Strategische Aufgabe DER LINKEN

Insbesondere seit den letzten Wahlen wird in DER LINKEN verstärkt darüber diskutiert, wie der Rechtsruck in der Gesellschaft aufzuhalten ist. Die Antworten betreffen alle Politikbereiche und reichen von einem trotzigen „Weiter so“ bis zum vorsichtigen Infragestellen bisheriger Grundpositionen einerseits und andererseits zur Forderung, vor allem den antikapitalistischen Aussagen des Parteiprogramms Geltung zu verschaffen.

Unzureichend entwickelt ist jedoch in der Linken (nicht nur in der Partei) eine offene, kameradschaftliche Diskussion über die Ursachen und die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Angesicht der häufigen Betonung unterschiedlicher Auffassungen stellt sich damit die Frage nach den Gemeinsamkeiten der Linken insgesamt und Mitglieder in DER LINKEN ‒ also:

Was ist links?

Links ist offenbar relativ: nicht Mitte und schon gar nicht rechts.
Eine solche Positions- und/oder Richtungsbestimmung ist überall anwendbar: in jeder Diskussion, Gruppe, Partei ‒ ja selbst in konservativen Parteien gibt es (relativ zu diesen) linke Strömungen. Links sein ist also leer, nichtssagend ‒ oder Ausdruck eines unklaren, nicht näher spezifizierten Gefühls. Das trifft aus meiner Sicht auch auf den Namen der LINKEN zu: Beim Zusammenschluss von PDS und WASG war nur klar, dass eine linke, bundespolitisch wirksame Partei entstehen sollte; konkrete Ziele und Politik mussten erst erarbeitet, genauer erstritten werden. Klar war aber eine wichtige Aufgabe: die neue Partei auf Bundesebene fest zu verankern. Da in dieser Situation lange Diskussionen ‒ auch über den Namen ‒ eher störten, also „DIE LINKE.“ ‒ mit Punkt am Ende. Basta! Dass mit dieser Namenswahl ein linker Alleinvertretungsanspruch in Kauf genommen wurde, rief nur am Rande Diskussionen hervor. Heftiger war dagegen der Streit um die strategische Ausrichtung und die konkrete Politik der Partei, der 2011 ein vorläufiges Ende fand. Das Erfurter Programm vereint ein langfristiges antikapitalistisches Ziel mit konkreten Politikansätzen unter den gegebenen kapitalistischen Bedingungen. Allerdings hat sich diese Einheit im Alltagsleben DER LINKEN nicht ausreichend widergespiegelt. Eine wesentliche Ursache ist die Einbettung DER LINKEN in den parlamentarisch orientierten Politikbetrieb auf allen Ebenen. Das führte und führt weiterhin zum Übergewicht der Tagespolitik gegenüber grundlegenden Ansätzen, die Gesellschaft langfristig zu verändern und eine zukunftsorientierte Gesellschaft aufzubauen. LINKE Politik ist somit wesentlich bestimmt von aktuellen Themen, die der kapitalistische Mainstream bestimmt. So wird sie auch wahrgenommen: eingeordnet (und eingepasst) in das politische System der Bundesrepublik ‒ ohne „große Erzählung“1. Ein Versuch, diese Situation zu überwinden und eine Vision zu eröffnen, kam von Teilen der Bundestagsfraktion mit dem „Plan B“, doch die LINKE selbst hat ihn nicht aufgegriffen. Ökologische Fragen sind immer noch Ressortprobleme ‒ Widerspiegelung der im parlamentarischen System vorhandenen Aufgaben- und Kompetenzverteilung. Die unterschiedlichen Politikbereiche Soziales, Wirtschaft, internationale Sicherheit und nicht zuletzt Ökologie und Klimaschutz zusammen zu denken und gemeinsame Lösungsansätze zu finden (oder zumindest zu suchen), kann unter diesen Umständen nicht gelingen. Die Folge der (teilweisen) Unfähigkeit, die Probleme der anderen „Ressorts“ ‒ die das eigene doch genau so betreffen ‒ zu verstehen, ja manchmal überhaupt zur Kenntnis zu nehmen führt zu gegenseitigem verbalen Prügeln mit Statements statt gemeinsamer Diskussion, paralysierenden „Grabenkämpfen“, Verdächtigungen und Schwächung der LINKEN selbst dort, wo sie gegen andere Parteien kämpft: in der Akzeptanz der Wähler. Es kann kein Trost sein, dass das bei anderen Parteien auch auftritt.

Was könnte oder sollte(!) „links“ sein?

Ursprünglich stammt die Bezeichnung links tatsächlich aus der (Sitz-)Verteilung in der französischen Nationalversammlung, in der die Gegner der Monarchie links saßen. Damals waren die Linken fortschrittlich, die rechts sitzenden Monarchisten reaktionär. Die Übernahme dieser Sitzordnung in der Weimarer Republik mit den Kommunisten links und weniger revolutionären Parteien weiter rechts führte schließlich zu der Etikettierung fortschrittlicher bzw. revolutionärer Parteien, dem Ersatz der inhaltlichen Positionen durch „links“. Wichtiger wäre aber der Inhalt. Doch was ist Fortschritt? Es gibt widersprüchliche Fortschrittsauffassungen (z.B. technisch-technologische, Wachstums-, Sozial-, Demokratie-/Freiheits-orientierte).

Mein Ansatz ist einfach: Was das Überleben aller Menschen sichert und erleichtert, ist Fortschritt. Dieses Kriterium ist allen anderen übergeordnet.
Daher muss wirklich linke Politik gegenwärtig ohne Wenn und Aber den Kampf gegen die größten Menschheitsbedrohungen (Klimawandel sowie Kriege einschließlich der immer noch nicht gebannten Gefahr einer atomaren Selbstausrottung) beinhalten und soziale Sicherheit und Gleichberechtigung im globalen Rahmen anstreben. Da das offenbar im Kapitalismus nicht erreichbar ist2, ist linke Politik ohne konsequenten Antikapitalismus undenkbar. Ein wesentliches Hindernis ist das kapitalistische Eigentum, dessen (ggf. schrittweise) Überwindung nicht ausgeklammert werden darf. Nicht ohne Grund haben die Verfasser*innen des Grundgesetzes aus der Erfahrung des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges die Möglichkeit der Enteignung mit aufgenommen. 3

Die meisten LINKEN werden dem wahrscheinlich sogar zustimmen, sehen aber keine aktuelle Möglichkeit, das zu erreichen. Die Folge: Diese Aufgaben werden als strategisch, in ferner Zukunft zu lösen angesehen, ohne dass ein Bezug zur täglichen Politik hergestellt wird. Das bedeutet Selbstbeschränkung im Großen und Konzentration auf kleine Verbesserungen der Lebensumstände im Umfeld (Kommune, Land, Deutschland, höchstens in der EU). Ich kritisiere keinesfalls kleine Verbesserungen ‒ sofern sie nicht dem oben genannten Fortschrittskriterium zuwiderlaufen!

Dass und wie kleine Schritte innerhalb einer Gesellschaft zu ihrer Großen Transformation werden können, haben Dieter Klein4 und andere Forscher der Rosa-Luxemburg-Stiftung gezeigt5. Doch D. Klein stellt auch fest: „Reformen, die (…) Fragen der Überwindung der Dominanz kapitalistischen Eigentums und des Profits in Wirtschaft und Gesellschaft und der Eroberung realer Volkssouveränität ausweichen, werden den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht entsprechen können. Ein Festhalten an Wandel nur durch zahme Reformen wird in noch tiefere Krisen führen – auch wenn sie mit dem Verweis auf die negativen Seiten der Revolution begründet werden.6
Eine emanzipatorische Transformation überwindet das Grunddefizit des Reformkonzepts, die Selbstbegrenzung von Reformen durch den Verbleib in den Grenzen der kapitalistischen Eigentums-, Verfügungs- und Machtverhältnisse mit der ständigen Gefahr, dass die Machteliten Reformschritte in ihren eigenen Herrschaftsmechanismus integrieren oder ganz zurückdrehen. Sie vermag dieses Grunddefizit zu überwinden, indem sie gewiss nicht alle privatkapitalistischen Unternehmen abschafft, wohl aber die Dominanz des großen Kapitaleigentums und damit die Profitdominanz samt der Abhängigkeit der Politik vom Einfluss der mächtigsten Kapitale. (…) Eine emanzipatorische Transformation überwindet aber nicht allein die Defizite und Grenzen von Reformen. Sie beendet ebenso die Unterschätzung von Reformen unter gegebenen Bedingungen. Sie bewahrt die Stärken des Reformismus, der durch eine lange Folge vieler Teilreformen sozialen und politischen Fortschritt ermöglicht und Mehrheiten der Bevölkerung für das heute Machbare zu gewinnen vermag. Sie verbindet diese Vorzüge mit den Stärken des revolutionären Ansatzes, mit dem Beharren auf der Konsequenz notwendiger Veränderungen, auf Umwälzung des Kerns der Eigentums-, Verfügungs- und Machtverhältnisse und auf der Öffnung von Reformen für ein Überschreiten der Grenzen des Kapitalismus.7 Das ist der Anspruch linker Politik – zumindest auf dem Papier.

Also alles gut?

So sehr mich das Transformationskonzept aus entwicklungstheoretischer Sicht fasziniert und überzeugt ‒ mein Problem damit ist der Widerspruch zwischen der für Transformationen notwendigen und der zur Verfügung stehenden Zeit. Wenn das Pariser Klimaziel (Begrenzung der Erderhitzung8 deutlich unter 2° gegenüber dem vorindustriellen Niveau) erreicht werden und damit größere Gefahren für ein menschenwürdiges Leben auf der Erde abgewendet werden sollen, müssen in Deutschland beschleunigt Langzeitspeicher gebaut werden sowie der Kohleausstieg bis 2030 und die vollständigen Dekarbonisierung bis 2040 vollzogen sein9! Das ist eine gewaltige Aufgabe, vor allem, wenn sie entsprechend LINKEM Anspruch sozial gerecht gelöst werden soll. Die bornierte Weigerung der (fünften und sechsten) Parteitage DER LINKEN, sich ihr zu stellen und das eigene Programmziel, den sozial-ökologischen Umbau bzw. wenigstens einen darauf zielenden Antrag im Plenum zu behandeln, ist einfach verantwortungslos10.

Die Erderhitzung ist nicht die einzige Bedrohung – wir sind auf dem Weg in eine „Vielfachkatastrophe“11, in der die Klimaproblematik durch Übervölkerung und Hunger, Ressourcenknappheit, Verlust der Biodiversität, Vergiftung der Umwelt und die Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems selbst verschärft wird. Auch die Probleme sind direkte oder mittelbare Folge der kapitalistischen Wirtschaftsweise.

Diese Zusammenhänge aufzuklären und den Kapitalismus zu überwinden ist ein objektives Erfordernis linker Politik. Es reicht nicht aus, nur seine neoliberalen Auswüchse und das Finanzkasino zu bekämpfen. In einer Zeit, in der vor allem die Medien politische Meinungen transportieren (oder verfälschen), muss – damit die Nachricht wenigstens manchmal durchdringt – bei jeder linken Aktivität auch aufgezeigt werden, dass der kritikwürdige Zustand ein Merkmal des Kapitalismus und die angestrebte Maßnahme (nur) ein Schritt zu seiner Überwindung ist.12

Kurzfristig kann das dazu führen, dass angestrebte Regierungskoalitionen nicht realisiert werden können – doch auch der bisherige Kurs hat DIE LINKE (vorher PDS) zwar in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg und Thüringen in Regierungen, aber der Lösung der Menschheitsprobleme nicht näher gebracht: Brandenburg hält (noch) an der Braunkohle fest, Thüringen stimmte der Autobahnprivatisierung zu, und in Berlin hat sich DIE LINKE an Privatisierungen und Kaputtsparen des öffentlichen Dienstes beteiligt und gegen das Volksbegehren zur Offenlegung der Geheimverträge der Wasserprivatisierung gewandt. In Regierungsverantwortung hat DIE LINKE regelmäßig an Zustimmung verloren und sich von ihrem Ziel entfernt, die Gesellschaft „von oben“, mit der „Macht“13 der Regierung sozialer und demokratischer zu machen. Das DER LINKEn bei einem Teil ihren ehemaligen Wähler anhaftende Image, zu denen „da oben“ zu gehören, zeigt, wie wichtig ein Kurswechsel ist.

Wenn DIE LINKE die antikapitalistischen Aussagen ihres Parteiprogramms ernst nimmt und darauf aufbauend eine Diskussion organisiert, in der sowohl die aktuellen Probleme als auch globalen Bedrohungen in ihrem Zusammenhang behandelt und eine Lösung zugeführt werden, hat sie die Chance zu wachsendem Einfluss in der Gesellschaft ‒ als (nur kritische) Mitverwalterin des Kapitalismus nicht.

Relativ links reicht nicht.


1 „Der Linken fehlt eine solche neue Erzählung. Wir brauchen einen sozial-ökologischen Deal.“ (https://www.tagesspiegel.de/politik/linken-vize-katja-kipping-im-interview-wir-muessen-uns-der-gruenen-herausforderung-stellen/4070954.html; abgerufen 5.5.2018)

2 siehe z.B. die „Erfolge“ im Klimaschutz seit dem Umweltgipfel in Rio (globale Klimarahmenkonvention 1992)

3 Sahra Wagenknecht hat in „Reichtum ohne Gier“ dazu Ideen entwickelt, über die in der LINKEN zumindest diskutiert werden sollte.

4 Dieter Klein: „Das Morgen tanzt im Heute – Transformation im Kapitalismus und über ihn hinaus“, VSA Hamburg 2013, ISBN 978-3-89965-568-1

5 „ABC der sozialistischen Transformation: Doppelte Transformation“, in Luxemburg Mai 2017, https://www.zeitschrift-luxemburg.de/abc-der-sozialistischen-transformation-doppelte-transformation/; abgerufen 5.5.2018

6 a.a.O. S. 116

7 a.a.O. S. 119F; Hervorhebung W.B.

8 Ich vermeide den einlullenden Begriff „Klimawandel“. Siehe auch Beiträge zur Umweltpolitik – Heft 26: „Politische Begriffe und ihre Anwendung in der Ökologie“; https://www.oekologische-plattform.de/2017/03/beitraege-zur-umweltpolitik-heft-26/; abgerufen 5.5.2018

9 https://www.oekologische-plattform.de/2016/08/energiewende-bis-mitte-des-naechsten-jahrhunderts/, abgerufen 5.5.2018

10 siehe z.B. https://www.oekologische-plattform.de/2016/05/unser-aenderungsantrag-an-den-5-parteitag/; abgerufen 5.5.2018

11 Beiträge zur Umweltpolitik – Heft 9: „Wohlstand“ nach der Vielfachkatastrophe; https://www.oekologische-plattform.de/2012/10/beitrage-zur-umweltpolitik-22012/; abgerufen 5.5.2018

12 Wenn dieser Nachweis nicht gelingt, ist die entsprechende Maßnahme zumindest fragwürdig.

13 „Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten“ (Tucholsky?);
Host Seehofer. „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt sind, ham nix zu entscheiden.“ in: https://www.youtube.com/watch?v=3zuO_Ed__KA; abgerufen 6.5.2018