Papst Franziskus und die Frankfurter Allgemeine

eine Analyse

Erstmalig steht der Umgang mit unserem „gemeinsamen Haus“, der Erde, im Zentrum einer päpstlichen Enzyklika. Auch die FAZ/F.A.S. („Die Elite in Politik, Wirtschaft und Kultur liest F.A.Z.“) konnte sie nicht ignorieren. Dem Grundgedanken zuzustimmen war dem Sprachrohr des Finanzkapitals jedoch noch weniger möglich. Die Leserschaft der FAZ/F.A.S. („Elite in Politik, Wirtschaft und Kultur„)  umfasst gemäß ihrer Selbstdarstellung einen besonders hohen Anteil „Experten in Politik oder Wirtschaft oder Steuerrecht“. Ihr wäre die Befürwortung der Enzyklika auch schwer zuzumuten, denn das widerspräche dem neoliberalen Mantra, das der Papst kritisiert.

Wie hat die FAZ/F.A.S. also über „Lautato si“ berichtet? Sie verteilte ihre Berichterstattung auf Einzelbeiträge verschiedener Autoren über mehrere Tage in unterschiedlichen Rubriken (Ausland/Europa, Wirtschaft, Wirtschaftspolitik, Feuilleton/Medien). Der Effekt: Die Leser bekommen das Gefühl umfassender Information und verlieren das Interesse, die Enzyklika eventuell selbst zu lesen und sich ein eigenes Bild zu machen. Sie könnten womöglich nachdenklich werden. Im Verlauf der Berichterstattung wird die Enzyklika immer mehr auf Ökonomie reduziert und zum Teil werden bereits im Anreißer Zweifel an der Enzyklika gestreut. Nach Tagen sortiert liest sich das so:

erster Tag

Über den „Warnschrei für die Schöpfung“ gibt Jörg Bremer, politischer Korrespondent für Italien und den Vatikan, einen klaren, sachlichen Überblick. Unklar bleibt allerdings,was das in den Bericht eingebettete Video „Papst empfängt Putin zu Privataudienz“ auf dieser Seite soll – war Bremers Beitrag zu positiv? Wurde Franziskus deshalb in Zusammenhang mit dem „Buhmann Putin“ gebracht? (wer es nicht glaubt: hier klicken)

Dem Wirtschaftsjournalist Jan Grossarth obliegt es, die Auseinandersetzung zu führen. Er schreibt mehrere Beiträge, zunächst – offenbar basierend auf der italienischen geleakten Fassung – noch vor der Vorstellung der autorisieren Ausgabe in seinem Artikel „Ökologie-Enzyklika“ unter anderem:

… Wenn Unternehmen von Nachhaltigkeit sprächen, gehe es ihnen oft bloß um „Marketing und Image“, meint Franziskus. Er beklagt ein vermeintliches eindimensionales technisches Paradigma und führt aus, der „moderne Anthropozentrismus“ – die Vorstellung vom Menschen als Dreh- und Angelpunkt der Welt – habe paradoxerweise einen technischen Zugang zur Welt gebracht, so dass der Mensch sich nicht mehr als Teil der Natur wahrnehme. Dem setzt der Papst eine holistische Sicht entgegen.…“ (Hervorhebung von mir)

Grossarths Kritik drückt sich hier lediglich darin aus, dass er mit der Bezeichnung „vermeintlich“ Zweifel sät. Doch Franziskus beschreibt nicht nur das Mensch-Natur-Verhältnis, seine „holistische Sicht“ drückt sich darin aus, dass er eine Bestandsaufnahme der Umwelt- und der sozialen Probleme vornimmt und aus Mitgefühl und Verantwortung für die Armen (Menschen und Länder) und zukünftige Generationen argumentiert. Grossarth hat das offensichtlich gelesen, denn er schreibt weiter:

Wirtschaftliche und soziale Kosten aus der Nutzung der Umweltressourcen dürften nicht anderen Völkern oder zukünftigen Generationen angelastet werden, meint er unter Berufung auf Benedikt XVI. Die Sicht liberaler Ökonomen wie Adam Smith ist, dass die Gewinnmaximierung Einzelner im Großen und Ganzen für alle von Nutzen ist: Wenn der Bäcker Brötchen backt, um Geld zu verdienen, werden die Leute satt.“

Dass aber gerade die ungezügelte Verwirklichung der Ideen von Adam Smith zu der von Franziskus beklagten Situation geführt hat und diese weiter verschärft, ist dem „Wirtschaftsjournalist“ Grossarth offenbar „entgangen“, ebenso wie Franziskus‘ Einschätzung:

In manchen Kreisen meint man, dass die jetzige Wirtschaft und die Technologie alle Umweltprobleme lösen werden, ebenso wie man in nicht akademischer Ausdrucksweise behauptet, dass die Probleme des Hungers und das Elend in der Welt sich einfach mit dem Wachstum des Marktes lösen werden. Es handelt sich nicht um eine Frage von Wirtschaftstheorien, die vielleicht heute keiner zu verteidigen wagt, sondern um deren Einbindung in die tatsächliche Entwicklung der Wirtschaft. Auch wer sie zwar nicht in Worte fasst, unterstützt sie aber doch mit seinen Taten, wenn ein rechtes Ausmaß der Produktion, eine bessere Verteilung des Reichtums, ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur oder die Rechte der zukünftigen Generationen ihn nicht zu kümmern scheinen.(Hervorhebungen von mir)

Offenbar war Franziskus hier etwas zu optimistisch: Grossath verteidigt die menschheitsgefährdende Wirtschaftsweise nicht nur mit seinen Taten, indem er an der Lebensweise in Deutschland Teil hat, sondern auch in Worten.

„Ein ökologisches Manifest“ vom promovierten Theologen Daniel Deckers, in der politischen Redaktion verantwortlich für „Die Gegenwart“ lobt Franziskus als „einen Reformator vom Ende der Welt“ für „die Zielstrebigkeit, mit der Papst Franziskus mittels Ernennungen von Bischöfen von der „Peripherie“ der Kirche das Kardinalskollegium umgestaltet“. Für das Lehrschreiben „Laudato si“ findet Decker die Worte:

Auch dieses ist beispiellos, allem voran in der guten Absicht, allen Menschen guten Willens Wege zu weisen, wie die natürlichen und die gesellschaftlichen Grundlagen der Menschheit vor unwiderruflicher Zerstörung bewahrt werden können: Die von Menschen gemachte Klimaveränderung und die Übernutzung der natürlichen Ressourcen sind lebens- und damit gottesfeindlich. So klar hat noch kein Papst gesprochen. …“

Deckers anerkennt zwar „die gute Absicht“ und die Klarheit der Worte, doch dabei operiert er nach dem Prinzip von Mary Poppins: „mit ’nem klein bisschen Zucker…“. Denn nach weiteren Lobhudeleien findet er:

Zuschreibungen in schrillem Ton

Freilich sind die Be- und Zuschreibungen der Krisenphänomene über weite Strecken in einem ebenso schlichten wie schrillen Ton gehalten, prophetischer Weckruf entpuppt sich als abgestandene Polemik. Immer wieder verbinden sich die klassisch-katholischen Vorbehalte gegen eine ordoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit den üblichen Verurteilungen aller möglichen Ismen von Anthropozentrismus über Konsumismus bis Hedonismus zu einem moralinsauren Gebräu. Versatzstücke von Verelendungs- und Weltverschwörungstheorien machen dieses ökologische Manifest mitunter ungenießbar. …
Wenn Franziskus behauptet, heute würden immer mehr Menschen ausgeschlossen und ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt, dann zeichnet er ein Zerrbild der Realität. Durch die Anstrengungen der Weltgemeinschaft sind seit den neunziger Jahren viel mehr Entwicklungsziele verwirklicht worden oder ihrer Verwirklichung näher gekommen, als viele Skeptiker es vorhergesagt hatten. …
Wird überdies Politik wie schon in dem ersten Schreiben „Evangelii Gaudium“ als ein willenloses Instrument im Dienst einer gewinnmaximierungsfixierten Wirtschaft und eines unkontrollierbaren Finanzwesens karikiert, dann wird auf beispiellose Weise Autorität verwirkt, so viel Schönes, Gutes und Wahres Papst Franziskus auch sonst zu sagen hat.“

Fazit der ersten drei Berichte

  • Der von Franziskus geforderte Schutz der Umweltressourcen ist nur eine von mehreren Möglichkeiten, eine andere ist die Gewinnmaximierung Einzelner.
  • Franziskus hat sich in guter Absicht zwar klar ausgedrückt, aber dabei die Realität verzerrt, eine Karrikatur der Wirtschaft und des Finanzwesens gezeichnet und seine Autorität verwirkt.

zweiter Tag

Nachdem die (moralische) Autorität des Papstes in Frage gestellt ist, kommt wieder der Wirtschaftsjournalist zu Wort, um die „Reaktion auf [das] Öko-Manifest“ zusammenzufassen. Nachdem er Franziskus zitiert:

Wenn die Politik nicht imstande ist, eine perverse Logik zu durchbrechen, und wenn auch sie nicht über armselige Reden hinauskommt, werden wir weitermachen, ohne die großen Probleme der Menschheit in Angriff zu nehmen.“

und weiter:

Umweltverschmutzung sei Sünde, ökologische Erziehung notwendig, um den „herrschenden Konsumismus“ zu überwinden.“

wundert er sich:

Kritische Stellungnahmen dazu von Industrievertretern gab es nicht. Einige sagten, wegen der vagen Angriffe auf das Wirtschaftssystem, die im Duktus der globalen kapitalismuskritischen Bewegung gehalten seien, fühle man sich nicht angesprochen. So lehnte der Industrieverband BDI Interviewanfragen ab.“

um dann aufzuatmen:

Vorsichtige Kritik am Papst äußerte die Klimaschutzorganisation Germanwatch. Das Schreiben sei zu kritisieren für die „naturrechtliche Argumentation“ und „undifferenzierte Marktkritik“. …“

Nach weiteren Kommentaren schließt er mit dem Volkswirt Hans Frambach von der Uni Wuppertal, der das Schreiben nicht für revolutionär halte, da es bereits seit der ersten Sozialenzyklika 1891 um Vermittlung zwischen Kapitalismus und Sozialismus gehe.

Fazit einen Tag nach der Veröfentlichung:

Beim Leser entsteht der Eindruck, die Enzyklika sei für die Industrie nicht relevant, sie argumentiere falsch, die Marktkritik ist undifferenziert un d außerdem ist das alles nicht Neues.

dritter Tag

Damit ist der Boden bereitet, um sie endgültig zu widerlegen und Grossarth darf als nächstes darlegen, „wo der Papst irrt“: Zwar nutze der Papst sein Privileg,

sich um das Glück [zu sorgen]. …. Zum Beispiel an der Stelle, an der er die Arbeitsbedingungen vieler Menschen beschreibt – nicht nur der oft unter erbärmlichen Bedingungen schuftenden Textilarbeiter aus Bangladesch, sondern auch westlicher gehetzter Manager – oder die Unmöglichkeit des Glücks für Leute, die ganz von Interessen okkupiert sind. Aber all das Gute der industriellen Gegenwart kommt kaum vor. Für viele, längst nicht nur in der nördlichen Welt, ist die kapitalistische Welt ein Schlaraffenland: Der Hunger nimmt ab, immer mehr Menschen besuchen Schulen, werden älter und müssen weniger lang und schwer arbeiten.“ (Hervorhebungen von mir)

Fakt ist:

  1. Von TextilarbeiterInnen in Bangladesh ist in der Enzyklika ebenso wenig die Rede, wie von „gehetzten Managern“. Franziskus wäre es auch nie in den Sinn gekommen, Textilarbeiter in Bangladesh, die für einen Hungerlohn unter erbärmlichen Bedingungen schuften müssen, um überleben zu können, zu vergleichen mit westlichen Managern, die auch (vielleicht auch unbewusst) willfährige Interessenvertreter des Kapitals sind und damit unter anderem die Bedingungen für die TextilarbeiterInnen schaffen (ohne dass Franziskus das so genannt hätte).
  2. „795 Millionen Menschen auf der Welt haben nicht genug zu essen. Die Zahl der Hungernden ist seit 1990 um 216 Millionen zurückgegangen. Das globale Millenniumsziel, die Zahl der Hungernden weltweit bis 2015 zu halbieren, kann jedoch nur mit größten internationalen Anstrengungen erreicht werden.“ (The State of Food Insecurity in the World 2015)
    „Hunger ist das größte Gesundheitsrisiko weltweit. Mehr Menschen sterben jährlich an Hunger, als an AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen.“
    „Unterernährung trägt jährlich zum Tod von 2,9 Millionen Kindern unter fünf Jahren bei – mehr als 45 Prozent aller Sterbefälle von Kindern weltweit.“
    „162 Millionen Kleinkinder in Entwicklungsländern sind chronisch unterernährt. Jedes siebte Kind unter fünf Jahren ist weltweit untergewichtig.“
    usw. usf. (Quelle: „Hunger weltweit – Zahlen und Fakten“; http://de.wfp.org/hunger/hunger-statistik)
  3. Weltweit müssen rund 880 Millionen Menschen ihr Trinkwasser aus unsicheren Quellen holen. Krankheiten wie Durchfall und Cholera sind die Folge. Verunreinigtes Wasser und mangelhafte Hygiene sind Hauptursachen für die in vielen Entwicklungsländern hohe Kindersterblichkeit. (Quelle: „Caritas: 10.000 Menschen sterben täglich durch verschmutztes Wasser“; http://www.caritas-international.de/presse/presse/caritas-10.000-menschen-sterben-taeglich-durch-verschmutztes-wasser-0638ea03-051)
  4. Die Budesrepublik ist mit 0,4% des BIP für Armutsbekämpfung von ihrer Selbstverpflichtung (0,7%) meilenweit entfernt.

Angesichts dieser Zahlen ist Grossarths „Schlaraffenland“ einfach nur zynisch. Doch er geht noch weiter:

Kapitalismus wird allein mit Gier gleichgesetzt
Hier liegt die Totalität, die der Enzyklika innewohnt. Eine liberale Wirtschaftsethik nimmt Franziskus offensichtlich nicht zur Kenntnis. Eigentumsrechte etwa sind eine gute Sache, denn sie sorgen dafür, dass die Menschen sorgsam mit ihrem Boden oder dem Wasser umgehen.

Wenn sie in der vergangenen wirtschaftlichen Praxis überhaupt eine Rolle spielte, ist Grossarths „liberale Wirtschaftsethik“ heute nur ein theoretisches Konstrukt, um von profitgesteuerten Verbrechen gegen die Menschlichkeit abzulenken (siehe „Die Krise tötet Menschen“; http://www.tagesspiegel.de/kultur/interview-die-krise-toetet-menschen/1453026.html oder „Die TOP 10 der Wirtschaftsverbrecher“; http://www.neopresse.com/wirtschaft/die-top-10-der-wirtschaftsverbrecher/).
Wenn es eine „liberale Wirtschaftsethik“ gäbe, könnte Grossarth keine Probleme haben mit dem Papst, wenn dieser Johannes Paul II (zustimmend!) zitiert:

»Die Kirche verteidigt zwar den berechtigten Anspruch auf Privateigentum, lehrt jedoch ebenso unmissverständlich, dass jedes Privateigentum immer mit einer ‚sozialen Hypothek‘ belastet ist, damit alle Güter der allgemeinen Bestimmung dienen, die Gott ihnen zugeteilt hat.« Und er bekräftigte: Es ist also »nicht der Absicht Gottes entsprechend, diese Gabe in einer Weise zu verwalten, dass ihre Wohltaten nur einigen zugutekommen«. Das stellt die ungerechten Gewohnheiten eines Teils der Menschheit ernsthaft in Frage.“

Doch Grossarth unterschlägt die komplette Aussage. Um „die ungerechten Gewohnheiten eines Teil der Menschheit“ verteidigen, ohne das zuzugeben? Er setzt nach:

Franziskus, von südamerikanischen Erfahrungen geleitet, kehrt die negativen Seiten nach vorn: Ungleichheit des Besitzes, Landbesitz in den Händen weniger, Konzerne, die das Wasser kommerzialisieren.“

Diese „negativen Seiten“ sind ihm anscheinend nicht wichtig, denn er bovorzugt

persönliche Freiheit der Bürger vor staatlicher Willkür – etwa auch in Gestalt einer „politischen Weltautorität“ in Klimafragen, wie Franziskus sie sich ausdrücklich wünscht.“

Korrekt zitiert heißt es bei Franziskus:

»Um die Weltwirtschaft zu steuern, die von der Krise betroffenen Wirtschaften zu sanieren, einer Verschlimmerung der Krise und sich daraus ergebenden Ungleichgewichten vorzubeugen, um eine geeignete vollständige Abrüstung zu verwirklichen, sowie Ernährungssicherheit und Frieden zu verwirklichen, den Umweltschutz zu gewährleisten und die Migrationsströme zu regulieren, ist das Vorhandensein einer echten politischen Weltautorität, wie sie schon von meinem Vorgänger, dem [heiligen] Papst Johannes XXIII., angesprochen wurde, dringend nötig.«1

Wenn Brossarth eine solche Weltautorität ablehnt, weil das „staatliche Willkür“ sei, zeigt er nur, dass ihm die Begründung, die Johannes XXIII und mit ihm Franziskus anführen, völlig egal sind, denn dass – wie von ihm angenommen, eines Tages kluge Kreislaufwirtschaft oder Energiewende durch technische Neuerungen möglich sein könnten, ohne den Lebensstandard zu senken“ – hat absolut nichts mit den vom Papst genannten Problemen zu tun.

Fazit:

Durch unrichtige, einseitige Darstellungen und unkorrekte Zitate kann Grossarth schlussfolgern, dass bei Franziskus

in der Summe ein Zerrbild der Zivilisation entsteht“. Daher gilt für Grossarth Franziskus‘ Vorbild, der heilige Franziskus [dieser] radikale(n) Aussteiger,“ bei dem … sich „der Mensch und die Dinge“ noch „freundschaftlich die Hand“ gereicht haben … eine schreckliche Vorstellung.“

Hier erübrigt sich jeder weitere Kommentar meinerseits.

Wolfgang Borchardt
6.7.2015


 Fußnote

1Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009)