Gegen die Mehrheit: Das Abenteuer Agro-Gentechnik

Rede am 17.05.2008 zur Tagung „Natur als Beute“ (überarbeitet)

Kirsten Tackmann (MdB)

Das Thema Agro-Gentechnik kann aus ganz verschiedenen Blickwinkeln diskutiert werden. Ich möchte das in meinem heutigen Vortrag vor allem aus einer linken, kapitalismus- und globalisierungskritischen Perspektive tun. Denn es ist ein Alleinstellungsmerkmal der LINKEn, zur Entwicklung der eigenen Positionierung neben der rein wissenschaftlich geführten Debatte auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die für die realen Auswirkungen und zukünftigen Risiken der Agro-Gentechnik mit entscheidend sind. Es geht um eine zutiefst politische Auseinandersetzung, wenn wir den weltweiten Durchmarsch der Agro-Gentechnik stoppen wollen.
Eines der dominierenden Themen der vergangenen Wochen ist die weltweite Nahrungsmittelsituation. Oft wird auch von einer Nahrungsmittelkrise gesprochen. Dabei wird vergessen oder ignoriert, dass aktuell und in absehbarer Zeit Hunger immer noch in erster Linie ein Verteilungsproblem ist. Erst in zweiter Linie ist es ein Problem fehlender oder mangelhafter Nahrungsmittelproduktion, vor allem in den zahlreichen Krisenregionen der Welt. In dritter Linie sind Spekulationen auf den Agrarrohstoff- und Bodenmärkten eine wichtige Ursache der aktuellen Situation. Dazu kommt die Flächenkonkurrenz zwischen Lebens- und Futtermitteln. Bei genauem Hinsehen dürfte dieser Faktor aktuell eine größere Bedeutung haben als der Biomasse-Anbau, der allzu vorschnell als Grund für steigende Lebensmittelpreise herhalten muss.
Versorgungsengpässe werden gerade von Konservativen oft für eine sehr scheinheilige Debatte genutzt. Damit verfolgen sie eigentlich ganz andere Ziele: Sie wollen vor allem den politischen Raum zurückzugewinnen, den fossile und atomare Energiekonzerne bereits an die erneuerbaren Energien verloren haben.
Damit soll das Spannungsfeld zwischen Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Agro-Energie nicht verharmlost werden. Ich halte es aber für auflösbar. Zum Beispiel, wenn Agro-Treibstoffen nur dezentral erzeugt und genutzt werden.
„ Leere Bäuche und volle Tanks“? Diese rhetorische Frage wird immer wieder gestellt. Ich denke, es darf nicht heißen: entweder Lebensmittel oder Agro-Energie, denn wir brauchen die energetische Nutzung von Biomasse für eine wirkliche Energiewende weg von den fossilen Rohstoffen. Dieser Konflikt zwischen Nahrungs- und Futtermitteln, sowie der Energieversorgung ist allerdings nicht einfach aufzuheben. Es muss eine Lösung gefunden werden, die Versorgungssicherheit für Nahrung und Energie ermöglicht. Angesichts der immer offensichtlicher werdenden Folgen des Klimawandels muss auch eine Lösung gefunden werden, um versalzte Böden oder vertrocknetes Ackerland wieder nutzbar zu machen. Pestizide – also Pflanzenschutzmittel – müssen eingespart werden. Und wir werden die Ackerbau-Erträge mit weniger Wasser erbringen müssen. Somit ergibt sich eine Vielzahl von Problemen, die so schnell wie möglich gelöst werden müssen. Sonst könnte der Verteilungskampf um Nahrung, Wasser und Energie immer öfter eskalieren.
Dieser große Problemdruck wird von bestimmten Kreisen mit dem Zauberwort „Agro-Gentechnik“ beantwortet. Die Verheißungen bedienen nahezu alle Hoffnungen dieser Welt. Das Welthungerproblem würde gelöst, aus Biomasse könnte viel mehr Energie gewonnen werden, Halbwüsten würden in fruchtbares Ackerland verwandelt, Pflanzenschädlinge hätten keine Chance, der Pflanzenschutzmittelverbrauch würde drastisch sinken und gentechnisch veränderte Pflanzen lieferten gesündere Nahrungsmittel, Medikamente und Impfstoffe. So steht das in den Hochglanzbroschüren der Saatgutkonzerne, die gentechnisch verändertes Saatgut produzieren.
Das hört sich an wie im Schlaraffenland. Jedes Agrar-Problem wird durch die Wunderwaffe Agro-Gentechnik spätestens in der Zukunft gelöst. Ein Beispiel von der Homepage der BASF: „Die Gentechnik hilft uns, Pflanzen mit besonderen Eigenschaften auszustatten, die wir mit herkömmlicher Züchtung kaum erzielen könnten. Solche Eigenschaften sind z.B. verbesserte Inhaltsstoffe wie ungesättigte Fettsäuren sowie Trocken-, Salz- oder Kälteresistenz. Auch die Widerstandskraft gegenüber Krankheiten kann mit Hilfe der Gentechnik wirkungsvoll gesteigert werden. Schließlich können mit genveränderten Pflanzen hochwertige Substanzen ganz einfach auf dem Feld hergestellt werden. Das schont Ressourcen und spart Kosten.“
Hört sich gut an, oder? Wer kann solche Beglückungen ablehnen?
Betrachtet man die Realität, ist man sehr weit weg vom versprochenen gelobten Land.
Als LINKE hat man ja ein sowieso gesundes Grund-Misstrauen gegen Ankündigungen von Konzern-Wohltaten für die Welt. Denn gesellschaftliche Interessen sind für solche Wirtschaftsstrukturen erfahrungsgemäß eher Zielkonflikte zum Profitinteresse als glaubwürdige Handlungsmotivation.
Bei der ISAAA (International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications), einer weltweiten Lobbyorganisation der Gentechnikverbände, finden sich die neusten Zahlen zur aktuellen Anwendung dieser Risikotechnologie. Und die ISAAA ist zumindest unverdächtig, Wohltaten der Konzerne für die Menschheit zu verschweigen. Auf über 114 Millionen Hektar werden aktuell laut ISAAA weltweit gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Lösung von Menschheitsproblemen durch Monsanto und Co sucht man allerdings vergeblich Es dominieren herbizid- und insektenresistente Pflanzen. Sieben von zehn transgenen Pflanzen schützen sich gegen Pflanzenschutzmittel (Herbizidresistenz). Ihr Anbau hat vor allem ein Ziel: der Einsatz von so genannten Totalherbiziden wird möglich. Dabei werden alle Pflanzen auf dem Acker vernichtet, außer der gentechnisch veränderten Pflanze.
Dadurch entsteht ein sehr wichtiger, aber oft übersehener Effekt: Die Saatgutkonzerne kassieren doppelt ab. Sie verdienen 1. an den patentierten transgenen Pflanzen. Das Saatgut ist teurer und darf auch nicht nachgebaut werden. Damit fällt ein uraltes historisches Recht der Bauernschaft! Außerdem fallen spätestens nach erfolgreicher Markteinführung Lizenzgebühren an, auf die als Lockangebot oft zunächst verzichtet wird. In Argentinien wurde sogar versucht, diese Lizenzgebühren nachträglich zu erheben. 2. verdienen die Konzerne am dazugehörigen Pflanzenschutzmittel. Dieses muss verwendet werden, soll das gesamte System funktionieren. Somit klingelt es doppelt in der Kasse.
Mit diesem Koppelgeschäft wird Geld verdient, nicht mit salz- und dürreresistenten Pflanzen für arme Kleinbauern. Warum also sollten sich die Saatgutkonzerne für humanistische Wohltat entscheiden? Es ist also alles andere als ein Zufall, dass durch gentechnisch veränderte Pflanzen keine Menschheitsprobleme gelöst, sondern vor allem die Erwartungen an die Kapitalrendite erfüllt werden. Für uns LINKE sollte das keine Überraschung sein.
Die Saatgutmultis gehen sogar noch einen Schritt weiter. Sie erfinden Probleme um dann die passende Lösung anzubieten. Dafür gibt es ein Beispiel aus Deutschland. Der Maispflanzenschädling Maiszünsler ist nur in wenigen Regionen ein wirtschaftliches Problem. Und eigentlich auch nur dort, wo die Gute Landwirtschaftliche Praxis nicht eingehalten wurde. Trotzdem hat die aggressive Markteinführungsstrategie von Monsanto Erfolg. Der Mais MON 810, der nach Übertragung eines Bakteriengens in das Maisgenom ein Maiszünsler-Gift produziert, wird oftmals in Gebieten angebaut, in welchen es gar keine wirtschaftliche Bedrohung durch den Maiszünsler gibt! Durch MON 810 wird also ein Problem gelöst, welches regional oft gar keins ist. Stattdessen werden neue Probleme für die gentechnikfreie Landwirtschaft und die Imkerei geschaffen.
Als Fazit bleibt festzustellen, dass die Gentechnikkonzerne viel versprechen, aber gemessen an den wirklichen Weltproblemen kaum etwas halten.
Deshalb ist es gerade für DIE LINKE besonders wichtig, über die wirklichen Konzernstrategien aufzuklären. Es geht eben nicht nur um eine wissenschaftliche Debatte über den Nutzen und die Risiken einer Technologie. Es muss vielmehr über das politische und wirtschaftliche System diskutiert werden, in der sie angewandt wird. Die Agro-Gentechnik muss vor dem Hintergrund des neoliberal globalisierten Kapitalismus bewertet werden, in dem bereits erkämpfte ökologische und soziale Errungenschaften immer öfter wieder unter die Räder kommen.
Die Agro-Gentechnik ist für die Saatgutmultis nur eine Karte im Poker-Spiel, in dem es um Macht und den Zugang zu Ressourcen geht. Wer die Nahrungsmittelproduktion kontrolliert, hat die größte Macht, die überhaupt vorstellbar ist. Der Profitmaximierung steht dann kaum etwas im Wege. Auf einen iPod kann man in der größten Not verzichten, allerdings nicht auf Essen und Trinken. Trends zunehmender Abhängigkeit und wachsender Konzentration in Monopolstrukturen müssen gerade im Lebensmittelbereich misstrauisch machen. Die Agro-Gentechnik ist allerdings auch nur eine der Karten in diesem Poker-Spiel, wenn auch eine besonders hohe. Es kommt auf das gesamte Blatt auf der Hand an. Denn mit dem internationalen Patentrecht als zusätzlichen Joker wird der Spieler unschlagbar. Alle anderen am Tisch können nur noch verlieren. Das ist das lukrative Milliardenspiel für die Pharma- und Agroindustrie.
Die Verlierer werden dabei gerne verschwiegen. Doch genau die stehen im Blickwinkel der LINKEn.
Eine zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft führt unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen zu drastisch sinkender Zahl an Arbeitsplätzen, zu weniger Vielfalt der Ackerkulturen und zu eintönigen Landschaftsbildern. Am Markt spielen gesellschaftliche Interessen keine Rolle – es sei denn, sie würden gesetzlich erzwungen. Wer im Spiel nicht mithalten kann, wird von seinem Land vertrieben. Landwirtschaftliche Betriebe in der so genannten 1. Welt, aber auch Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Süden geraten in immer fatalere Abhängigkeiten. Sie werden immer öfter zu feudalen Tributzahlern. Die Agro-Gentechnik würde diesen Prozess weiter beschleunigen – mal abgesehen von den gesundheitlichen und ökologischen Risiken. Statt des versprochenen Reichtums wird nachweisbar Zwietracht in den Dörfern gesät und die Armut vergrößert. Das sind die Erfahrungen jenseits der Hochglanzbroschüren der Agro-Gentechnik-Konzerne. Unsere Freundinnen und Freunde aus Mali, Mexiko und Chile können sicher viele Beispiele dafür aus ihren konkreten Erfahrungen berichten.
Es gibt auch Beispiele aus Nordamerika. Die vielleicht berühmteste und am meisten aufklärende Geschichte können die Träger des letztjährigen alternativen Nobelpreises erzählen: Percy und Louise Schmeisser. Beide bewirtschaften einen für deutsche Maßstäbe relativ großen Bauernhof in Kanada. Die Firma Monsanto hat sie auf fast 20.000 Dollar verklagt, weil sie angeblich gentechnisch veränderten Raps angebaut und vermarktet haben. Ohne Genehmigung und ohne Zahlung der fälligen Lizenz-Gebühr pro Hektar. Für diesen Raps hält Monsanto noch bis 2010 das Patent. Percy Schmeiser lehnte die Zahlung jedoch ab, weil sein Raps gegen seinen Willen mit gentechnisch verändertem Saatgut verunreinigt wurde, sei es durch vorbeifahrende Lastwagen, durch Wind oder Wasser von benachbarten Feldern. Es kam zu einem jahrelangen erbitterten gerichtlichen Streit bis zum Obersten Gerichtshof Kanadas. Die Niederlage hätte für Percy Schmeisser mehr als 100.000 Dollar Gerichtskosten verursacht. Aber er hielt durch. In einer spektakulären außergerichtlichen Einigung übernahm Monsanto die Verantwortung für die gentechnische Verunreinigung der Rapsfelder von Percy und Louise Schmeisser. Für sie ist es also gut ausgegangen. Aber bei all der Freude über diesen Sieg sollte nicht vergessen werden, dass Millionen Menschen weltweit weder das Geld noch die breite internationale Unterstützung haben, um sich gegen Monsanto & Co gerichtlich zur Wehr zu setzen.
Diese „Zweite grüne Revolution“, von der Vandana Shiva spricht, frisst schon jetzt viele ihrer Kinder. Sie wird „Gegen die Mehrheit“ durchgesetzt, wie es im Titel meines Vortrages heißt. Natürlich ist nicht jede Position schon deshalb richtig, nur weil sie die Mehrheit vertritt. Aber auch aus unserem demokratischen Selbstverständnis ist die Frage für uns LINKE sehr wichtig: Warum sind so viele Menschen in Deutschland und der EU gegen die Anwendung der Agro-Gentechnik?
Sind das alles Unwissende, wie FDP und CDU behaupten? Der – leider immer noch – amtierende US-Präsident Bush sagte 2003: die „unbegründeten, unwissenschaftlichen Ängste“ der Europäer vor der Agro-Gentechnik seien Schuld daran, dass die Hungerfrage noch nicht gelöst sei.
Ich kann für mich sagen: ich habe Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Agro-Gentechnik unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen und keine unwissenschaftlichen Ängste. Als Tierärztin bin ich zunächst eher aufgeschlossen an die Frage nach den Chancen der Agro-Gentechnik herangegangen. Erst die nähere Auseinandersetzung mit dem Thema und den realen Auswirkungen hat mir die Augen für die Risiken geöffnet. Dabei sind es vor allem drei zentrale Gefahren, die mir wichtig sind: für die Umwelt, für die Landwirtschaft und für uns Menschen.
Zu den Umweltgefahren:
Gentechnisch veränderte Pflanzen können sich über Auskreuzung unkontrolliert ausbreiten, wenn natürliche Kreuzungspartner vorhanden sind. In Deutschland ist dieses Risiko vor allem beim Raps hoch. Er kann sich zum Beispiel mit Rübsen und Senf kreuzen. Wenn die neuen Gensequenzen der Pflanze einen Standortvorteil verschaffen, ist die Rückholung nicht möglich. Ein floristischer Super-GAU, denn selbst atomare Strahlung baut sich irgendwann ab. Aus diesem Blickwinkel sind Vergleiche zwischen den Risiken der Atomenergie und der Agro-Gentechnik gar nicht abwegig.
Wenn Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel auf andere Unkräuter übertragen werden können so genannte Superunkräuter entstehen – was bereits Realität ist.
Auch gentechnisch veränderte Pflanzen ohne einheimische Kreuzungspartner stellen ein Umweltrisiko dar. Wenn zum Beispiel ihr Pollen von Insekten als Nahrung genutzt wird. Negative Auswirkungen auf das Bodenleben sind möglich, wenn zum Beispiel das vom gentechnisch veränderten Mais produzierte Gift im Boden angereichert wird.
Zu den Gefahren für die Landwirtschaft:
Gentechnisch veränderte Pflanzen können sich ungewollt in konventionelle Ackerpflanzen einkreuzen. In Kanada gibt es zum Beispiel keinen gentechnikfreien Raps mehr, obwohl nicht alle Landwirtinnen und Landwirte Gen-Raps anbauen. Er ist unterdessen einfach überall. Auch im mexikanischen Mais-Ursprungsgebiet, in dem mehrere hundert uralte Sorten angebaut werden, wurden gentechnisch veränderte Sequenzen nachgewiesen, obwohl dort nie transgener Mais angebaut wurde. Diese so wertvolle genetische Reserve ist durch die Agro-Gentechnik bedroht.
Neben dem Auskreuzungsrisiko gibt es noch weitere Verunreinigungswege. Bei der Ernte, Lagerung, Verarbeitung oder Handel kann es ebenfalls zu Kontaminationen kommen. Damit wird die gentechnikfreie Landwirtschaft doppelt bestraft. Erstens kann ihre Ernte verunreinigt und damit wertgemindert werden. Zweitens müssen die Kosten der Vermeidung von Verunreinigungen oder des Nachweises der Reinheit ihrer Produkte von den gentechnikfrei anbauenden Bäuerinnen und Bauern getragen werden. Zum Beispiel sind zusätzliche Laboranalysen oder eine teure getrennte Lagerung zu bezahlen. Dass die Ausbreitung nicht kontrollierbar ist, hat spätestens das Beispiel des gentechnisch veränderten Reis´ LL601 gezeigt. Dieser wurde in einem kleinen Versuchsanbau in den USA kultiviert. Der Versuch wurde dann wegen Bedenklichkeit eingestellt. Allerdings fand sich im Jahr 2006 LL601-Reis weltweit in den Regalen von Supermärkten wieder, obwohl er nie legal in den Handel gelangte. Der volkswirtschaftliche Schaden dieser illegalen Verbreitung betrug allein in Deutschland 10 Millionen Euro.
Die Agro-Gentechnik führt zu geringerer Sortenvielfalt. Da die genetischen Veränderungen nicht gezielt, sondern nach dem Zufallsprinzip übertragen werden, ist der Aufwand für eine „erfolgreiche“ Veränderung extrem hoch. Weil sich dieser Aufwand nur für eine begrenzte Anzahl Sorten lohnt, ist eine Verarmung der Sortenvielfalt gar nicht zu vermeiden.
Diese Umwelt- und Landwirtschaftsrisiken zeigen, dass die so genannte Koexistenz zwischen dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auf der einen und der gentechnikfreien Landwirtschaft, Imkerei und der Umwelt auf der anderen Seite dauerhaft nicht funktioniert. Bundesagrarminister Seehofer und andere Verantwortungsträger betonen immer wieder, dass diese Koexistenz eine Vorbedingung der Nutzung wäre. Angesichts der vorliegenden internationalen Erfahrungen müssten sie dann konsequenterweise die Nutzung der Agro-Gentechnik untersagen.
Zu den Gefahren für Verbraucherinnen und Verbraucher:
Die Agro-Gentechnik stellt auch ein Risiko für Menschen und Nutztiere dar. Niemand weiß genau, welche Auswirkungen der Verzehr transgener Pflanzen hat. Es wird blind ein neues (meist artfremdes) Gen eingebaut. Dabei bleibt unklar welche Auswirkungen diese Veränderung des Erbgutes auf die Eiweiße hat, die nach diesem Bauplan des Erbguts produziert werden. Es fehlen sowohl für Lebensmittel, als auch für Futtermittel dringen benötigte Langzeituntersuchungen. Für den Genmais MON 810 wurde eine Studie an Ratten durchgeführt, welche gerade mal 60 Tage dauerte. Für die Testung chronischer Wirkungen ist das zu kurz. Zwischenfälle aus der Vergangenheit zeigen die dringende Notwendigkeit solcher Untersuchungen. Die StarLink-Geschichte ist wohl die berühmteste. Außerdem hält sich hartnäckig der Verdacht, dass plötzlich aufgetretene Reproduktionsstörungen bei Rindern und Schweinen in den USA durch gentechnisch veränderte Futtermittel verursacht wurden.
Neben diesen drei Risiken für Mensch, Landwirtschaft und Umwelt gibt es noch ein viel grundsätzlicheres Problem. Die Agro-Gentechnik ist ein Risiko für die Demokratie. Die Technologie selbst ist natürlich nicht der Grund. Aber die Konzerne, die ihre Machtinteressen mit der Agro-Gentechnik durchsetzen. Die Agro-Gentechnik ist über das Patentrecht ein Angriff auf die Selbstbestimmung der Bäuerinnen und Bauern und landwirtschaftlichen Betriebe. Und genau das ist ja auch das eigentliche Ziel der Konzernstrategen.
Die Agrokonzerne verfolgen eine Tarnkappenstrategie. Mit Millionen versuchen sie, direkt oder indirekt Einfluss auf Entscheidungen von Politikerinnen und Politikern, Behörden und Medien zu nehmen. Es muss uns Demokratinnen und Demokraten nachdenklich stimmen, wie erfolgreich diese Unterwanderungsstrategie funktioniert. Vor einigen Jahren hat eine Enquete-Kommission des Bundestages festgestellt, dass die Wirtschaft und nicht mehr die Politik das Primat in diesem Staat hat. Gerade erst hat der Bundesrechnungshof berichtet, in wie vielen Fällen Lobbyisten die Bundesregierung nicht nur beraten, sondern selbst Gesetzentwürfe verfassen. Das Wort Lobbykratie macht die Runde. Diese beunruhigende Einflussnahme lässt sich wohl auch beim Thema Agro-Gentechnik nicht länger leugnen. Die aktuelle Studie „Kontrolle oder Kollaboration? Agro-Gentechnik und die Rolle der Behörden“ weist auf ein intensives Beziehungsgeflecht hin. Die Verquickung von Behörden, die kontrollieren sollen, mit der Forschungslandschaft der Konzerne ist dicht und kaum zu durchdringen. Dabei geht es natürlich wie immer auch um Geld – sehr viel Geld.
Es fällt ins Auge, dass 60% der Freisetzungsversuche hierzulande von staatlichen Einrichtungen und Universitäten beantragt werden. Bei der immer wieder beklagten Knappheit der Forschungsmittel drängt sich die Frage auf, ob hier wirklich im öffentlichen Interesse geforscht wird oder ob Fördertöpfe mit Konzerninteressen gefüllt werden? Von der Frage nach der Unabhängigkeit der Forschung mal ganz abgesehen. Natürlich brauchen wir politikberatende Forschung. Allerdings ist Neutralität anzuzweifeln, wenn dieselben Personen in den zuständigen Behörden und in Agro-Gentechnik-Lobbyverbänden vertreten sind.
Auf der anderen Seite gibt es eine bunte Vielfalt von Kritikerinnen und Kritikern. Manche knüpfen an die Erfahrungen in der Anti-AKW- und in der Globalisierungsbewegung an. Andere machen vor allem ethische Bedenken geltend. Legale und illegale Protestformen werden genutzt. Pfingstmontag gab es beispielsweise eine große Demo von 6.000 Menschen in Bonn. Aber auch Feldbesetzungen fanden in diesem Frühjahr besonders zahlreich statt. Damit sollte die Freisetzung transgener Pflanzen verhindert werden. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Genmaisfelder „befreit“. Alle Fraktionen im Bundestag bleiben bei der mehr oder weniger scharfen Verurteilung der Sachbeschädigungen stehen – außer der LINKEN. Wie auch immer man zum zivilen Ungehorsam als Protestform steht, eine Forderung habe ich gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen in den Bundestagsdebatten zu diesem Thema immer erhoben: Stellen sie sich die Frage, warum Menschen zu zivilem Ungehorsam und illegalen Protestmethoden greifen! Gerade meine ostdeutsche Biographie mahnt mich sehr eindringlich, solche Fragen zuallererst zu stellen. Ist es die Ohnmacht, die viele empfinden, weil sie nicht mal gefragt werden? Sie misstrauen offensichtlich Politik, Behörden und vor Allem der Europäischen Zulassungspraxis – warum?
Fest steht: DIE LINKE hat die Zulassungspraxis der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) immer hinterfragt und Korrekturen gefordert. Aufgabe dieser Behörde ist es, die Genpflanzen auf Unbedenklichkeit zu prüfen und eine Stellungnahme abzugeben. Die Zulassungspraxis und die Prüfkriterien dieser Behörde stehen jedoch schon seit Langem unter heftiger Kritik. Das aktuelle Zulassungsverfahren ist aus unserer Sicht weder transparent noch sichert es die Interessen der gentechnikfreien Landwirtschaft und Imkerei im Sinne des Vorsorgegedankens.
Zudem scheint die Verquickungen zwischen Industrie und Behörden so dicht, dass eine unabhängige Bewertung der transgenen Pflanzen für uns ernsthaft in Frage steht. Aber gerade bei einer Risikotechnologie wie der Agro-Gentechnik ist aus unserer Sicht die unabhängige Beobachtung und Bewertung Vorbedingung ihrer Anwendung. Um die Industrie aber auch nicht aus ihrer finanziellen Verantwortung zu entlassen, könnte sie zum Beispiel verpflichtet werden, einen Fonds zu finanzieren, aus welchem kritische und unabhängige Risikoforschung und auch alle anderen volkwirtschaftlichen Kosten und Haftungsrücklagen bezahlt werden. Ein europäisches Kompetenzzentrum könnte die Prüfungen transparent und sicher durchführen. Daran haben aber weder die Industrie noch das Versicherungsgewerbe ein Interesse. Sie kennen die Risiken viel zu genau.
In dem vielbeachteten Dokumentationsfilm „Die Genverschwörung“ wird ein bedenkliches Bild der zwielichtigen Rolle der beiden zuständigen Sicherheitsbehörden in den USA und in der EU gezeichnet. In Amerika ist das die FDA, bei uns die bereits erwähnte EFSA. Bei den Recherchen wurde unter anderem aufgedeckt, dass der amerikanische Gentechnikkonzern Monsanto eigene Leute in den politischen Schaltzentralen und in der Zulassungsbehörde platziert hat. Weltweit werden also die Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen offensichtlich erheblich beeinflusst. Und zwar immer wieder zum Nachteil von Verbraucherinnen und Verbrauchern, landwirtschaftlichen Betrieben und mittelständischen Handels- und Saatgutunternehmen.
Doch wer glaubt, dass das nur in den USA und der europäischen Ebene so wäre, irrt. Auch die personellen Verbindungen zwischen dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), sowie verschiedenen Lobbyorganisationen der Agro-Gentechnik sind vielfältig. Dabei fällt der Gesprächskreis Grüne Gentechnik oder der Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik besonders auf. Wer hier wen kontrolliert, wer welche privaten Interessen verfolgt und wer für das hohe Schutzgut der gentechnikfreien Landwirtschaft und Imkerei wirklich eintritt, bleibt offen.
Gegen so viel Geld, Macht und mysteriöse Netzwerke ist Widerstand in und außerhalb von Parlamenten, aber auch auf den Regierungsbänken wichtig – aber nicht so leicht unter den aktuellen politischen Bedingungen.
Glücklicherweise gibt es verschiedene EU-Mitgliedsstaaten, die mit gutem Beispiel voran gehen und der Agro-Gentechnik die rote Karte zeigen. An aktivsten ist dabei die Republik Österreich, es gibt aber auch Gegenwehr aus Polen, Frankreich und Rumänien. Unsere südlichen Nachbarn aus der Alpenrepublik zeigen, wie man das europäische Regelwerk nutzen kann, um die gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei bestmöglich zu schützen.
Es gibt in der EU-Freisetzungsrichtlinie eine so genannte Schutzklausel. Diese Klausel ermächtigt die Mitgliedsstaaten zu nationalen Schutzmaßnahmen gegen gentechnisch veränderte Pflanzen. Auf dieser Grundlage darf in Österreich kein Genmais MON 810 angebaut werden. Auch der Handel mit verschiedenen anderen transgenen Maislinien wurde verboten. Leider hat die EU-Kommission im Mai 2008 dieses österreichische Handelsverbot aufgehoben. Der Handel mit zwei Maislinien muss wieder zugelassen werden. Eine Klage der WTO und die Androhungen von Strafzöllen auf österreichische Produkte – zum Beispiel Red Bull – haben dazu geführt, dass sich die EU-Kommission auf die Seite der neoliberalen Handelspolitik der USA und Kanada gestellt hat. Die Antwort Österreichs auf diese Entscheidung ist allerdings bemerkenswert. Sie handeln nun einfach freiwillig nicht mit diesen Pflanzen!
DIE LINKE fordert trotzdem oder gerade deshalb verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen für die souveräne Entscheidung von Regionen, auf diese Risikotechnologie zu verzichten. Wenn die Prinzipien der WTO das nicht zulassen, sind die Prinzipien inakzeptabel.
In Deutschland gibt es eine gesellschaftliche Mehrheit für kritische bis klar ablehnende Positionen zur Agro-Gentechnik. Es gibt auch eine parlamentarische Mehrheit im Bundestag, denn DIE LINKE, die SPD und die Grünen weisen in den Debatten immer wieder auf die Risiken der Agro-Gentechnik hin. Im Bundestag gehört auch die CSU zu diesem Kritiker-Lager.
Trotzdem werden Millionen Forschungsgelder für die Agro-Gentechnik zur Verfügung gestellt. Für Sicherheitsforschung wäre das berechtigt, aber für Produktentwicklung sollten Steuergelder unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen nicht ausgegeben werden. Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um den rechtlichen Rahmen.
Das Gentechnikgesetz wurde Anfang 2008 gegen die Stimmen der LINKEN leider so novelliert, dass am Ende die Interessen der gentechnikfreien Landwirtschaft und der Imkerei deutlich auf der Strecke blieben. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: es hätte noch schlimmer hätte kommen können. Wenn es nämlich nach weiten Teilen der CDU und der FDP gegangen wäre, die freie Fahrt für die Interessen der Agro-Gentechnik-Konzerne wollen!
Dass es auch ganz anders geht, zeigt ein Beispiel aus dem hessischen Landtag. Dort fand im April 2008 ein Antrag der Grünen die Zustimmung der SPD und der LINKEN. Die Regierung Koch muss nun dafür sorgen, dass keine gentechnisch veränderten Pflanzen auf landeseigenen Flächen angebaut werden. Das bedeutet: auch keine Versuche der hessischen Unis, zumindest nicht auf öffentlichen Flächen!
„ Die Natur als Beute“. So lautet das Motto dieser Veranstaltung. So lautet wohl auch die interne Firmenphilosophie von Monsanto, BASF, Bayer und Co. „Der Mensch als Beute“ wäre in diesem Kontext genauso richtig. Aber Menschen und Natur waren Monsanto schon immer ziemlich egal. Das wohl bekannteste Produkt aus dem Hause Monsanto ist „Agent Orange“. Dieses Entlaubungsmittel mit erbgutverändernder Wirkung auf Menschen hat in Vietnam für unendliches menschliches Elend und Leid gesorgt. Die Nachwirkungen sind noch heute spürbar, obwohl der Krieg mehr als 30 Jahre vorbei ist. Auch tausende US-Soldatinnen und Soldaten wurden verwundet und zu Krüppeln gemacht. Agent Orange hat eine der gigantischsten durch Menschen gezielt ausgelöste Umweltzerstörung verursacht. Diese Wirkung wurde von Monsanto und den Kriegstreibern zur Durchsetzung der eigenen Interessen billigend in Kauf genommen. Es gibt aus meiner Sicht keine Veranlassung anzunehmen, sie würden es nicht wieder tun.
Die Agro-Gentechnik für sich gesehen ist natürlich weder gut noch böse. Auch eine Pistole erschießt selbst keinen Menschen, sondern der Schütze.
Deshalb muss gerade DIE LINKE die gesellschaftlichen Ursachen klar benennen, die das Anwendungsrisiko verstärken. Systemkritik gehört für uns unbedingt zu dieser Debatte. Das hat nichts mit Technologiefeindlichkeit oder Maschinenstürmerei zu tun, was allzu gern als Todschlagargument gegen kritische Stimmen verwendet wird, sondern mit einer verantwortlichen politischen Bewertung dieser Risikotechnologie.
Der LINKEN geht es um Vorsorge und den Schutz und das Primat der gesellschaftlichen Interessen von Mensch und Umwelt vor den (zudem allzu kurzfristigen) Gewinninteressen internationaler Saatgutkonzerne.
Das ist die eigentliche politische Zuspitzung der aktuellen Debatte, in der DIE LINKE klar die Schutzinteresen der gentechnikfreien Landwirtschaft und Imkerei sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher vertritt. Wir gehen dabei einen konsequent basisdemokratischen Weg: Regionen sollen sich rechtsverbindlich als agro-gentechnikfreie Regionen erklären können.