Zustimmung und kritische Anmerkungen

 zum Entwurf des Parteiprogramms auf dem Bundestreffen der Ökologischen Plattform

Götz Brandt und Manfred Wolf

Die Teilnehmer des Bundestreffens begrüßten eine deutliche Hinwendung im Programmentwurf zu den drängenden Fragen eines sozial-ökologischen Umbaus der Gesellschaft. Sie fanden aber in den einzelnen Abschnitten des Entwurfs neben Begrüßenswertem auch Schwach- und Fehlstellen.
Zu Beginn des Programms, meinten sie, sollte eine Gesellschaftsanalyse stehen, die zum übergreifenden Verständnis der einzelnen geforderten Programmziele führt. Dabei sollte klar gemacht werden, warum der Kapitalismus nicht zukunftsfähig ist.
Die grundsätzliche Abwendung vom Kapitalismus in allen Abschnitten des Entwurfs sowie der Versuch einer Definition des Zieles „Demokratischer Sozialismus“ wären in diesem Zusammenhang erforderlich.
Ein rot-grüner Faden, so wurde eingeschätzt, sollte im Programm deutlicher und durchgehend sichtbar werden.
In der Präambel wird das Ziel der LINKEN, ein „anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem“, der „demokratische Sozialismus ohne Profitdominanz“ als notwendig bezeichnet, weil die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse auch „die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören“. Hier sollte sich gleich ein Hinweis anschließen, dass die Menschheit dadurch gezwungen ist, dringend eine postkapitalistische sozialistische Gesellschaftsordnung zu schaffen. Das Wirtschaftssystem dieser Ordnung kann nur durch eine gewichtige Reduzierung des Material- und Energiedurchflusses gekennzeichnet sein. Denn diese Reduzierung ist eine Tagesaufgabe und keine Zielstellung für spätere Zeiten. Deshalb muss auch deutlich werden, wie die Wirtschaft kurzfristig umorganisiert werden soll. Wir haben nämlich keine Zeit mehr, der Klimawandel hat begonnen und verschärft sich, der peak-oil ist überschritten der peak-everything (Fördermaximum von Allem) naht.
Weiterhin werden in der Präambel die drei Grundideen des Programms hervorgehoben. Neben 1.) Freiheit durch Gleichheit und 3.) Überwindung des Kapitalismus in einem langen Prozess zum demokratischen Sozialismus wird als 2.) Grundidee genannt: „die Unterordnung von Wirtschafts- und Lebensweisen unter die solidarische Entwicklung und den Erhalt der Natur“. Sie erfordert einen sozial-ökologischen Umbau zu nachhaltiger Entwicklung anstelle profitorientiertem Wachstums“. Das können wir voll unterstützen, denn dieser Umbau schließt Wachstum aus. Hinzuzufügen wäre, was denn nun an die Stelle des profitorientierten Wachstum treten soll. Da sollte u.a. klar gesagt werden, dass die Industrieländer in einer ersten Phase die Produktion und den Material- und Energieverbrauch zurückfahren müssen, bis sie naturverträglich sind, und dass danach in einer zweiten Phase ein Produktionsniveau gehalten wird, mit dem ein bescheidener Wohlstand und ein menschenwürdiges Leben für alle gesichert werden kann.
In diesem Sinne wäre der Widerspruch in einer der 10 nachfolgenden Forderungen auszuräumen, wo es um den „sozial-ökologischen Umbau in Richtung eines nachhaltigen, ressourcensparenden und umweltbewahrenden Wirtschaftens und Lebens“ geht, dann allerdings wieder Wachstum eingefordert wird. „Wir brauchen ein reguliertes, selektives Wachstum auf der Basis von erneuerbaren Energien“. Die Aufklärung dazu, wie gleichzeitig Ressourcen gespart und Wachstum organisiert werden kann, muss das Programm schuldig bleiben. Der Entwurf ist in der Frage Wirtschaftswachstum widersprüchlich.
Dieser Widerspruch muss korrigiert werden. Ein Wirtschaftswachstum, ob nun selektiv oder qualitativ, ist bei drastischer Einschränkung von Material und Energie nicht vorstellbar. Wissenschaftler (Club of Rome 1972) fordern seit 40 Jahren, den Materialverbrauch um 90 % zu senken (Faktor 10). Deshalb müssen alle Produkte, Technologien und verwendete Materialien auf den ökologischen Prüfstand. Überflüssiges muss unterbleiben, mit technischen Raffinessen überladene Produkte, umweltschädliche Materialien und Technologien sind aus der Produktion zu verbannen, das top-runner-Prinzip (nur die besten Produkte werden vom Staat mit Forschungsmitteln unterstützt und wirtschaftlich gefördert) muss nach japanischen Erfahrungen angewendet werden. Das ist eine umfangreiche ingenieurtechnische Aufgabe, die das Kapital aus Profitgründen nicht stellt.
Wir sollten im Programm unseren Wählern auch sagen, was wir unter einem „sozial-ökologischen Umbau“ verstehen. Der soziale Umbau ist hinreichend erklärt. Nicht aber der ökologische Umbau. Wodurch sind neue Produktions- und Lebensweisen gekennzeichnet? Was unterscheidet unsere Zielstellung für den Umbau der Gesellschaft und der Produktion von der Zielstellung der GRÜNEN? Warum glauben wir nicht an die Möglichkeit eines „grünen Kapitalismus“ oder eines „Green New Deals“?
Im Abschnitt II „Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation“ werden fast nur ökonomische Zusammenhänge untersucht. Es wird aber festgestellt, dass das Kapital an der Natur Raubbau betreibt und die Kommunen und Staaten der EU das auch noch mit laschen Umweltauflagen für Kapitalanleger fördern. Erkannt wird, dass der Kapitalismus zu gewaltigen ökologischen Schäden führt. „Der Finanzkapitalismus hat die Elemente einer vierfachen Krise aufgehäuft“. Eine von diesen Krisen ist „das Verhältnis von Natur und Gesellschaft“ sowie „die Produktions- und Lebensweise“. Diese Krisen sind nicht näher erläutert, es sollte gesagt werden, wie die einzelnen Krisen überwunden werden können.
Der drohende Kollaps der menschlichen Gesellschaft durch Klimawandel, Rohstoffende, Bevölkerungswachstum, Hunger und Unterernährung wird im Programm an dieser Stelle nicht herausgearbeitet. Es wird so getan, als wenn es noch Jahrzehnte so weiter gehen könnte wie bisher.
Im Abschnitt II ist ein für Ökologen wichtiger Teil aufgenommen worden: „Die Zentralität der ökologischen Frage“. Hier wird ausgeführt: „Der globale Kapitalismus versagt nicht nur sozial und ökonomisch, sondern auch ökologisch“. „Kurzfristiges Profitkalkül steht in tiefen Widerspruch zur Berücksichtigung langer Zyklen der Natur“. Das Wachstum der letzten 200 Jahre basierte auf fossiler Energie. Diese Energien sind begrenzt und nahezu erschöpft. „Es ist zu einer Krise der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen eine Krise der Reproduktion gekommen“. Die heutigen Gesellschaften zehren von der Substanz und führen zur Vernichtung der biologischen Vielfalt. Um den Klimawandel aufzuhalten, sind solche Maßnahmen wie die CCS-Technologie und der Emissionshandel abzulehnen.
Der Schlußsatz dieses Abschnittes kann von uns nur voll unterstützt werden: „Eine ökologisch nachhaltige Entwicklung steht in Widerspruch zur kapitalistischen Wachstumslogik. Die ökologische Frage ist zugleich eine ökonomische, soziale und kulturelle – eine Systemfrage“. Den gestellten Fragen dieses Abschnitts kann man nur voll zustimmen, es werden aber vor allem Fragen gestellt und keine Antworten gegeben. Die Systemfrage muss im Einklang und auf der Basis des Grundgesetzes beantwortet werden. Zum Beispiel keine Enteignung der Produktionsmittel, sondern Erringung der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel (z. B. durch Treuhandnahme).
Im Abschnitt III: Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert wird festgestellt: „Eine Gesellschaft, in der die Natur bewahrt wird, ist nur möglich, wenn die Vorherrschaft des Kapitals über die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Natur zurückgedrängt und gebrochen wird“. Diesen Satz kann jeder Ökologe unterschreiben. Gefordert wird weiterhin „eine andere Art zu arbeiten und zu leben und eine andere Weise der gesellschaftlichen Produktion und des Verhältnisses zur Natur“. Wichtigste Grundlage dieser Entwicklung ist die Überwindung der Dominanz des kapitalistischen Eigentums in der Wirtschaft und ein sozialer Rechtsstaat. Der demokratische Sozialismus orientiert sich an sozial-ökologischer Nachhaltigkeit. Erreicht werden soll der demokratische Sozialismus durch einen „großen transformatorischen Prozess der gesellschaftlichen Umgestaltung“. Alle Eigentumsformen müssen ökologischen Maßstäben unterworfen werden. Diese Maßstäbe müssen aber genannt werden.
Die Wirtschaft soll Bedürfnisse befriedigen in Wohlstand und sozialer Sicherheit, ökologisch nachhaltig wirken, innovativ sein, und Ressourcen sparsam einsetzen. Diese Forderungen kann man in fast allen Parteiprogrammen lesen. Wir müssen darüber hinaus Forderungen stellen, die eine sozialistische Wirtschaft von der kapitalistischen qualitativ unterscheiden.
In diesem Abschnitt werden auch einige Detailprobleme genannt:
Die Grundversorgung muss in die öffentliche Hand (Energie, Wasser, Mobilität, Infrastruktur, Gesundheit, Wohnen, Bildung, Kultur). Es muss eine preisgünstige umweltverträgliche Alternative zum Individualverkehr geschaffen werden. Die Güter müssen von der Straße auf die Schiene. Große Naturreichtümer gehören in die öffentliche Hand. Das sind alles Forderungen, die von uns unterstützt werden.
Im Abschnitt IV: „Linke Reformprojekte“ wird wieder ein „sozial und ökologisch gesteuertes selektives Wachstum“ gefordert. Zu beantworten wäre hier die Frage, von wem die Steuerung der Wirtschaft, und die Selektion der Unternehmen und ihrer Produktion erwartet werden.
Ein öffentlicher „Zukunftsfonds“ soll den sozial-ökologischen Umbau fördern. Der Unternehmenserfolg soll an langfristigem Wachstum, den Interessen der Beschäftigten sowie der ökologischen Nachhaltigkeit gemessen werden.
In einem Unterabschnitt „Wie erhalten wir Natur und Gesellschaft? Sozial-ökologischer Umbau“ wird ausgeführt: Das 21. Jahrhundert muss ein Jahrhundert … eines qualitativen und selektiven, die Umwelt schonenden Wachstums werden. Hier wird die Quadratur des Kreises versucht. Mit dem Reformziel Wachstum können wir nicht einverstanden sein.
Wichtig ist das Ziel, eine Schädigung der Umwelt von vornherein zu vermeiden und nicht nachträglich zu reagieren.
„ Absolute Priorität hat die drastische Reduzierung von Stoff- und Energieumsätzen“. Wie kann das mit Wirtschaftswachstum einhergehen?
Auch das Ziel der Herausbildung neuer, mit der Umwelt verträglicher Lebensweisen und einem neuen Wohlstandstyp (ohne Askese), können wir nur voll unterstützen. Wir müssen hier Vorstellungen entwickeln, wie diese Lebensweisen aussehen könnten, um sie den Menschen nahe zu bringen.
„ Jeder hat das gleiche Recht auf Nutzung der irdischen Ressourcen“ soll auf die internationale Dimension des Umgestaltungsprojektes hinweisen.
Die Energiewende wird als „Herzstück des sozial-ökologischen Umbaus“ bezeichnet. Der unverzügliche Ausstieg aus der Atomenergie wird gefordert. Keine Agrarflächen für die Produktion von Agro-Treibstoffen. Regionale Wirtschaftskreisläufe mit minimiertem Material- und Energieaufwand sind Forderungen, denen wir zustimmen können.

Was fehlt im Programm oder ist ungenügend berücksichtigt?
· Die Verantwortung und Sorge für unsere Nachfahren. Damit diese in einer intakten Natur leben können.
· Die Forderung nach einer Wirtschaftspolitik, die nicht auf Kosten der Natur erfolgt.
· Die Bedeutung der Effizienzsteigerung beim Material- und Energieverbrauch.
· Die Bedeutung eines Steuersystems, das ökologische Zielstellungen hat.
· Klimaschutz bedeutet auch, den Neubau von Kohlekraftwerken zu verhindern.
· Die Bedeutung von Energiespeicheranlagen bei wachsendem Anteil der erneuerbaren Energie, die diskontinuierlich Strom liefert.
· Die Unterbindung von Inlandflügen und Umleitung der Passagiere auf die Bahn.
· Die Umgestaltung der Autogesellschaft in mehreren Schritten.
· Die Bedeutung von Wärmedämmmaßnahmen für den Klimaschutz und die Abhängigkeit von fossilem Energieimport.
· Die Notwendigkeit, alle Häuser mit Thermosolaranlagen auszurüsten.
· Das Stoppen des Flächenverbrauchs für Siedlungen und Verkehrsanlagen.
· Die gesetzliche Pflicht, zukünftig nur noch Niedrigenergiehäuser zu bauen.
· Die Notwendigkeit die Forschungsmittel für die Nukleartechnologie auf die erneuerbaren Energien umzuleiten.
· Die Suche nach Atommüllstandorten auch in den südlichen Bundesländern.
· Verbot der Exporte von Nukleartechnologie.
· Ausdehnung und Verknüpfung von Nationalparken, Naturparken und Biosphärenreservaten und anderen Inseln geschützter Lebensräume.
· Kein Ausbau der Flüsse zu Schiffsautobahnen.
· Starke Förderung des biologischen Landbaus
· Keine überdimensionierten Großanlagen für die Massentierhaltung.
· Keine Subventionen für Agrarexporte und Reduzierung der Futtermittelimporte.
· Höhere Besteuerung von Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel und Hormonpräparaten für die Tierhaltung.
· Kein Verbrennen von Abfall. Kein Im- oder Export von Müll.
· Keine grüne Gentechnik.
· Bedeutung und Grenzen des Recyclings von Abfallmaterial.