Ökoroutine

Damit wir tun, was wir für richtig halten

Rezension von Wolfgang Borchardt

Michael Kopatz unterbreitet mit seinem Buch Vorschläge, wie der Widerspruch zwischen allgemeinem Wissen über ökologische Notwendigkeit und fehlendem ökologischen Handeln gelöst werden kann. Unter „Ökoroutine“ versteht er „mehr Staat“ und gleichzeitig „mehr bürgerschaftliches Engagement“. Der Staat soll die Rahmenbedingungen schaffen und planmäßig so verändern, dass ökologisches Handeln nicht mehr bewusst erfolgen muss, sondern einfach Routine wird. Bürger*innen und Wähler*innen sollen vor Ort zeigen, „dass ein verantwortungsvolles Leben möglich ist“. Kopatz betont, dass der Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung einen „tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel“ darstellt. Dabei nimmt das von ihm vorgeschlagene Konzept „den soziokulturellen Wandel in den Blick, nicht die Technik“. Doch „soll keine Revolution vorgeschlagen werden, sondern die Rückkehr zum Ordnungsrahmen der 1970er Jahre.“

Bei seiner Analyse, „warum nicht geschieht, was geschehen muss“ beginnt er mit dem „reservierten Staat“ und den Theorien Adam Smith‘, Hayeks und Friedmanns und Keynes‘, wobei sich „Ökoroutine“ an vielen Stellen auf Keynes beruft. Für „Ökoroutine“ ist der „Kapitalismus an sich (…) nicht gut oder böse“. Er „kann tödlich sein“. „Doch hat uns der freie Wettbewerb zweifellos wachsenden Wohlstand beschert“ ‒ und permanenten Hunger in der „Dritten Welt“. Letzteres sagt er allerdings nicht. Diese politisch indifferente Haltung verlangt in der Folge einige logische Pirouetten. Hier dazu einige Zitate: „Kapitalismus ist ein System, dessen Intention die Geldvermehrung ist“. „Geld und dessen unendliche Vermehrung zwingt unser Wirtschaftssystem zum Wachstum“. “Unsere Wachstumslogik stellt das Nachhaltigkeitspostulat grundsätzlich infrage.“ „Es liegt in der inneren Logik des Shareholder-Wesens, dass Ressourcenverbrauch, Umweltverschmutzung und unfaire Arbeitsbedingungen hingenommen werden.“ „Ökoroutine plädiert weder für noch gegen Wachstum, sondern gibt konkrete und handfeste Handlungsvorschläge. Sie zielen auf klare Reduktionspfade …“
Im Kapitel „Warum wir nicht tun, was wir für richtig halten“ wird die „Neigung zur Expansion“ beschrieben als „fundamentale Tendenz“, die ihre „Ursache zum einen im Gewinnstreben des Kapitals“ hat. Weitere Ursachen sind für ihn neben „Gier“ „Werbung und Kommerzialisierung“.

Doch wer von diesen Widersprüchen abstrahiert, findet in dem Buch eine Fülle von Anregungen für Schritte und Maßnahmen, Gesellschaft und Wirtschaft auf einen ökologischen Pfad zu bringen. Kopatz betont, dass diese (im Prinzip) leicht umsetzbar sind. Wir müssten es nur wollen. Sein Ansatz besteht in der langsamen, aber stetigen Verschiebung der Rahmenbedingungen („shifting baselines“) für das individuelle und unternehmerische Handeln. Die Idee dahinter: Durch Standards, Grenzwerte, Limits gewöhnen sich alle an die veränderten Rahmenbedingungen und handeln aus Gewohnheit ökologisch. Daher ist es nicht nötig, sich in jedem Fall bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden.

Diesen Gedanken verfolgt er bei der Untersuchung der wichtigsten Bereiche unseres Lebens: Essen, Wohnen, Strom(-verbrauch), Kaufen, Unterwegs und Arbeiten. Dabei scheut er sich keinesfalls, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, beispielsweise dass der Fleischkonsum drastisch reduziert werden muss. Er verspricht zwar Lösungen, die das „Problem an der Wurzel packen“, doch da er die“systemische Ursache (…) in den Subventionen und im Bundesrecht“ ‒ und nicht im kapitalistischen Wirtschaftssystem ‒ sieht, meint er, „Politiker, die sich diese Forderung (= Unterbinden von Antibiotikaeinsatz als Wachstumsverstärker) auf die Fahne schreiben, würden in der Öffentlichkeit viel Zuspruch erfahren.“ Für ihn ist „die Agrarwende so einfach auf den Weg zu bringen, dass man sich verwundert die Augen reibt. Notwendig ist lediglich die weitere Begrenzung des Eintrags von Pestiziden und Düngemitteln.“ „Renditen sind freilich nicht zu erwarten.“ „Im Fokus der Ökoroutine stehen allerdings nicht Renditen, sondern Menschen.“ Daher kommt er zum Ergebnis, dass „sich auch die Transformation der Landwirtschaft wohl nicht mit, sondern nur gegen die Großkonzerne realisieren lassen [wird].“

Beim Wohnen setzt er auf den „Wenigereffekt“ und Suffizienz, Senkung des Energieverbrauchs und gleichzeitige Senkung der Mietpreise. Dabei schlägt er Fahrpläne für Verbrauchsstandards, finanzielle Anreize und Infokampagnen und als „wichtigste wohnungspolitische Gestaltungsmaßnahme (…) Beteiligung an Wohnungsunternehmen“ sowie ein Flächenmoratorium vor. Dadurch wird „schlimmstenfalls (…) Wohneigentum so teuer, dass nur Wohlhabende die freiwerdende Immobilie erwerben können.“ Das „wäre zu untersuchen. Doch einige Vorüberlegungen lassen sich auch ohne weitergehende Analyse anstellen.“ Seine Vorüberlegungen geben darauf jedoch keine Antwort.

Bei Strom feiert er die deutsche „Initialfunktion [der Energiewende], die von hier ausgeht“ und die Stilllegungsprämie für die alten Braunkohlekraftwerke als „immerhin (…) kleinen Kohleausstieg, leider auf Kosten der Stromkunden“. Durchaus berechtigt sind dagegen das Lob der Ökodesignrichtlinie und die Darstellung der Einspar- und Effizienzpotentiale. Letztere spielen auch im Kapitel „Kaufen“ eine Rolle: Insbesondere durch erhöhte Lebensdauer der Produkte und Beendigung der Wegwerfmenatlität lassen sich Ressourcenverbrauch und Abfälle vermeiden. Dazu will er auch die Werbung massiv begrenzen. Auch bei Mobilität gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, die – wenn sie realisiert werden – das gesamte Verkehrswesen verändern: Bürgerticket zur Finanzierung des Nahverkehrs, nur noch Straßenerhaltung statt Neubau, Limitierung der Starts und Landungen auf Flughäfen, Hafenausbau in Hamburg stoppen usw.

Da mehr Arbeiten auch höheren Verdienst und damit Ressourcenverbrauch bedeutet, schlägt Kopatz vor, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu verkürzen. Seine „Perspektive für eine neue, realistische Form der Vollbeschäftigung“ ist die „Kurze Vollzeit für alle“ mit 30 Arbeitsstunden pro Woche bzw. ca. 1300 Jahresarbeitsstunden. Das soll jedoch keine starre Norm sein, sondern „eine Art Durchschnittswert, der je nach persönlichen Wünschen, biografischer Situation und wirtschaftlichen Verhältnissen flexibel gewählt werden kann“. Damit sollen Geringverdiener und Alleinerziehende nicht (weiter) benachteiligt werden. Wichtig ist ihm die „Ganze Arbeit“, die auch unbezahlte Formen wie Sorge-, Eigen- und freiwillige Arbeit umfasst. Ökoroutine will eine „individuell und gesellschaftlich gute Mischung der Arbeitsformen“ fördern. Konkrete Vorschläge beziehen sich jedoch nur auf einen Teil dieser Mischung: das Ehrenamt.

Mit innovativer „Wirtschaftsförderung 4.0“ (WF 4.0), die er als einen Bestandteil der vom WGBU1 geforderten „Großen Transformation“ ansieht,kommt er zu einem schwergewichtigen Thema. Darin geht er auf die Handlungsfelder Produktion, Hilfe und Kooperation, Teilen, Komplementärer Leistungstausch und resiliente2 Unternehmen ein. Zunächst konzentriert er sich auf kommunale Wirtschaftsförderung für regionale Produktion und Kooperation, Selbsthilfe- und Reparatur- Netzwerke, Eigenarbeitszentren, Tauschringe, Wohngemeinschaften usw.. Geld sollte stärker als Regionalgeld entwickelt, Unternehmen rekommunalisiert werden. Auch Stiftungen und Genossenschaften sind für Kopatz „interessante Rechtsformen für kooperatives Wirtschaften“. Spannend ist die Frage nach den Zuständigkeiten, Aufgaben und Akteuren. „Den Anstoß könnte ein Bundesförderprogramm geben: So wie das Bundesumweltministerium kommunale Klimaschutzprojekte fördert, könnte das Bundeswirtschaftsministerium die Planung und Umsetzung der WF 4.0 unterstützen.“ – Gegenwärtig ist das Gegenteil der Fall: Das BMWi forciert CETA und TTIP. „Die Federführung könnte bei der kommunalen Wirtschaftsförderung liegen, die ihr Tätigkeitsfeld ausweitet.“ – das zielt auf die regionale Ebene und Mikroökonomie. Aber hier droht „die Gefahr, dass der Kapitalismus die Mikroökonomie vereinnahmt und ihr Potential zur Gemeinwohlförderung verwässert“. DoAm 12.11.2016. Diskussion mit dem Autor.ch den „Vorbehalten an der Graswurzel“ kann er nur entgegnen, dass „die WF 4.0 (…) die Vorbehalte an der Basis ernst nehmen“ wird. Seine Vision: „Der Trend zum Teilen, Tauschen und Kooperieren könnte einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Gemeinsinn in Bewegung setzen, eine Transformation vom »Ich« zum »Wir«.“ Daran werden sich ehemalige DDR-Bürger*innen entsprechenden Alters noch erinnern. Hier und an ähnlichen Stellen wäre interessant zu erfahren, weshalb das nicht so geklappt hat und welche Hinderungsgründe aktuell bestehen. Wie, mit welchen finanziellen Mitteln soll bzw. kann z.B. die kommunale Wirtschaftsförderung angesichts klammer Kassen hantieren?

Für Kopatz ist „Ökoroutine“ ein politisches Konzept. Ökologische Standards, „ökofair“ gestaltet, „sind eine Form der Konsumsteuerung“, die „Konsum und Produktion sanft in Richtung Nachhaltigkeit“ lenken. Dazu muss unter anderem der Lobbyismus eingedämmt werden und „Nebeneinkünfte für einzelne Abgeordnete“, „Honorare [könnten zukünftig] in einen parlamentarischen Fonds fließen und gemeinnützigen Anliegen zugute kommen.“ …

Es ist hier nicht möglich, alle Vorschläge auch nur zu nennen, geschweige denn (kritisch) zu würdigen. „Ökoroutine“ ist für alle lesenswert, auch für diejenigen, die Kopatz‘ Vorstellungen nicht teilen. Diejenigen, die unsere gegenwärtige Gesellschaft ökologisch(er) gestalten wollen, finden dafür massenhaft Anregungen. Andererseits erleben Linke, die hoffen, dass der Kapitalismus an den ökologischen Problemen zugrunde gehen wird, durch das Buch möglicherweise eine (heilsame!) Ent-Täuschung. Doch viele der Vorschläge werden zumindest in naher Zukunft an den bestehenden Machtverhältnissen scheitern. Gerade diese Vorschläge aufzugreifen und weiterzuentwickeln, ist ein lohnender Ansatz für alle, die die kapitalistische Wirtschaftsweise nicht nur „grüner“ machen, sondern überwinden wollen.

Michael Kopatz: „Ökoroutine – Damit wir tun, was wir für richtig halten“; oekom-Verlag 2016; 416 Seiten; ISBN 978-3-86581-806-5; 24.95 €


  1. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltprobleme 

  2. Resilienz: Elastizität, Stabilität gegenüber äußeren Einflüssen 

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