Rezension von Götz Brandt
Das ist kein Druckfehler. Es handelt sich nicht um den Peak Oil, das Fördermaximum von Erdöl, das wir nach Auffassung vieler Fachleute bereits überschritten haben. Hier geht es um „soil“, englisch „Boden“. Der US-amerikanische Geowissenschaftler David R. Montgomery hat ein Buch über den Ackerboden geschrieben, unsere Nahrungsgrundlage. Der Vorrat an Boden geht langsam aber sicher zur Neige. Weltweit wurden seit 1860 etwa 800 000 Mio. ha Neuland urbar gemacht und der landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt. Aber es gibt kaum noch Boden, der nicht genutzt wird. Der „Peak Soil“ wurde in den 1980er Jahren erreicht. Die Nahrungsflächen auf der Welt sind rückläufig. Ebenso wie die Klimaerwärmung schreitet die Bodenerosion ganz langsam, selbst für Bauern, die den Acker beobachten, während ihres Lebens nicht wahrnehmbar, voran. Sowohl bei der Klimaerwärmung als auch beim Boden gilt, die kommende Hitzeperiode ist irreversibel und der abgetragene Boden ist für immer verloren. Das sind für die Ernährungssicherheit der weiter wachsenden Weltbevölkerung keine guten Nachrichten.
Kräfte, die die Abtragung des Bodens (Erosion) bewirken, sind Wind und Wasser. Bei Trockenheit geht der Boden bei starkem Wind auf Wanderschaft. Die fruchtbaren Lößböden in Europa sind durch Wind über Jahrhunderte heran geweht worden. Sturm kann aber auch in wenigen Tagen den Ackerboden von Farm vollständig abtragen, wie 1930 in den USA geschehen.
Boden bildet sich nur sehr langsam. Etwa ein bis zweieinhalb Zentimeter Mächtigkeitszunahme je Jahrhundert. Der steinige Untergrund wird zersetzt. Die nachschaffende Kraft des Bodens ist nicht so hoch, dass eine industrialisierte Landwirtschaft moderner Prägung über menschliche Zeiträume hinweg möglich ist. Boden ist für die Menschheit eine strategische Ressource, wird aber vom Kapital als billiges Industrieprodukt behandelt Das ist die Einschätzung von Montgomery auf Grund von Studien in vielen Ländern.
Die Fruchtbarkeit des Bodens ergibt sich aus dem Bodenleben und dem Humusgehalt. In einem Hektar guten Bodens befinden sich z. B. 450 kg Regenwürmer. In einem Kilogramm gutem Boden befinden sich mehr Organismen (Pilze, Bakterien, Viren usw.) als die gesamte Erde Menschen trägt. Besonders Tonminerale fördern die Fruchtbarkeit durch ihre große Oberfläche, 250 Gramm Ton besitzt eine Gesamtoberfläche von 800 000 m² und kann Wasser und Bodennährstoffe daran festhalten. Deshalb sind Lößböden die fruchtbarsten Böden auf der Welt. In tropischen Landschaften mit hohen Niederschlägen werden die im Boden befindlichen Nährstoffe durch den häufigen Regen ausgewaschen, die Nährstoffe befinden sich in den Pflanzen und sobald durch Rodung des Waldes die Vegetation verschwindet, verliert auch der Boden seine Fruchtbarkeit. Das ist auch der Grund, dass gerodeter Urwald nur wenige Jahre landwirtschaftlich genutzt werden kann. Wird offener Boden, der durch Pflügen entsteht, nicht mit Gründung oder Mulch bedeckt, dann ist er Wind und Wetter ausgesetzt. Kommt noch eine Hanglage des Bodens hinzu, dann erodiert der Boden, er wird bis auf den felsigen Untergrund abgetragen. Konventionelle Landwirtschaft beschleunigt die Erosion weitaus schneller als die Bodenbildung erfolgt.
Nicht nur der Boden wird langsam abgetragen, auch die Bodenfruchtbarkeit lässt langsam nach. In der EU haben 45 % der Böden einen kritisch einzustufenden Humusgehalt von weniger als 2 %. Die Großbetriebe bauen vorwiegend Getreide an und halten kein Vieh mehr. Die Erträge werden über hohe Mineraldüngergaben gesichert und nicht durch Humuszufuhr aus dem Dung der Tiere.
Ob es gelingt, den Zustand des Bodens so zu erhalten, dass er als Grundlage für den Wohlstand vieler Generationen dienen kann, davon hängt die Lebensspanne der Kulturen ab. Warum die Mesopotamier, Phönizier, Griechen, Römer und Majas jeweils nur etwa 800 bis 1000 Jahre ihre Kultur erhalten und weiterentwickeln konnten, sieht Montgomery in ihrer Fähigkeit, den Boden zu erhalten, der für die Ernährung des Volkes erforderlich war.
Ackerbau entstand nach bisherigen Erkenntnissen der Archäologie vor etwa 10000 Jahren im Grenzgebiet zwischen Irak und Iran im Zagrosgebirge. Hier entstanden dauerhafte Siedlungen mit Anbau von Weizen, Gerste und Erbsen und der Haltung von Schafen und Ziegen. Nebenbei wurde aber immer noch gejagt und gesammelt, um ausreichend Nahrung zu haben. Der Ackerbau verbreitete sich auch durch die Klimabesserung entlang der Mittelmeerküste im heutigen Syrien, Israel und Libanon. Um 5000 v. Chr. waren im Nahen Osten nahezu alle Flächen besiedelt, die sich für den Trockenfeldbau eigneten.
Die Bevölkerung nahm zu und wanderte in die Flusstäler. Hier wurde die Bewässerung der Felder entwickelt und die Erträge stiegen weiter an. Die Euphrat- und Tigrisniederung war der Geburtsort des Feldbewässerungsanbaus. Durch die Überschüsse an Nahrungsmitteln entstand eine Kultur mit Priesterkaste, Verwaltungskräften und Soldaten und die Keilschrift wurde erfunden. Zwar wurde der Boden im Tal nicht weggeschwemmt wie an den Berghängen, aber das in semiariden Gebieten im Grundwasser gelöste Salz kam durch Verdunstung nach oben und reicherte den Ackerboden an. Weizen war empfindlicher als Gerste gegen einen steigenden Salzgehalt und verschwand langsam aus dem Anbau. 2000 v. Chr. gab es dann keinen Weizenanbau mehr in Mesopotamien. Die Böden versalzten und laugten aus, die Erträge sanken um 1800 v. Chr. auf ein Drittel der Anfangserträge. Um 900 v. Chr. erfolgte der Zusammenbruch der Landwirtschaft in Zentralmesopotamien.
Im Niltal herrschten völlig andere Bewässerungsverhältnisse. Die jährlichen Überschwemmungen brachten viel Schlamm und Nährstoffe aus dem Quellgebiet des Nils. Die Flut kam in September/Oktober und zur Pflanzzeit war sie vorüber, anders als in Mesopotamien, wo die Flut, für den Anbau ungünstig, im Frühjahr kam. Nach der Überschwemmung sank der Grundwasserspiegel auf mehr als 3 m unter die Talsohle ab und es bestand keine Gefahr der Versalzung. So konnte sich die ägyptische Kultur über 7000 Jahre lang erhalten. Erst der Staudamm bei Assuan veränderte die Landwirtschaft. Der fruchtbare Nilschlamm setzte sich im Stausee ab, jedes Jahr 2 m mächtig (130 Mio. Tonnen). Die Bauern können heute mittels künstlicher Bewässerung zwar bis zu 3 Ernten einfahren, aber durch den Anstieg des Grundwassers kommt es auch hier zur Bodenversalzung. Etwa 10 % der Flächen im Nildelta mussten bereits wegen Versalzung aufgegeben werden.
Die Kulturen in Phönizien, Griechenland und Rom sind aus anderen Gründen der Bodenbewirtschaftung gescheitert. Solange der Ackerbau nur in den ebenen Tälern erfolgte, gab es nur eine geringe Bodenerosion. Als aber Wald gerodet und Hanglagen zu Ackerflächen gemacht wurden, kam es durch Regen auf die von Vegetation freien Flächen zu Bodenabtragungen bis auf den felsigen Untergrund. Das wurde zwar erkannt und schon Solon schlug um 400 v. Chr. vor, das Pflügen an steilen Hängen zu verbieten, aber der Nahrungsmangel war groß und man richtete sich nicht danach. Die humusreiche Schicht wurde weiterhin zerstört. In den Hanglagen wurde im Laufe der Zeit bis zu 40 cm Boden abgetragen. Es ist vorgekommen, dass der Boden frisch gerodeter Hänge in weniger als 10 Jahren bis auf das Ausgangsgestein abgetragen wurde. Wegen Nahrungsmangel zog die Bevölkerung weg. Auf den flachgründigen Böden wurden Oliven und Weintrauben angebaut, die immer noch gute Erträge brachten.
Im alten Rom war es nicht anders, obwohl hier die Landwirtschaft höher entwickelt war. Die Erosion der Böden war nicht so stark, erreichte aber über zweieinhalb Zentimeter je Jahrhundert. Weil dieser Bodenverlust so langsam vonstattenging, wurde er nicht als bedrohlich erkannt. Bereits um Christi Geburt reichte aber das Land um Rom nicht mehr aus, um die Stadtbevölkerung, die Brotgetreide umsonst bekam, ausreichend zu ernähren. Es wurde Getreide aus Ägypten und Nordafrika in Mengen von 200 000 Tonnen jährlich importiert. Auch Rom ging unter anderem an Nahrungsmangel zu Grunde.
Die Bewirtschaftung des Bodens mit Getreide und anderen Früchten erreichte von Kleinasien aus über den Balkan mit einer Fortschrittsgeschwindigkeit von 1 km je Jahr Westeuropa vor etwa 3000 Jahren. Zuerst wurden kleine Flächen im Wald gerodet, genutzt und nach Erschöpfung wieder verlassen. Die Bodenerosion hielt sich selbst auf Lößböden in Grenzen. Das lag am häufigen sanften Landregen und dem Schutz durch eine Schneedecke, die im Winter vor Bodenabtrag schützte. Im Mittelalter wurden aber höchstens 10 % des Landes gepflügt, der Rest war Wald und Weide. Um 1200 stand aber auf Europas besten Lößböden kein Wald wehr. Heute ist ein Zustand erreicht, wo ohne intensive Düngung keine dauerhaft hohen Erträge mehr erreicht werden können.
Die Kolonialmächte erschlossen Land in den Kolonien, um den Bedarf an Nahrungsmitteln zu befriedigen. Im Jahre 1900 führte Großbritannien bereits vier Fünftel seines Getreides, drei Viertel seiner Milchprodukte und nahezu die Hälfte seines Fleisches aus anderen Ländern ein. Die auf den europäischen Markt strömenden Nahrungs- und Genussmittel zehrten die Bodenfruchtbarkeit entfernter Kontinente auf. Die Großplantagen mit Monokulturen für Exportprodukte in Übersee führten zu einem raschen Absinken der Bodenfruchtbarkeit. Die fruchtbaren Böden lagen in den Tälern und die verdrängte indigene Bevölkerung wich in die Hanglagen aus, wo die Erosion große Schäden verursachte.
In den USA wurden zur Zeit der ersten Besiedlung durch die Europäer Wald gerodet und neben der Eigenversorgung an Lebensmitteln Tabak für den Export nach England angebaut. Tabak entzieht dem Boden viele Nährstoffe und man kann nur 3 bis 4 gute Ernten auf der gleichen Fläche erzielen. Sommerlicher Starkregen führte zum Abschwemmen des Bodens und zu tiefen Erosionsgräben. Der Boden wurde aufgegeben und man zog weiter westwärts, es war ja genug Boden vorhanden. Im Landesinneren waren die Böden aber noch erosionsanfälliger als im Küstenbereich. Damals erkannte Thomas Jefferson die Situation: „Unsere gleichgültige Art der Bewirtschaftung rührt nicht allein von mangelndem Wissen her, sondern daher, dass uns so viel Land zur Verfügung steht, das wir verschwenden können, wie es uns gefällt“. Der ausgelaugte Boden führte zu einem ständigen Strom auch der schon sesshaften Farmer gen Westen. Im neu erschlossenen Land setzten sie die zerstörerische Art zu wirtschaften fort, sie hatten nichts gelernt. Die Ernteerträge sanken, es entstanden Erosionsgräben, die Häfen versandeten durch den in den Flüssen mitgetragenen erodierten Boden. Erst 1930 wurde in den USA eine Behörde zur Bekämpfung der Bodenerosion geschaffen. Insbesondere die umgepflügten Prärieflächen waren schutzlos den Starkregen und dem Wind ausgesetzt. Die Empfehlung der Behörde war, die Ackerflächen wieder in Weideland für die Büffel zurück zu verwandeln. War der Boden aber erst einmal abgetragen, dann konnte er nicht wiederhergestellt werden. Um 1900 wurden im Mittelwesten 15 000 km² erosionsbedingt stillgelegt. Durch Stürme im Jahre 1930 wurde in South Dakota an einem Tag von einigen Farmen der gesamte Oberboden abgetragen. Die Staubwolke erreichte New York und wurde auf den Atlantik hinausgetragen. 300 Millionen Tonnen pulverisierter Oberboden ging verloren. Millionen Menschen verließen die großen Ebenen und wurden zu Umweltflüchtlingen. Die Folgen der Erosion wurden in einem Bericht wie folgt eingeschätzt: Auf 80 Mio. ha (Deutschland hat 19,1 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzfläche) waren 75 % des Oberbodens erodiert, Auf zwei Drittel von 400 Mio. ha war im Durchschnitt die Hälfte des Oberbodens erodiert. Auf fast 400 Mio. ha fehlten 25 % des Oberbodens. Ein niederschmetterndes Untersuchungsergebnis. Auf nahezu drei Vierteln der landwirtschaftlichen Nutzfläche der USA wurde der Boden schneller abgetragen als er sich neu bilden konnte. Die industriemäßige Landwirtschaft ist eine sich selbst zerstörende Wirtschaftsform. Monokulturen, Mechanisierung und freiliegender Boden in der meisten Zeit des Jahres sind die Ursachen für die verstärkte Bodenerosion. Unter Baumwolle erodiert der Boden 10 000 Mal schneller als unter natürlichem Grasbewuchs. Der Wind trägt von manchen Feldern bis zu 10 cm Boden ab. Wird der humusreiche Oberboden abgetragen, dann sinken die Erträge auf die Hälfte ab. Da in den USA eine sehr geringe Bevölkerungsdichte gegenüber Indien und China hat, ist die USA das Land, das in über 100 Länder seine Überschüsse exportiert. In den USA müssten noch 1 Milliarde Menschen zusätzlich angesiedelt werden, wenn gleiche Verhältnisse in der Bodenzuteilung je Einwohner wie in Indien oder China geschaffen würden.
Nun hat auch die amerikanische Regierung begriffen, dass man gegensteuern muss und empfiehlt den Farmern das Konturpflügen, Terrassierungen, Zwischensaat, Mulchen, Fruchtwechsel und pfluglose Bodenbearbeitung. An sich alles Maßnahmen, die zum großen Teil schon den Römern bekannt waren.
Die industrielle Landwirtschaft kümmert sich aus Kostengründen um diese Ratschläge wenig, weder in den USA noch in Europa. Seitdem Justus Liebig 1843 visionär erkannt hatte: „Es wird eine Zeit kommen, in der Äcker mit einer Lösung gedüngt werden … die in Chemiemanufakturen hergestellt wird“ und das „Minimumgesetz“ (der Ertrag wird von dem Pflanzennährstoff bestimmt, der sich im Minimum befindet) gefunden wurde, konnte man die „Bodenfruchtbarkeit“ auch ohne Dung, Mulchen und Zwischenfrucht aufrechterhalten. Wird aber zukünftig das Erdöl und Erdgas ausgehen und zwischenzeitlich erst mal teurer werden, dann wird es keine billigen Stickstoffdüngemittel mehr geben. Gegenwärtig gehen 30 % unseres Erdölverbrauchs auf das Konto der Landwirtschaft. Auch die anderen Nährstoffe, wie Phosphor und Kalium haben nur eine begrenzte Verfügungszeit. Der industriemäßige Anbau von Feldfrüchten ist deshalb eine Sackgasse.
Zukunftsfähig ist nur die biologische Landwirtschaft. Das ganze Jahr über muss der Boden mit verschiedenen Kulturen bedeckt oder gemulcht sein, damit er vor den erosiven Niederschlägen geschützt wird. Zukünftig wird das auch in Europa zu einem Problem, denn zunehmende Starkregen werden dem Boden zusetzen. Wenn wir verhindern wollen, dass das Angebot an Nahrungsmitteln zukünftig rapide sinkt, dann muss die Landwirtschaft einer radikalen Umstrukturierung unterzogen werden.
Boden lässt sich nicht in für Menschen relevanten Zeiträumen ersetzen. Diese für die Menschheit unersetzliche und unentbehrliche Ressource erneuert sich nur im Schneckentempo. Da der Bodenabtrag jedoch langsam voranschreitet und als gesellschaftliches Problem ebenso wie der langsam voranschreitende Klimawandel ignoriert wird, ist der schnelle Gewinn bei Anbau von Marktfrüchten in Großbetrieben Ziel der Wirtschaftspolitik. Wir können aber nicht einfach wegziehen und neuen Boden aufsuchen, wenn die Ertragsfähigkeit nachlässt, wie es Generationen vor uns gemacht haben. Notwendig sind deshalb die Entglobalisierung der Landwirtschaft und eine Entwicklung hin zu kleinen regionalen Märkten, auf denen lokal produzierte Güter angeboten werden. Wenn wir die Lebensdauer unserer heutigen Zivilisation verlängern wollen, dann ist ein Umbau unserer Landwirtschaft zwingend erforderlich.
Marx hatte recht mit seiner Einschätzung: „Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist ist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit“.
Originalausgabe: David R. Montgomery, „Dirt: The Erosion of Civilisations“. 2007
Deutsche Übersetzung: „Dreck. Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füssen verliert“. 2010, oekom verlag München, 24,90 €