100% – wovon?

Die Bundestagswahl 2013 ist Geschichte und DIE LINKE – wie sich Gregor Gysi freute – drittstärkste Partei im Bundestag. Wie hat DIE LINKE das erreicht? Ist so stark, ist ihr gesellschaftlicher Einfluss so gewachsen? Vertritt sie nicht nur die besseren Zukunftskonzepte, sondern werden diese von den Wählern auch honoriert?

Auf diese Fragen gibt der dritte Platz im Bundestag keine Antwort – auch nicht unter der Annahme, dass Gregor Gysi Oppositionsführer wird und DIE LINKE die Regierung „vor sich her treiben kann“ – zumal das noch nicht einmal ausgemacht ist. (Wenn die CDU mit den Grünen koaliert, wird nicht DIE LINKE, sondern die SPD führende Koalitionspartei.)
Aufschlussreicher ist schon die Entwicklung der Wahlergebnisse.
DIE LINKE hat im Vergleich zur vorigen Bundestagswahl 3,3% ihrer Stimmen verloren. Das war nach der ausgeschiedenen FDP das zweitschlechteste Ergebnis aller vorher im Bundestag vertretenen Parteien. Der dritte Platz  ist ein Pyrrhussieg.
Absolut hat DIE LINKE bundesweit 1,2 Mio Erst- und 1,4 Mio Zweit-Stimmen verloren[1] und damit sogar weniger erreicht als bei der ersten Teilnahme nach ihrer Gründung 2005 (-178.990 Erst- und -362.495 Zweitstimmen).

Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Dabei beunruhigt mich insbesondere die Abwanderung zu den Nichtwählern. Diese zeigt meines Erachtens, dass 320.000 Menschen (=fünf mal so viel, wie DIE LINKE Ende 2012 Mitglieder hatte) bei der Wahl 2009 in DIE LINKE Hoffnungen  gesetzt haben und in der letzten Wahlperiode so enttäuscht wurden, dass sie der Meinung sind, jetzt sei alles egal, es lohnt sich nicht zu wählen. [2]

Die Zahlen zeigen, dass DIE LINKE offenbar nicht so stark ist, wie der dritte Platz glauben machen könnte. Dieser ist nur erreicht worden, weil  die Grünen noch stärker abgestürzt sind. Er ist keinesfalls Ausdruck gewachsener Stärke, sondern der Schwäche (linker) Alternativen.
Die Grünen waren bis vor einigen Jahren Hoffnungsträger – sowohl auf ökologischem, als auch – zu Beginn – auf sozialem Gebiet. Zu dieser Zeit waren sie auch (noch) nicht regierungsfähig. In dem Maße, in dem ihnen ihre alternativen gesellschaftlichen Ziele „verloren gegangen“ sind, wurden auch immer wieder Wähler enttäuscht, obwohl ihnen das Etikett der Ökologiepartei weiterhin anhaftet(e). Nach ihrem bisher größten Erfolg, dem Sieg bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, begann die Wählergunst zu bröckeln. Es wurde und wird immer deutlicher, dass die Grünen nach Aufgabe ihrer alternativen Gesellschaftsziele immer weniger in der Lage sind, glaubwürdige ökologische Lösungen anzubieten. Dennoch sehen viele NROs traditionell die Grünen in erster Linie als ihre ökologischen Ansprechpartner – mit dem Nebeneffekt, dass sie deren Verhalten dann auch besonders gründlich analysieren. [3]

DIE LINKE im Wahlkampf

DIE LINKE ist mit dem gesellschaftspolitischen Ziel des demokratischen Sozialismus angetreten. In ihrem Parteiprogramm (klick) steht der Kampf „für einen sozial-ökologischen Umbau“ zwischen dem „für eine andere, demokratische Wirtschaftsordnung“ und dem „Recht auf gute, existenzsichernde Arbeit“. Hier bilden Wirtschafts-, Sozial- und ökologische Politik eine Einheit. Im „Plan B (klick)“ wurde diese weiter ausgeführt.

Ein Bundestagswahlprogramm (klick) kann naturgemäß nur konkrete, machbare Schritte der nächsten Jahre zu dem im Parteiprogramm gezeichneten Ziel benennen. Unter der Überschrift „100% sozial (klick)“ wird der Schwerpunkt eindeutig auf den sozialen Aspekt gelegt – ohne andere, wesentliche Aufgaben zu ignorieren. [4] Dazu kann es keine zwei Meinungen geben: Auch die Ökologen in DER LINKEN wollen Politik für die Menschen – allerdings nicht nur für die jetzt und hier Lebenden, sondern auch für nachfolgende Generationen ebenso, wie für alle Menschen des Globalen Südens.

Doch „100% sozial“ kann zweierlei bedeuten:

  1. Wir setzen uns für die Lösung aller (100%) sozialen Probleme ein – oder
  2. wir setzen uns zu 100% für die Lösung sozialer Probleme ein – und für nichts weiter.

Nach Beschluss des Wahlprogrammes in Dresden schien die erste Interpretation unbestritten. Doch schon während des Wahlkampfes erreichten die Internetredaktion E-Mails mit folgenden Inhalten:

  • DIE LINKE im Wahlkampf: Ökologische Themen sind ebenso wichtig wie soziale! Denn wo die natürlichen Lebensgrundlagen schwer geschädigt oder zerstört sind, ist Sozialpolitik nicht mehr möglich. Beides hängt zusammen. Deshalb sollten wir die Ökologie auch im Wahlkampf nicht den Grünen überlassen! Die GenossInnen auf der ÖKOLOGISCHEN PLATTFORM bei DER LINKEN  strampeln sich ab und leisten da gute Vorarbeit.
  • Ich würde es sehr wichtig finden, wenn regelmäßig in unseren zentralen Publikationen (Klar, Clara, Disput etc.) Themen zum Umweltschutz gebracht würden. Damit wären dann auch die GenossInnen stärker mit diesen Themen konfrontiert und es würde eine größere Sensiblisierung entstehen. Gleichzeitig würden wir auch in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen als eine Partei, die sich diesen Themen annimmt. Viele junge Menschen politisieren sich an den Umweltschutzthemen, an Ernährungsfragen und leiten daraus auch ihre Imperialismuskritik ab. Fühlen sich aber in diesen Fragen bei den Grünen besser aufgehoben, weil sie unsere Positionen gar nicht kennen.
  • Hallo liebe Genossinnen und Genossen von der Ökologischen Plattform, warum seid Ihr nicht mit Artikeln in der Wahlkampfzeitung???

Götz Brand maß die Wahlkampflosung DER LINKEN im Heft „100% ökologisch (klick)“ unserer Beiträge zur Umweltpolitik  (https://www.oekologische-plattform.de/publikationen/broschurenreihe-beitrage-zur-umweltpolitik/)  an den gesellschaftlichen Erfordernissen und machte konkrete Vorschläge, wie das Erscheinungsbild DER LINKEN im Wahlkampf auch auf unsere ökologischen Angebote erweitert werden kann. Unabhängig davon wurde dieses Thema im Koordinierungsrat der Ökologischen Plattform am 30.8. behandelt. Das Ergebnis der Diskussion war ein Schreiben an die beiden Parteivorsitzenden mit der Bitte, „generell und besonders noch bis zur Wahl zu helfen, dass das „ökologische“ Bild der LINKEN etwas aufgebessert wird.

Aus der Antwort des Parteivorstandes[5]:

„… In dem Energiethema klingt zumindest die ökologische Frage an.
Unsere Partei gilt nicht als Ökologie-Partei, auch wenn unser Programm darin topp ist. Das Thema gilt als grünes Thema und wenn man es thematisiert, werden auch immer die Grünen mit thematisiert. Auch ihr sagt ja, dass wir das thematisieren sollen, damit das Image der Medien [gemeint ist hier wahrscheinlich das Image der Partei in den Medien] umgedreht wird. Das ist im Wahlkampf einfach nicht möglich…“

Wie ist das zu werten?

  1. Mit der Einschätzung „In dem Energiethema klingt zumindest die  ökologische Frage an“ wird das ökologische, soziale, wirtschaftsdemokratische und emanzipatorische Potential, das in einer echten Energiewende liegt, völlig verfehlt.
    In seiner Rede[6] auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat Hermann Scheer dieses Potential aufgezeigt. Auch führende Politiker DER LINKEn können davon etwas lernen.
  2. Ein Thema, das andere Parteien besetzen, stärkt diese? Schön wär’s ja. Dann hätten Grüne, SPD und CDU mit dem Mindestlohnthema Wahlkampf für DIE LINKE gemacht?
    Warum hat DIE LINKE dann mit ihrem Brot-und-Butter-Thema Stimmenverluste erzielt?
  3. Das Image einer Partei kann im Wahlkampf nicht gedreht werden? Wann denn? Und wann soll damit begonnen werden?
    Die oben angeführten Stellungnahmen, die uns erreicht haben, zeigen, dass ein Bedarf an einer linken ökologischen Partei besteht. Es sollte nicht darum gehen, „das Image zu drehen“, sondern seine Stärken offensiv zu vertreten – auch das ist eine Marketingstrategie. Und wenn das LINKE „Programm darin [=Ökologie] topp ist“, wenn Ökologie also eine Stärke DER LINKEN ist, dann hat der Parteivorstand einen wichtigen Inhalt der Partei geopfert. Reklame statt Inhalt?

Übertriebene Kritik?

Auf der Klausurtagung DER LINKEN Bundestagsfraktion wurde ein 100-Tage-Programm (klick) beschlossen. Von dem Top-Thema Ökologie ist darin kaum etwas zu finden. Als letzter der darin aufgeführten 10 Punkte steht

„Wir wollen, dass Deutschland zum Motor einer sozialen und demokratischen Wende in Europa wird.“

Und darin versteckt sich

„Wir unterstützen keine Bankenrettungspakete, sondern fordern stattdessen ein europaweites sozial-ökologisches Investitionsprogramm. Wir werden beantragen, dass Spareinlagen und das gewerbliche Kreditgeschäft privater Banken abgesichert werden. Dies darf nur nach Haftung der Eigentümer und Gläubiger von Banken und nicht mehr ohne Gegenleistungen erfolgen (öffentliche Anteile und Einfluss auf die Geschäftspolitik).“

Das Ziel von Eva Bulling-Schröter in der Klausurberatung war, in das 100-Tage-Programm die Formulierung eines Kohleausstiegsgesetzes aufzunehmen, welches bislang nur innerhalb eines Antrages mit Eckpunkten existiert.
Sie  ist gegen eine überwältigende Mehrheit gescheitert.

In dieser Fraktion spielt Ökologie nur eine untergeordnete Rolle. Das, was sie praktiziert, ist Sozial- und Friedenspolitik mit Scheuklappen. Sie braucht Druck, damit sich das ändert.

Wie weiter?

Niko Paech hat vorgeschlagen, eine neue ökologische Partei in Deutschland zu gründen (ND 12.8.13). Er sieht darin eine »historische Notwendigkeit«.

Wenn man sich den desolaten Zustand der Grünen und noch mehr DER LINKEN (auf ökologischem Gebiet) ansieht, erscheint dieser Vorschlag zunächst verlockend: Lasst uns zusammentun und gemeinsam Umweltpolitik betreiben – dann sind wir die auf Wirtschafts- und Sozialpolitik fixierten und anderen engstirnigen Menschen endlich los.

Ich halte davon zur Zeit nichts, denn Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik müssen gemeinsam gelöst werden – egal ob innerhalb einer oder zwischen verschiedenen Parteien. Dazu sind gesellschaftliche Alternativen unumgänglich, die zur Zeit nur von DER LINKEN angestrebt werden.
Bei Gründung einer neuen Ökopartei müsste zunächst die Frage ihrer gesellschaftlichen Orientierung geklärt werden, sonst tritt sie in die kapitalismus-konformen Fußstapfen der Grünen oder wird eine linke Splittergruppe. Beides wäre eine Schwächung der Kräfte und für einen sozial-ökologischen Umbau der (gesamten!) Gesellschaft von Schaden.
Vernetzung und Koordination der eigenständigen ökologisch orientierten Initiativen, Organisationen, Vereine und Verbände ohne gegenseitige Bevormundung und Zwang erscheint mir eher erfolgreich, denn das ermöglicht gemeinsame Wirkung auf dem breiten Feld der Umweltpolitik. Es ermöglicht vor allem koordinierten Druck von verschiedenen Seiten auf die politischen Parteien.

Wolfgang Borchardt
14.10.2013


[1↑] siehe Endgültiges Ergebnis der Bundestagswahl 2013

[2↑] Pikant ist dagegen, dass „DIE LINKE als sozialistische Partei“, die „den demokratischen Sozialismus“ als Ziel verfolgt, ausgerechnet 90.000 ehemalige FDP-Wähler für sich gewinnen konnte. (Zitate siehe Programm der Partei DIE LINKE (klick) – Präambel)

[3↑] Aus der Rundmail des Solarenergie-Fördervereins Deutschland e.V. :

„Unter https://www.sfv.de/artikel/welche_parteien_setzen_sich_fuer_den_schnellen_umstieg_auf_100_prozent_erneuerba (klick)
stellt der SFV dar, dass im Wahlkampf KEINE Partei ein überzeugendes Programm für den Kampf gegen den Klimawandel angeboten hat und geht dabei insbesondere auf die Rolle der Grünen ein.“

[4↑] Die Kapitel lauten

  1. Solidarität neu erfinden: Gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit
  2. Die Krise überwinden.  Demokratie und Sozialstaat verteidigen – hier und europaweit
  3. Friedlich und gerecht in der Welt. Nein zum Krieg
  4. Die Gesellschaft sozial, ökologisch und barrierefrei umbauen und die Wirtschaft demokratisieren
  5. Demokratische Teilhabe: für eine Demokratie, in der es etwas zu entscheiden gibt

[5↑] Unser Brief und die Antwort werden in der Tarantel 62 (klick) abgedruckt.

[6↑] Der komplette Vortrag “Power to the people! Neue Energie für linke Alternativen” findet sich in der Tarantel Nr. 53 (klick)
siehe auch eine Rede zum ähnlichen Thema auf youtube (klick)