Nachdenken, warum Grüne Gentechnik in unserem Lande nicht mehrheitsfähig ist

Bundestagsrede vom 30. Juni 2006

Kirsten Tackmann

„Die große Mehrheit der Menschen in diesem Land sieht die Grüne Gentechnik als Gefahr. Die Gründe dafür sind vielfältig. Umso genauer sollten wir darüber nachdenken, warum die Grüne Gentechnik auch in unserem Land nicht mehrheitsfähig ist – jenseits der Frontlinien von „Technologiefeindlichkeit gegen Fortschrittsgläubigkeit“. „Rede in der 1. Lesung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Moratorium für Gentechnik in der Landwirtschaft“, DS 16/1909

Sehr geehrte Frau/Herr Präsident/in, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste,

Die große Mehrheit der Menschen in diesem Land sieht die Grüne Gentechnik als Gefahr.
Die Gründe für Ablehnung oder Skepsis sind sehr vielfältig und reichen von ethischen Bedenken über ökologische und gesundheitliche Risiken bis hin zur Kapitalismuskritik an den Saatgutmultis! Die Schweizer hatten eine, wie ich finde, sehr interessante Möglichkeit, über das hier vorgeschlagene Anwendungsmoratorium zu entscheiden: sie haben es Ende 2005 mit einer Volksabstimmung legitimiert! Uns steht diese Option leider nicht zur Verfügung! Umso genauer sollten wir darüber nachdenken, warum die Grüne Gentechnik auch in unserem Land nicht mehrheitsfähig ist. Aber bitte jenseits von „Technologiefeindlichkeit gegen Fortschrittsgläubigkeit“.
Es geht bei dieser Diskussion auch nicht darum, „keinen Unfrieden in die Dörfer zu tragen“, wie Minister Seehofer kürzlich erklärte. Es geht um die Abwägung zwischen ökologischen/gesundheitlichen Risiken einerseits und möglichen Vorteilen bei der Anwendung andererseits. Wobei ich den Vorteil bei dieser Güterabwägung ausdrücklich auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die Landwirtschaft im Besonderen beschränke. Die Vorteile für die Gentech-Saatguthersteller liegen in Form riesiger Profite auf der Hand. Sie wären ganz sicher die großen Gewinner der Anwendung – vielleicht die einzigen. Aber das kann bei dieser Abwägung kein Maßstab sein. Bewerten wir also zunächst das Risiko, also quasi das Contra.
Die Anwendungsrisiken werden selbst von den Befürwortern anerkannt. Deshalb diskutieren wir ja überhaupt über Koexistenzregeln, wobei höchst umstritten ist, ob Koexistenz überhaupt möglich und finanzierbar ist.Während aber Koexistenzregeln zwischen Anwendern und Nicht-Anwendern intensiv diskutiert werden, steht die Debatte über die Koexistenz der Anwender mit der natürlichen Umgebung und das Auskreuzungsrisiko mit Wildpflanzen im Hintergrund! Wobei richtig ist, dass dieses Auskreuzungsrisiko vor allem bei Pflanzenarten besteht, die einheimische wildlebende Verwandte, z. B. beim Raps.
Für Imker ist, neben dem Völkersterben durch Varoa und bösartige Faulbrut, die Grüne Gentechnik unterdessen ein beherrschendes Thema. Immer mehr Händler und Verarbeiter verlangen absolut gentech-freie Waren und drohen andernfalls mit Rückrufkosten. Die Analysen aber kosten pro Charge 200 bis 250 Euro – für den Konsumenten verteuert sich der Honig dadurch um 80 ct pro Glas. Aber was könnte das große Schadenswagnis ungewollter Auskreuzungen und Kontaminationen besser illustrieren als die Weigerung der Versicherungswirtschaft, dieses Risiko zu versichern!
Zu den ökologischen/gesundheitlichen Risiken ganz kurz: Es liegen unterdessen nicht wenige, auch alarmierende Studien vor. Als ein Beispiel sei das Problem der Resistenz von Hybriden unterschiedlicher gentechnisch veränderter Rapssorten gegen gleich mehrere Pflanzenschutzmittel in den USA genannt. Oder der Abbruch eines Versuchs in Australien mit gentechnisch veränderten Erbsen infolge Lungenveränderungen bei Nagetieren. Die potentiellen Risiken durch den kommerziellen Anbau genetisch veränderter Pflanzen wiegen aus meiner Sicht sehr schwer. Es ist eine Risikotechnologie! Erst Recht, weil klar ist, dass wir noch gar nicht alle Risiken kennen. Aber schauen wir uns auch die andere Waagschale an – die möglichen Anwendungsvorteile.
Der Sinn und Zweck gentechnisch veränderter Pflanzen ist zumindest umstritten. Ich habe den Eindruck, dass bei vielen eher große Ernüchterung eingetreten ist. Nicht nur, weil der Segen eines in Aussicht gestellten geringeren Pestizideinsatzes zum Beispiel oft nicht eintritt, im Gegenteil. Wahrscheinlich ist es billiger und wirksamer, mit ackerbaulichen Maßnahmen Schädlinge unter der Schadensgrenze zu halten. Der jüngste Bericht des Büros für Technologiefolgeabschätzung des Bundestags hat kürzlich festgestellt, dass bislang selbst gentechnisch veränderte Pflanzen der 2. und 3. Generation, mit denen zum Beispiel Arzneimittel hergestellt werden sollten, keine der Erwartungen erfüllt haben. Dafür entstehen neue Risiken. Niemand weiß zum Beispiel was passiert, wenn Schwarzwild die Arzneimittelkartoffeln frisst.
In einigen Studien wird Grüne Gentechnik mit der Schaffung Tausender Arbeitsplätze in Zusammenhang gebracht. Aber eine gerade erst veröffentlichte Studie der Universität Oldenburg kommt zu folgendem Schluss: „Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass in der privatwirtschaftlich finanzierten Grünen Gentechnik in Deutschland deutlich unter 500 Arbeitsplätze zu verzeichnen sind“. Dagegen gerechnet werden muss noch der Verlust an Arbeitsplätzen zum Beispiel im Ökologischen Landbau oder infolge der Konzentrationsprozesse in der Saatgutindustrie. Also: auch da müssen wir genau hinschauen.
Bedenklich sind die großen Wissensdefizite in der Risikobegleitforschung. Es gibt nicht einmal verbindliche Kriterien zur Bestimmung ökologischer Schäden der Freisetzung! Dazu läuft
ü brigens gerade eine Studie am Institut für Ökologie der TU Berlin. Auf die Unzulänglichkeiten der Zulassungsprüfungen, die gerade die zuständigen EU-Kommissare moniert haben, habe ich in der letzten Debatte schon verwiesen. Unter dem Strich bleibt für mich nur eine Schlussfolgerung: Wir sollten dieses Moratorium sehr ernsthaft erwägen.

(Die Rede wurde zu Protokoll gegeben.)