Kohlevergasung & Kohlechemie – keine Option für die Zukunft

Der Durchbruch der erneuerbaren Energiewende im Jahre 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) setzte die fossile Energiewirtschaft unter großen Druck und führte insbesondere bei den Beschäftigten in den Kohletagebaugebieten mit Kohlekraftwerken zu Sorgen um ihre Arbeitsplätze. Zur Sicherung langfristiger Geschäfte für die Kohlekonzerne nahmen seitdem zwei wichtige technologische Entwicklungen an Fahrt auf, die auf alten Kenntnissen und Erfahrungen aufbauen konnten. Das waren zum einen Gas- und Dampfkraftwerke mit integrierter Vergasung von Kohle oder anderen fossilen Energieträgern (IGCC-Kraftwerke) und zum anderen die Kohlevergasung mit dem Ziel der Gewinnung von Brenn- und Treibstoffen, Kunststoffen und Chemikalien aller Art. Im Folgenden werden beide Entwicklungen kurz umrissen.

IGCC-Kraftwerke

Bei IGCC-Kraftwerken werden Gasturbinen mit Brennstoff betrieben, der reich an Wasserstoff und Kohlenmonoxid ist und hierzulande durch die Vergasung von Kohle gewonnen werden soll. Bei dem Vergasungsverfahren entstehen große Mengen an Kohlendioxid (CO2). Es war geplant, diese verfahrenstechnisch abzuscheiden und dauerhaft unterirdisch zu speichern (CCS). Der Widerstand gegen CCS führte dazu, dass diese Pläne bislang aufgegeben werden mussten. Dadurch ist es um diese Kraftwerke in der Öffentlichkeit stiller geworden. Gleichwohl finanzierte das Bundeswirtschaftsministerium seit 2002 aufwendige und breit gefächerte Forschungen im Rahmen des COORETEC-Projekts unvermindert weiter. Seit längerem sind in dem Forschungsnetzwerk prominent die TU Bergakademie Freiberg/Sachsen, TU München und das Forschungszentrum Jülich sowie die Konzerne RWE und Air Liquide vertreten. Air Liquide ist durch die frühere Übernahme von LURGI-Anlagenbau auch im Vergasergeschäft tätig. Die Projektförderung ist bislang bis 2019 vorgesehen. Ein wichtiger Punkt sind für die letzten Jahre Betrachtungen zur Wirtschaftlichkeit für solche Kraftwerke, denn bislang ist die Einführung dieser Kraftwerkstechnik zu teuer. Eine entscheidende Ursache dafür ist der anhaltend niedrige Ölpreis.

Die IGCC-Kraftwerkstechnologie ist inzwischen weiterentwickelt worden und zwar zu einem Anlagenkonzept der Polygeneration. Hier kann parallel zur Stromerzeugung das Vergasungsprodukt auch für die bereits erwähnte Herstellung von Chemikalien, Brenn- und Kraftstoffen genutzt werden. Selbst das im Rahmen des Vergasungsverfahrens anfallende CO2 kann beispielsweise zur Herstellung von Kunststoffen eingesetzt werden. Die besondklickere Flexibilität des Konzepts beruht darauf, dass der Anlagenteil Gaskraftwerk im Gegensatz zu einem konventionellen Kohlekraftwerk rasch zum Lastausgleich einspringen kann, wenn durch Windflaute oder wenig Sonne nicht genug erneuerbarer Strom zur Einspeisung in das Netz zur Verfügung steht. Damit wird deutlich, dass die konzeptionelle Weiterentwicklung auch dem Druck mit geschuldet ist, der sich zunehmend durch erneuerbar gewonnenen Strom aufgebaut hat.

Ein wichtiger Punkt ist, dass sich durch die Verknüpfung des Verfahrens mit erneuerbarem Strom das ansonsten in großen Mengen am Anlagenstandort anfallende CO2 drastisch vermindern lässt. Damit wird die Abtrennung und Speicherung des CO2 praktisch nicht mehr gebraucht. Es gibt nur einen gravierenden Haken an der Sache. Denn damit wird lediglich – zum Näheren sei auf meinen weiter unten genannten Beitrag zur Braunkohle-Chemie verwiesen – die Produktausbeute im Zuge des Vergasungsverfahrens erhöht. Konkret heißt das, die erzeugte Produktmenge steigt an. Das CO2, das damit am Anlagenstandort vermieden wird, fällt dann andernorts am Ende des Lebensweges der hergestellten Produkte an. Ein Beispiel sind Kraftstoffe, bei deren Verbrennung CO2 entsteht. Der Einführung von erneuerbarer Energie in das Verfahren führt damit sozusagen zu einem reinen „Verschiebebahnhof“ für CO2. Für den Klimaschutz ist also nichts gewonnen.

Kohlechemie

Die Diskussion um eine stoffliche Verwertung von Kohle zu Chemikalien, Kunststoffen, Brenn- und Treibstoffen begann ebenfalls ab dem Jahr 2000 wieder an Fahrt aufzunehmen. Angestoßen wurde sie von Ostdeutschland aus. Hier waren über 1990 hinaus in der Lausitz am Standort Schwarze Pumpe (Spremberg) große Vergasungsanlagen für Braunkohle in Betrieb. Ab 1995 bis 2007 wurden in großem Umfang vor allem Plastikabfälle aus der „Gelben Tonne“ vergast und daraus überwiegend Methanol gewonnen. Der Betrieb wurde dann seitens des damaligen Eigners Sustec GmbH eingestellt, weil preislich nicht mehr wettbewerbsfähig produziert werden konnte. Der Konzern Siemens wiederum übernahm im Jahreklick 2005 die Geschäftsanteile der Future Energy GmbH von der Firma Sustec Holding AG. Die aufgekaufte Firma ging aus dem ehemaligen Gaskombinat Schwarze Pumpe der DDR hervor. Damit verschaffte sich Siemens Zugang zu Patenten, Technologien und Testanlagen in Freiberg/Sachsen für das in der DDR entwickelte Flugstromvergasungsverfahren. Siemens konzentrierte sich fortan auf den chinesischen Markt als Absatzgebiet für Kohlevergasungsanlagen. In Freiberg/Sachsen verfügt die TU Bergakademie zudem mit Prof. Dr. Meyer über einen prominenten Fachmann zur Vergasungstechnik und Fürsprecher zur Nutzung von Kohle für die Chemieproduktion. Er kann sich bundesweit auf ein von ihm selbst mit aufgebautes Netzwerk an Befürwortern stützen, vorrangig vertreten durch SPD und CDU, IGBCE, Chemieindustrie sowie universitäre und außeruniversitäre Forschung. Gutachterlich war Prof. Meyer auch im Rahmen der Enquetekommission des Landtages NRW zur Zukunft der Chemischen Industrie tätig, die von der SPD und Grünen gestellten Landesregierung initiiert wurde. Dies fand seinen Niederschlag im Abschlussbericht vom April 2015. Danach sollen trotz allem wenn und aber – darunter maßgeblich ökonomische Gründe – längerfristig Wege für ein neues Kohlezeitalter der chemischen Verwertung freigehalten werden.klick

Warum bei Kohle „die Chemie nicht stimmt“

Kohlechemie ist die falsche Option für die Zukunft mit Blick auf Klimaschutz und Arbeitsplätze. Das lässt sich gut am Beispiel von Braunkohle zeigen, die hierzulande mit großen Vorräten aufwarten kann. Im Grundsatz gilt das auch für andere Kohlearten. Aus einer Tonne Braunkohle kann man viel weniger Treibstoff oder Kunststoff herstellen, als aus einer Tonne Erdgas oder Erdöl. Entsprechend größer ist der Ausstoß des Klimakillers CO2, weil aus einer Tonne Braunkohle immer dieselbe Menge CO2 gebildet wird, egal ob man sie verbrennt oder vergast und daraus Produkte herstellt. Verbrennt man Braunkohle, dann wird sie sofort vollständig in CO2 umgewandelt. Vergast man Braunkohle, wird zwar zunächst eine geringere Menge an CO2 freigesetzt, der Rest entsteht aber später aus den hergestellten Produkten am Ende ihres Lebensweges. Das passiert bei Brenn- und Treibstoffen sofort, wenn sie verbrannt werden, bei Kunststoffen und anderen Chemikalien, wenn sie nicht mehr gebraucht und entsorgt werden, z. B. in einer Müllverbrennungsanlage. Zudem bleiben, ob Braunkohle nun energetisch oder stofflich genutzt wird, auch die Umweltprobleme, der Ressourcen- und Landschaftsverbrauch auf Dauer gleich.

Näher wird darauf in meinem ausführlichen Beitrag „Braunkohle-Chemie – Vergangenheit statt Zukunft“ eingegangen unter: http://www.detlef-bimboes.de/Energie-und-Rohstoffe

Grundlegend bestätigt wird der Beitrag durch eine Studie von Friends of the Earth International vom Juli 2016 mit dem Titel „Fuelling the Fire: the chequered history of Underground Coal Gasification and Coal Chemicals around the world“.

Dämpfer aus China für stoffliche Kohlenutzung

Inzwischen hat die stoffliche Verwertung von Kohle einen kräftigen Dämpfer durch China erhalten. China hat seine Kohlepolitik geändert. Hier dürfte – neben beschränkten Absatzmöglichkeiten in anderen Weltregionen – der eigentliche Grund liegen, warum der Konzern Siemens Ende 2015 beschlossen hat, seinen Gesklickchäftsbereich Vergaser zu verkaufen. Seit 2013 steuert China um. Der Kohleverbrauch sinkt, erneuerbare Energien werden massiv ausgebaut, maßnahmenbezogene Luftreinhaltepläne und höhere Anforderungen an die Luftreinhaltung von Verbrennungsanlagen beginnen zu greifen. Bis 2030 hat sich das Land dazu verpflichtet, den Anstieg seiner Treibhausgasemissionen zu stoppen. Andrew Minchener vom IEA Clean Coal Centre gab in diesem Zusammenhang noch einige interessante Hinweise anlässlich eines Vortrages in Köln im Juni 20161. Danach würde ein zu großer Ausbau der Kohlechemie mit der geplanten Verringerung der CO2-Emissionen bis 2030 kollidieren. Zudem wurde deutlich, mit welch hohen Wasserverbräuchen und CO2-Emissionen die Herstellung von Chemieprodukten aus Kohle verbunden ist. Wichtig noch im Vortrag, welche unterschiedlich hohen Ölpreise in Dollar/Barrel gebraucht werden, damit die Produkte wirtschaftlich tragfähig produziert werden können. So müsste sich beispielsweise für künstliches Methan der Ölpreis zwischen 60 – 70 Dollar/Barrel bewegen.

Klimaschutzplan 2050 – Hintertür für stoffliche Nutzung von Kohle

Die Bundesregierung konnte gerade noch rechtzeitig zur UN-Klimakonferenz in Marrakesch ihren Klimaschutzplan 2050 vorlegen. Statt einem konkreten und geordneten Ausstieg aus der Kohle bis 2040, wie von der Partei die Linke seit langem schon gefordert, ist nur von einem „schrittweisen Ausstieg“ die Rede. Dafür haben die Interessen der immer noch starken fossilen Energiewirtschaft und der wirtschaftliche, politische und gewerkschaftliche Druck aus den Braunkohleregionen gesorgt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß in dem Klimaplan lediglich auf die energetische Nutzung von Kohle Bezug genommen wird. So muss danach „Die Energieversorgung spätestens bis 2050 nahezu vollständig dekarbonisiert erfolgen“ und sich auf „alle Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger“ richten (s. S. 27/28). Damit ist eine Hintertür offen geblieben für die stoffliche Kohlenutzung und mithin ihre chemische Verwertung. Bei einem entsprechenden Anstieg und dann dauerhaft hohen Ölpreisen dürfte sie wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. Dafür wird das Netzwerk der Kohlelobby und Kohlechemie dann sorgen. Angesichts wachsender globaler Krisen- und Kriegsgefahren ist das Argument einer sicheren Versorgung aus heimischen Rohstoffquellen jetzt schon zu vernehmen.

Zukunft ohne Kohle steht schon lange vor der Tür

Als Fazit bleibt: die Vergasung von Braunkohle setzt den fossilen Entwicklungspfad fort, anstatt ihn zu beenden, trägt weiter zur Verschärfung des Klimawandels bei und schafft Arbeitsplätze, die wegen der genannten Folgen sehr bald wieder gefährdet werden. Statt Braunkohle mit einem Aufwand von vielen Milliarden zu neuen Kunststoffen und anderen Chemikalien zu verarbeiten, sollte man das Geld lieber in bessere Recycling-Technologien stecken, die verhindern, dass Anlagen für neue Kunststoffe und andere Chemikalien gebaut werden müssen. Und in die Entwicklung energieeffizienterer Technologien, die große Mengen Treibstoffe einsparen könnten. Damit könnten sichere Arbeitsplätze geschaffen werden und Industrieanlagen, die nicht durch immense Emissionen das Weltklima und damit die Zukunft unserer Kinder gefährden.

Dr. Detlef Bimboes, geb. 1946, Mitglied der Ökologischen Plattform bei der Partei DIE LINKE
Bearbeitungsschluss: 20.11.2016


Fussnote(n)

[1↑] Minchener, Dr Andrew (General manager IEA Clean Coal Centre): Gasification based coal to chemicals in China: economic and environmental challenges, Vortrag auf der 8 th International Freiberg Conference zum Thema Innovative Coal Value Chains vom 12.-16. Juni in Köln.


  1. Minchener, Dr Andrew (General manager IEA Clean Coal Centre): Gasification based coal to chemicals in China: economic and environmental challenges, Vortrag auf der 8 th International Freiberg Conference zum Thema Innovative Coal Value Chains vom 12.-16. Juni in Köln