von Uran 238 (U238) zu trennen („Anreicherung“). Das Isotop U235 ist im Gegensatz zu U238 radioaktiv und daher für AKW-Brennelemente oder Atombomben geeignet. Das hochgiftige UF6 ist ein α-Strahler und hat eine Halbwertzeit von 4,5 Milliarden Jahren. Angereichertes UF6 hat 703,8 Millionen Jahre Halbwertzeit und ist daher deutlich aktiver. Die größten Gefahren gehen bei UF6 von seiner Giftigkeit aus (s.u.).

[2↑] Die Situation erinnert in fataler Weise an den Roman „Cattenom“ (siehe „Bücherecke“ in Tarantel 60).

[3↑] UF6 selbst ist sehr giftig und kann bereits mit Luftfeuchtigkeit Fluorwasserstoff (HF) bilden. HF ist ein stehend riechendes, farbloses Gas. Es wirkt stark ätzend auf Haut, Schleimhäute und Augen, kann die Haut und tiefere Gewebeschichten durchdringen und durch die Reaktion mit Kalzium die Knochen zersetzen, ohne dass die Haut äußerlich sichtbar verletzt ist.

[4↑] Das Schiff ist also von den USA an Frankreich und Holland vorbei gefahren, um dann die Fracht auf dem Landweg wieder zurück zu transportieren?!