Anforderungen an eine linke Wirtschaftspolitik

von Klaus Steinitz

In der Märzausgabe von OXI hat Axel Troost einen Beitrag unter der Überschrift „Es geht nur europäisch. Anders und besser wirtschaften? Wie die Grundzüge linker Wirtschaftspolitik heute aussehen sollten“ veröffentlicht1. Er fasst diese Grundzüge in vier Eckpfeilern einer alternativen Wirtschaftspolitik zusammen:

  1. Öffentlich investieren und Stärkung des Öffentlichen einschließlich demokratischer Partizipation und Kontrolle,
  2. außenwirtschaftliche Ungleichgewichte durch aktives wirtschafts- und sozialpolitisches Eingreifen abbauen,
  3. Domestizierung der Finanzsphäre,
  4. Neuausrichtung der EU.

Es handelt sich hier zweifellos um Schwerpunkte linker Wirtschaftspolitik, deren von Troost vorgenommene inhaltliche Ausgestaltung ich für richtig halte.

Meine kritischen Bemerkungen beziehen sich auf zwei komplexe Probleme, die für das Verständnis linker Wirtschaftspolitik entscheidend sind, und die in dem Beitrag kaum berücksichtigt werden. Einmal werden das Wesen linker Wirtschaftspolitik, ihre Spezifik und ihre Unterschiede gegenüber neoliberaler Wirtschaftspolitik sowie ihre grundlegenden Ziele unzureichend geklärt. Zum anderen sind die vier genannten Schwerpunkte nicht ausreichend, um die Spannweite linker Wirtschaftspolitik zu zeigen. Dabei geht es mir keineswegs um ihre möglichst vollständige Aufzählung, aber doch darum, die wichtigsten Aufgaben, die meiner Auffassung nach wesentlich über die von Troost genannten vier Schwerpunkte hinausgehen, zu nennen und kurz zu charakterisieren. Dabei bin ich mir im Klaren, dass dies in dem folgenden kurzen Beitrag nur recht fragmentarisch möglich ist.

Zum ersten Problem. Es sollte davon ausgegangen werden, dass gegenüber der gegenwärtig vorherrschenden Praxis linker Politik und Programmatik, in denen linke Wirtschaftspolitik meist nicht den notwendigen Stellenwert erhält, die Wirtschaft eine bestimmende Rolle für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung spielt. Diese Rolle der Wirtschaft müsste sich auch in der Bedeutung, die linke Wirtschaftspolitik im Rahmen der gesamten Gesellschaftspolitik der Linken erhält, widerspiegeln. Weiterhin müsste deutlich werden, dass die Spezifik linker Wirtschaftspolitik sich vor allem darin äußert, dass einmal die Aufgaben der wirtschaftlichen Entwicklung dem Ziel untergeordnet werden, allen Menschen zu ermöglichen, ein gutes Leben in Freiheit, sozialer Gleichheit und ohne Zukunftsängste zu führen, und zum anderen, dass die natürliche Umwelt als unverzichtbare Grundlage eines guten Lebens angesehen wird und daher nachhaltig zu erhalten und zu verbessern ist. Linke Wirtschaftspolitik geht dementsprechend von der Einheit und den engen Wechselbeziehungen von Ökonomie, Sozialem und Ökologischem aus. Die Forderung nach sozial-ökologischem Umbau und die zielgerichtete Schaffung der hierfür erforderlichen Bedingungen gehört daher zu den grundlegenden, unverzichtbaren Forderungen und zum Wesen linker Wirtschaftspolitik. Schließlich sollte sich linke Wirtschaftspolitik auch dadurch auszeichnen, dass, soweit dies heute möglich ist, zukünftige ökonomische und wissenschaftlich-technische Entwicklungsprozesse und Veränderungen in den wirtschaftlichen Strukturen und Verflechtungen sowie deren voraussichtliche Wirkungen auf soziale und ökologische Prozesse untersucht und berücksichtigt werden.

Vor diesem Hintergrund verlangt die Charakterisierung des Wesens linker Wirtschaftspolitik eine fundierte Analyse der hierfür im gegenwärtig vorherrschenden Finanzmarktkapitalismus vorhandenen Spielräume sowie der Bedingungen und Möglichkeiten, diese im Ergebnis transformatorischer Prozesse im Kapitalismus zu erweitern. Dies schließt ein, die Grenzen linker Wirtschaftspolitik im Kapitalismus aufzudecken und damit auch zu begründen, warum die auf Ausbeutung, zunehmender Ungleichheit, Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse, Zerstörung der natürlichen Umwelt und einer äußerst widersprüchlichen Nutzung der neuen Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik beruhende kapitalistische Produktionsweise nicht ewig existieren kann und daher im Interesse einer dauerhaften Fortexistenz im Ergebnis einer langfristigen sozialistischen Transformation überwunden werden müsste.

Zum Wesen linker Wirtschaftspolitik gehört auch die differenzierte Charakterisierung ihrer Elemente als Ziele bzw. als Bedingungen, um die Ziele erreichen zu können. So sind die Forderungen nach Schaffung der erforderlichen institutionellen Voraussetzungen und Regelungen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene für eine Wirtschaftspolitik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung nicht das eigentliche Ziel linker Wirtschaftspolitik, sondern vor allem notwendige Bedingungen, um die Ziele überhaupt zu realisieren. Zu den wichtigsten Aufgaben zählt in diesem Zusammenhang die Gestaltung der Beziehungen zwischen staatlicher Regulierung einschließlich einer Stärkung demokratischer Einflussnahme und Kontrolle einerseits und spontaner Marktregulierung andererseits. Ohne wirksame öffentliche Regulierung und demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und ohne Zurückdrängen der marktbeherrschenden Rolle der mächtigen transnationalen Konzerne, darunter solcher Internetkonzerne wie Google, Facebook, Amazon, werden die Hemmnisse für den notwendigen sozial-ökologischen Umbau nicht zu überwinden sein.

Linke Wirtschaftspolitik unterscheidet sich nicht dadurch von der dominierenden neoliberalen Wirtschaftspolitik, dass in ihr hohe Effizienz und wirksame Innovationen der Wirtschaft eine geringe oder nur untergeordnete Rolle spielen. Die Unterschiede ergeben sich vielmehr daraus, wie Effizienz und Innovationen in linker Wirtschaftspolitik behandelt werden. Linke Wirtschaftspolitik ist zum einen darauf gerichtet, Effizienz und Innovationen nicht durch Intensivierung und Prekarisierung der Arbeit und rücksichtslosen Umgang mit der Natur, sondern mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen („gute Arbeit“) und schonendem, nachhaltigem Umgang mit der Natur zu verbinden, und zum anderen, dass die Ergebnisse höherer Effizienz und Wirksamkeit von Innovationen nicht zur weiteren Steigerung der Profite und der Privatvermögen des Großkapitals sondern verstärkt für Aufgaben zur Verbesserung des Lebensniveaus der abhängig Beschäftigten und insbesondere der unter prekären Bedingungen Leben­den und Arbei­ten­den sowie zur Erhöhung sozialer Sicherheit in allen Lebensphasen ein­ge­setzt werden..

Eine knappe Skizzierung realistischer Anforderungen bzw. Herausforderungen an eine linke Wirtschaftspolitik in einer nichtkapitalistischen, sozialistischen Gesellschaft könnte dazu beitragen, die in der Bevölkerung stark verbreiteten Vorbehalte gegenüber einer sozialistischen Perspektive zu verringern. Sie sind in hohem Maße auf strukturelle Fehlentwicklungen und Defizite des gescheiterten Realsozialismus zurückzuführen. Diese Vorbehalte zu überwinden verlangt, deutlich zu zeigen, wie die grundlegenden negativen Merkmale der kapitalistischen Gesellschaftsformation beseitigt werden können, und gleichzeitig ihre für den ökonomischen Fortschritt positiven Eigenschaften, wie schöpferische unternehmerische Initiativen, starke Anreize für Innovationen, Signal- und Allokationsfunktionen der Märkte, erhalten werden können. Z.B. sollte hervorgehoben werden, dass kleine und mittlere Unternehmen und Selbständige in einer sozialistischen Gesellschaft eine gesicherte Perspektive erhalten müssen.

Hinsichtlich der Schwerpunkte einer linken Wirtschaftspolitik sollten die von Troost angeführten vier unverzichtbaren Eckpfeiler alternativer, linker Politik unbedingt um weitere ergänze werden. Hierzu gehören:

Erstens Aufgaben des sozial-ökologischen Umbaus. Aufgrund der fundamentalen Bedeutung dieses Umbaus genügt es nicht, wenn Troost in seinem ersten Punkt diesen in einem Halbsatz kurz erwähnt. Der sozial-ökologische Umbau sollte als tragender, ständiger Schwerpunkt linker Wirtschaftspolitik hervorgehoben werden. Die Spezifik einer umweltschonenden Wirtschaftsweise in einem linken Konzept ergibt sich insbesondere aus der Einheit und gegenseitigen Verflechtung von sozialen und umweltpolitischen Erfordernissen, die nur gemeinsam zu erfüllen sind. In diese Problematik sollten Wachstumskritik sowie Vorstellungen und Voraussetzungen einer Postwachstumsgesellschaft integriert werden.

Zweitens geht es um die unverzichtbare Aufgabe, dem Neoliberalismus eine Politik entgegenzusetzen, die die weitere Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse im nationalen, europäischen und besonders auch im globalen Maßstab beendet und umkehrt. Auf dem Wege einer progressiven ökonomischen und konsequent solidarischen Entwicklungspolitik gilt es, langfristig die Bedingungen für ein gutes Leben aller Menschen herauszubilden. Zu einer linken Politik gehört in diesem Zusammenhang auch die Ausarbeitung und schrittweise Verwirklichung eines neuen Wohlstandsmodells, das – zunächst in den Industrieländern und langfristig auch im globalen Maßstab – nicht weiterhin auf das ständige quantitative Wachstum materieller Güter für den Konsum setzt, sondern verstärkt auf die Verbesserung der Lebensqualität gerichtet ist.

Drittens gehört zu den Schwerpunkten linker Wirtschaftspolitik, die ökonomischen Bedingungen dafür schrittweise zu verbessern, die vorherrschende Tendenz steigender sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit aufzuhalten und in die entgegengesetzte Richtung umzukehren. Das schließt ein, eine erhöhte soziale Sicherheit in allen Lebensphasen zu schaffen und Zukunftsängste abzubauen. Wichtige Voraussetzungen hierfür bilden eine Politik, die die Rahmenbedingungen der Lohnpolitik der Gewerkschaften im Interesse der abhängig Beschäftigten verbessert, so dass der Lohnanteil an den Primäreinkommen (Lohnquote) wieder steigt, und eine auf gerechter Umverteilung sowie auf einer Bürgerversicherung beruhende Steuer- und Abgabenpolitik.

Viertens gehört zu den Forderungen linker Wirtschaftspolitik, die Beziehungen zwischen einseitiger und völlig überzogener Dominanz von Marktprozessen, die von staatlichen Einflüssen sind und den Verwertungsinteressen des Kapitals untergeordnet sind, und einer staatlichen Regulierung makroökonomischer Grundzusammenhänge und wichtiger Strukturprozesse der gesellschaftlichen Reproduktion neu zu gestalten. Dies schließt ein, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die zerstörerischen Wirkungen finanzieller Großspekulationen, der Steuerhinterziehung und der Aushöhlung staatlicher Regulierungen des Arbeitsmarkts zu beseitigen.

Fünftens sollte linke Wirtschaftspolitik als einen Schwerpunkt die Förderung von Innovationen umfassen, die positive Wirkungen für das Erreichen ökonomisch, sozial und umweltpolitisch wichtiger Ziele hervorrufen. Das schließt ein, die Ambivalenz der Wirkungen neuer Technologien und Produkte zu berücksichtigen und schädliche Wirkungen öffentlich zu thematisieren und zu kritisieren. Dies betrifft gegenwärtig besonders die mit der Digitalisierung und der „Industrie 4.0“ verbundenen häufig äußerst widersprüchlichen Auswirkungen.

Sechstens sollten die notwendigen internationalen und globalen Anforderungen als ein Schwerpunkt linker Wirtschaftspolitik berücksichtigt werden. Sie umfassen ein äußerst breites Spektrum von Zielen und Bedingungen, von einer solidarischen Politik zum Zurückdrängen der in großen Teilen der Welt herrschenden Armut, über konkrete Schritte für eine gleichberechtigte Teilnahme aller Staaten an einer ihre Entwicklung fördernden internationalen Arbeitsteilung, bis zur Umgestaltung von Wertschöpfungsketten, die zu Lasten des Südens gehen und diese Länder besonders den Umweltbelastungen aussetzen.

Siebtens sollten aus den vorliegenden Prognosen und Einschätzungen zukünftiger Entwicklungsprozesse tiefgreifende technologische Umwälzungen abgeleitet werden. Diese basieren auf den Prozessen der Digitalisierung und Industrie 2.0 und strukturellen Veränderungen der Wirtschaft. Daneben müssen aus den umweltpolitischen und sozialen Erfordernissen – Stärkung von Bildung, Gesundheit, Pflege, Kultur, – auch wirtschafts- und beschäftigungspolitische Konsequenzen gezogen werden.

Unter Berücksichtigung der zu Beginn genannten Anforderung, die Bedeutung linker Wirtschaftspolitik im Rahmen einer linken Gesellschaftspolitik stärker hervorzuheben, und ihr Wesen besser sichtbar zu machen sowie durch die Verbindung der vier Schwerpunkte von Troost mit den sieben weiteren hier genannten könnte eine breite Diskussionsgrundlage geschaffen werden, die dazu beiträgt, ein gemeinsames Projekt linker Wirtschaftspolitik auszuarbeiten.

Hierin sollten natürlich auch andere Ausarbeitungen und Überlegungen zu linker Wirtschaftspolitik, die bisher vorgelegt wurden und in verschiedenen Publikationen und internen Arbeitspapieren enthalten sind, einbezogen werden: u.a. die Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Transformationsforschung, die Gewerkschaften Ver.di und IG Metall zur Arbeits- und Lohnpolitik, die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die jedes Jahr in den Memoranden Vorschläge für alternative Wirtschaftspolitik unterbreitet, die AG Wirtschaftspolitik der LINKEN., Sozialistische Studiengruppen e.V. (SOST) sowie Ausarbeitungen der ökologischen Plattform.


1 Vgl. Axel Troost, Es geht nur europäisch. Anders und besser wirtschaften? Wie die Grundzüge linker Wirtschaftspolitik heute aussehen sollten, in: OXI Nr. 3/2018, S.6