Rezension von Roland Schnell
Sammelband der Landtagsfraktion zur Agrarpolitik in Brandenburg
Die »roten Barone« scheinen für Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg eine größere Gefahr darzustellen als Monsanto und der restliche agroindustrielle Komplex. Rund ein Drittel der 200 Seiten des Buches mit dem Titel „Umbrüche auf märkischem Sand“ beschäftigt sich mit den Ungerechtigkeiten bei der Bodenreform in der DDR und den weiteren Ungerechtigkeiten bei der Umwandlung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) nach dem Ende der DDR.
Dass diese Schwerpunktsetzung kein Zufall ist, bestätigt Axel Vogel als Vorsitzender der Landtagsfraktion im Vorwort. Er weiß von der über die Jahrtausende währenden Umgestaltung des märkischen Sands durch menschliche Arbeit in fruchtbaren Boden, meint aber, es würden „all diese Veränderungen in Umfang und Geschwindigkeit von den Umgestaltungen der Landwirtschaftsstrukturen in der DDR weit übertroffen.“ Dabei kann er sich kaum als Opfer der SED-Politik darstellen. Geboren in Bochum, hat er die Partei „Die Grünen“ in der Bundesrepublik mitbegründet und lange für deren Landtagsfraktion in Bayern gearbeitet.
Die DDR kann er erst nach deren Ende kennengelernt haben, als er ab 1991 erst in der Projektgruppe „Großschutzgebiete“, dann als Abteilungsleiter in der Umweltverwaltung des Landes Brandenburg gearbeitet hat. Er und eine Reihe weiterer Autoren des Sammelbands wollen die beklagenswerten Irrwege der Agrarpolitik als nahtlosen Übergang der alten Eliten aus der Plan- in die Marktwirtschaft deuten.
Die Opfer der Bodenreform seien durch das Zusammenwirken von alten SED-Kadern, die sich in der Leitung der Großbetriebe behaupten konnten, mit dem konservativen Deutschen Bauernverband West (DBV) und dessen willfährigen Brandenburger Landesbauernverband (LBV) ein zweites Mal um ihr Hab und Gut gebracht worden. Doch das ergibt nur ein blasses Bild, da kaum Betriebe und Personen mit Namen genannt oder Abläufe im Detail beschreiben werden. Die wenigen namentlich genannten Personen sind Politiker der SPD, wie der ehemalige Argrarminister Edwin Zimmermann oder der Abgeordnete und LBV-Vorsitzende Udo Folgert.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass ehemalige Bürgerrechtler aus der DDR hier ihren Frust über ihre Bedeutungslosigkeit abladen wollten. Als Gegenentwurf zu den Großbetrieben wird das süddeutsche Modell der Familienbetriebe auf der eigenen Scholle propagiert, die in der DDR bereits von den LPG und ihren Nachfolgern aufgesogen wurden.
Infolgedessen ist das Referenzszenario nicht das Brandenburg der preußischen Junker mit ihren, oft von Verwaltern aus dem Bürgertum durchorganisierten und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen geführten Betriebe mit einem schlecht entlohnten, rechtlosen landwirtschaftlichen Proletariat, sondern die nach der Enteignung der Junker und Aufteilung derer Flächen entstandenen Neusiedler. Ein Modell, das sich angesichts von Akteuren ohne Vorkenntnisse in der Landwirtschaft und dem Mangel an Arbeitsgerät als wenig erfolgreich erwies. Aber kühn wird behauptet: „Als […] Wilhelm Pieck am 2. September 1945 zur Bodenreform aufrief, war sie längst beschlossene Sache. […] Doch wie so oft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten versuchte die Partei, die von ihr verfolgte und brachial durchgesetzte Politik so zu präsentieren, als sei sie der Vollzug spontaner Masseninitiativen“. Die Autoren lassen jedes Verständnis für die antifaschistische Grundstimmung nach dem Ende des 2. Weltkriegs vermissen und geißeln die DDR-Landwirtschaft als hochgradig ineffizientes, Umwelt zerstörendes System, das von ignoranten und inkompetenten SED-Bonzen geleitet wurde.
Es wird schlicht ignoriert, dass so kaum die Grundversorgung eines 17 Millionen-Volkes zu gewährleisten gewesen wäre – von den Eiern und dem Schweinefleisch für West-Berlin ganz abgesehen. Ignoriert wird, dass die LPG-Bauern den Luxus einer Neubauwohnung, regelmäßigen Urlaub, Krankenversorgung, Kinderkrippe sehr wohl zu schätzen wussten und sich engagiert und fachlich hochqualifiziert um Ackerbau und Viehzucht gekümmert haben.
Natürlich war nicht alles in der DDR-Landwirtschaft uneingeschränkt richtig. Gerade aus ökologischer Sicht gibt es vieles zu kritisieren, aber es gab eben auch positive Ansätze, die in der pauschalen Verdammung durch B’90/Die Grünen untergehen. Beispielsweise die planmäßige Organisation von Fruchtfolgen zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit über mehrere Jahre oder der Anspruch, das Futter für die Tierproduktion in der Region anzubauen. Prinzipien, die heute durch die Tendenz zur Regionalisierung wieder höchst aktuell sind. Sogar an der Nutzung von regenerativen Energien, wie Biogas, wurde in den 1980er gearbeitet und ohne die politischen Veränderungen hätte die DDR hier vermutlich eine Spitzenposition in Europa eingenommen.
Es ist den Herausgebern hoch anzurechnen, dass auch andere Stimmen zu Wort kommen. So schildert Thomas Jülke, kein SED-Genosse, aus Sonnewalde lebendig, faktenreich und humorvoll, wie er als studierter Genossenschaftsbauer 1989 zu der Rolle kam, einen Betrieb mit 1.000 Mitarbeitern, 7.500 ha Ackerfläche und Ställen voller Vieh im neuen System am Leben zu erhalten. Er hält nichts von der naiven Kritik an Großbetrieben und schreibt: »Kann eine Bäuerin, die morgens in aller Frühe die Kühe melkt, dann die Schulstullen für die Kinder schmiert, noch schnell den Gemüsegarten versorgt, im Hofladen den selbst gemachten Käse an die gut ausgeruhte Kundin aus der Stadt verkauft, nach Mittag die Schularbeiten der Kinder kontrolliert, […] nach dem zweiten Melken […] eigentlich noch die Buchhaltung erledigen?«. Die Agrargenossenschaft Sonnewalde e.G. ist heute ein moderner Großbetrieb auf 2.290 ha.
Auch ökologischer Landbau kann in großem Stil betrieben werden, wie das Beispiel Brodowin zeigt. Aus einer LPG wurde ein Demeter-Betrieb im UNESCO Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin mit 70 festangestellen Mitarbeitern. Es werden jährlich 4 Millionen l Milch und Milchprodukte von 260 Milchkühen und ebensovielen Ziegen in der eigenen Molkerei verarbeitet.
Die Vermarktung von Bio-Produkten, speziell auf dem Berliner Markt, ist das Thema der Analyse von Michael Wimmer, dem Geschäftsführer der Fördergemeinschaft ökologischer Landbau (FÖL). Trotz der rasch wachsenden Nachfrage in Berlin, der Hauptstadt der Bio-Supermärkte, nehmen die Ökoflächen in Brandenburg, nach einem furiosen Start in den 1990er Jahren, kaum noch zu. Wimmer ortet das Problem in den fehlenden Strukturen zur Weiterverarbeitung der Rohware zu Produkten, wie sie von den Kunden verlangt würden, etwa Tiefkühlkost, Wurst oder gar Convenience-Produkten. Neue Molkereien in Müncheberg, Lobetal oder Brodowin sieht er als Hoffunungschimmer.
Das Konfliktfeld »Landwirtschaft und biologische Vielfalt untersucht Tom Kirschey, der Landesvorsitzende des NABU Brandenburg. Er lenkt den Blick auf die Entwässerungsgräben, die er als »klaffende Wunden in der Landschaft bezeichnet. Es sei bekannt, dass damit das Wasser flächenhaft rasch abgeführt würde, was wiederum zu Überschwemmungen an anderer Stelle führe, und trotzdem seien diese von der Landesregierung in die Liste der von der EU-Wasserrichtlinie geschützten Gewässer aufgenommen worden. Kirschey bezweifelt, dass allein die DDR-Strukturen für die Fehlentwicklungen in Brandenburgs Landwirtschaft verantwortlich seien. Es seien 20 Jahre ins Land gegangen, in denen man die Weichen hätte anders stellen können.
Auf die oft unterschätzte Bedeutung der Honigbiene weist Wolfgang Voigt, vom Landesverband der brandenburgischen Imker hin, er muss aber feststellen, dass die Studien zum Zusammenhang zwischen Waldsterben, Artenrückgang, Klimawandel und Honigbiene von der Landesregierung ignoriert werden.
Einen Teilerfolg kann Christof Potthof vom Gen-Ethischen Netzwerk verzeichnen. Die rot-rote Koalition habe sich im Herbst 2009 für ein Konzept der gentechnikfreien Landwirtschaft ausgesprochen. Offensichtlich die Reaktion auf jahrelange Proteste und Aktionen, bis zu »Feldbefreiungen« im ganzen Land, das schon 8 gentechnikfreie Regionen mit zusammen 100.000 ha aufweist. Potthof spricht die Probleme, speziell in der SPD mit ihren personellen Verflechtungen an, die einer konsequenten Umsetzung entgegenstehen.
Das Buch schließt mit einem agrarpolitischen Konzept, in dem die Postionen zu den einzelnen Politikfeldern knapp umrissen werden.
Der Band stellt eine unverzichtbare Materialbasis für jeden dar, der sich mit Gegenwart und Zukunft der Landwirtschaft in Brandenburg beschäftigen will. Die Darstellung der Vergangenheit und ihrer Auswirkungen ist ideologisch bestimmt, was sich aus der Geschichte der Partei B’90/Die Grünen erklärt. Mit den undifferenzierten Angriffen gegen Großbetriebe und einer pauschalen Kappung bei Direktzahlungen werden sie bei Brandenburgs Agrariern keinen Fuß auf den sandigen Boden bekommen.
Umbrüche auf märkischem Sand
Brandenburgs Landwirtschaft im Wandel der Zeit – Entwicklungen, Risiken, Perspektiven. Fraktion Bündnis 90, Die Grünen im Brandenburger Landtag (Hrsg.; Juli 2011, Oekom Verlag München, 200 Seiten, 14,90 Euro.
Oktober 2011