Auflage statt Wahrheit

Unter der Überschrift

Wenn die Sonne böse wird

versucht das Mitglied der Chefredaktion des Stern, Hans-Ulrich Jörges (Journalist des Jahres 2004 in der Kategorie Politik) in Heft 34/2012 die Leser gegen die Energiewende aufzuhetzen.  Seine „Argumente“ sind eine suggestive Mischung aus Fakten, Ungenauigkeiten und Halbwahrheiten. Er knüpft an die finanzielle Unsicherheit der „meisten Menschen“ an und beklagt: Dass es „wahnsinnig teuer“ werden könnte, „erklärt ihnen ja niemand.“ Auf diese Weise bietet er sich nicht ungeschickt als derjenige an, dem man vertrauen kann, um im nächsten Moment eine Verschwörung anzudeuten:

„Die Rechnung (der Energiewende) ist längst aufgemacht und sie wird immer teurer. Das ließe sich erklären. Doch es gibt eine mächtige Lobby, die das verhindert.“

Bis hier stimmt das, und wenn H.-U. J. auf Bedrohungen durch Klimawandel, peak oil, Subventionierung großer industrieller Stromverbraucher und Monopolstrukturen in Stromerzeugung und -verteilung eingehen würde, könnte er tatsächlich sinnvolle Erklärungen geben. Stattdessen hat er sich die Sonnenenergie mit dem „schier unverwüstlichen strahlenden Image“ als Problemverursacher auserkoren. Nach Belanglosigkeiten über ihr Symbol, die Sonnenblume, und einem daran anknüpfenden Seitenhieb gegen die Grünen kommt er zu der Behauptung, dass

„die Sonnenenergie zu einem Monster herangewachsen ist, das die Energiewende zu verschlingen droht.“

Das macht so ein schön gruseliges Gefühl und „normale Menschen„, die von diesem Monster „keine Ahnung“ haben, noch aufnahmefähiger für die folgenden Erklärungen:

„Wer weiß schon, dass die Kollektoren, die sie auf den Dächern und Feldern sehen, nicht unbedingt der Stromversorgung ihrer Besitzer dienen?“

Was für eine atemberaubende Erkenntnis! Kollektoren dienen der Wärme- und nicht der Stromgewinnung – weder der Besitzer, noch anderen Menschen. Strom wird mit Solarpanels erzeugt. Aber solche Wissenslücken sind ihm offenbar ebenso egal, wie die Tatsache, dass Stromerzeuger immer den Strom (bis auf einen kleinen Eigenbedarf) verkaufen. Das ist im Kapitalismus eben so: Einer produziert und verkauft und ein Anderer kauft. Schon vor Einführung des EEG haben die Kraftwerksbetreiber Strom verkauft – wie denn sonst? Warum sollten Betreiber von PV-Anlagen das nicht tun? Und was wären der Stern und seine Mitarbeiter, ohne verkauft zu werden? …

Aber da sich der Autor gegen das EEG wendet, ist zunächst daran zu erinnern, warum es überhaupt eingeführt wurde. Die fossilen und atomaren Energieträger sind erschöpflich. Das ist eine einfache Wahrheit, die nicht ignoriert werden kann und darf. Daher soll das EEG lt. § 1 Abs. 1 „im Interesse des Klima- und Umweltschutzes

  • eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung ermöglichen,
  • die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer Effekte verringern (Internalisierung externer Kosten),
  • fossile Energieressourcen schonen und
  • die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien fördern.“1)

Weil die Wende zu nicht-fossiler und nicht-atomarer Stromerzeugung eine Notwendigkeit ist, musste das EEG eingeführt und die regenerativen Energien entsprechend gefördert werden. Und solange der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtaufkommen gering war, hat das die Stromkonzerne auch nicht gestört. Inzwischen wurde jedoch der Atomausstieg beschlossen und im ersten Halbjahr 2012 betrug der EE-Anteil 25% der gesamten Stromerzeugung2). Da wird von den Verfechtern der fossil-atomaren Stromerzeugung schon mal versucht, die Gründe für das EEG vergessen zu machen. Hermann Scheer sagte dazu auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung3):

Die Energiedebatte ist im Kern seit geraumer Zeit und sich zuspitzend eine Debatte zwischen atomaren und fossilen Energien einerseits und erneuerbaren Energien andererseits. Viele wollen diese Debatte vernebeln, in dem sie so tun, also sei Energie gleich Energie. Und damit beginnt der große Irrtum, auch die große Vernebelung – und das große „Green Washing“, wie es so schön heute heißt. Zwischen diesen beiden Grundenergien – ich nenne das jetzt konventionelle Energien einerseits und erneuerbare Energien andererseits – liegen Welten. Und es sind nicht nur ökologische Welten, es sind soziologische Welten, es sind politische Welten. Und diejenigen, die dieses nicht wahrnehmen wollen, weil sie in der alten, in der gewohnten Energiewelt haften bleiben, lenken davon systematisch ab durch – sehr vordergründige – Debatten über Energiemärkte, über Energiepreise: Debatten, die von Grund auf verlogen sind, weil sie noch nicht mal im entferntesten die ökonomische Wahrheit sagen, nicht mal im entferntesten!

Zurück zu H.-U. J.

„Wer ahnt schon, dass die ihre Energie […] teuer ins Netz einspeisen – zu subventionierten Preisen, die für 20 Jahre garantiert werden? Und das mit Vorrang. Und bezahlt selbst dann, wenn das Netz voll ist und keinen Solarstrom mehr aufnehmen kann.“

Er tut so, als wären die Einspeisevergütungen („subventionierte Preise“) die Ursache steigender Energiepreise. Er könnte ja mal nachschlagen, was der britische Stern-Report 2006 beschrieben hat. Dort wurden die zu erwartenden Schäden allein durch den Klimawandel bis zum Jahr 2100 mit 5 % bis 20 % an der globalen Wirtschaftsleistung abgeschätzt, während das DIW auf volkswirtschaftliche Kosten 200.000Mrd$ bis zum Jahr 2050 kommt. Wenn wir annehmen, dass die realen Schäden nur halb so groß werden, wir den deutschen Anteil am weltweiten BIP zu Grunde legen und weiter annehmen, dass auf Grund der geografischen Lage und sonstiger Bedingungen nur 10% der Schäden in Europa auftreten, dann wären das Schäden in Höhe von 300Mrd€ in ca. 40 Jahren.
Hinzu kommt, dass nach Überschreiten des peak oil =(globales Erdölfördermaximum) alle fossilen Energieträger deutlich teurer werden – mit oder ohne politische Eingriffe. Und schließlich sind in dem EEG Subventionen in Höhe von „weit mehr als 20 Milliarden Euro über zehn Jahre für Teile des produzierenden Gewerbes“ enthalten (Quelle: DUH). Das sind Steuergeschenke für die Industrie, womit sich inzwischen die EU-Kommission beschäftigt – und auf die „normale Menschen“ ja auch hingewiesen werden könnten.

Wenn das Netz „voll ist und keinen Solarstrom mehr aufnehmen kann„, können die Netzbetreiber PV-Großanlagen ab 100 kWp (ebenso, wie Windkraftanlagen) per Einspeisemanagement drosseln oder ganz abschalten.In diesem Fall muss der Netzbetreiber den Anlagenbetreiber entschädigen, wenn der Strom nicht eingespeist werden konnte. Ohne Vereinbarung steht dem Anlagenbetreiber die entgangene Einspeisevergütung zu, abzüglich der ersparten Aufwendungen. Diese Regelung dient dazu, den Netzbetreibern, die ihrer Versorgungsaufgabe nicht nachgekommen sind und den Netzausbau schleifen lassen haben, finanziell „auf die Sprünge zu helfen“, was angesichts der Energiewende ebenfalls nötig ist.

„Solarenergie ist zu einem gigantischen Geschäft geworden, […] Mieter zahlen zweimal, für Wohnen und Solarsubvention, an die Hauseigentümer.“

Das ist pure Demagogie, denn Miete und Stromkosten wurden immer schon getrennt bezahlt – mit dem einzigen Unterschied, dass die Gewinne der Stromkonzerne nicht ausgewiesen werden mussten, während das bei der Solarumlage der Fall ist.

„Mehr als 110 Milliarden Euro ist die 20-Jahre-Rechnung bislang schwer, bezahlt sind davon erst 15 Milliarden. Seit die rot-grüne Koalition im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verabschiedet hat, ist der Strompreis von rund 14 auf 25 Cent je Kilowattstunde gestiegen…“

H.-U. J.  liefert hier ein klassisches Beispiel, für das, was Hermann Scheer „diese Debatte vernebeln“ nennt. Vergleichen wir nur die Vermeidung von vorsichtig geschätzten Klimafolgeschäden in Höhe von 300 Mrd. € in 40 Jahren mit seiner Angabe für die Einspeisevergütung von 110 Mrd. €  – ein klarer Gewinn für die Energiewende. Bezüglich des Strompreises finden wir folgende zusätzliche Information in Wikipedia: „Abzüglich der allgemeinen Preissteigerung seit 1998 läge der Strompreis 2011 bei 20,7 Cent/kWh, also 21 % über dem Strompreis von 1998. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Preissteigerung von 1,6 % über der allgemeinen Preissteigerung.“

„Im Hochsommer, mittags, verstopft der Solarstrom dagegen die Leitungen, macht das Netz instabil und zwingt zum Abschalten von Kraftwerken, die für die Grundlast gebraucht werden, sich aber nun nicht mehr recht rentieren.“

Welche Grundlastkraftwerke sind das, die abgeschaltet werden müssen? In erster Linie Braunkohle- und Kernkraftwerke. Bezüglich der AKW ist die Mehrheitsmeinung in Deutschland inzwischen klar und Braunkohlekraftwerke haben den größten CO2-Ausstoß. Der schrittweise Ersatz bzw. die  Abschaltung dieser Kraftwerke ist genau das Ziel der Energiewende – aber nicht ihrer Betreiber. Im ersten Halbjahr 2012 haben die erneuerbaren Energien am Anteil der Stromerzeugung mit der Atomkraft gleich gezogen. Das weckt natürlich Widerstand der Lobby, von der Jörges mit der Hetze gegen „eine mächtige pseudogrüne Lobby“ (Hauseigentümer, Bauern , Hersteller und Handwerker) ablenken will. Für die Energiekonzerne legt er sich richtig ins Zeug. Und zwar so vehement, dass er sich selbst ad absurdum führt, indem er erklärt, dass sich die fossilen und AKW nicht mehr rentieren, dass die erneuerbaren Energien also (bei ausreichendem Angebot) an der Strombörse billiger sind. Die Strombörse hat aber überhaupt nichts mit der EEG-Umlage zu tun, da sprechen nur Angebot und Nachfrage. Nebenbei bemerkt. Die großen Stromverbraucher beziehen ihren Strom an der Strombörse und sind von der Umlage befreit. Sie profitieren also doppelt: durch Befreiung von der Umlage und den niedrigen Preisen an der Börse.

Das Ende des Artikels lautet

„Das Küstenland Schleswig-Holstein wird 2020 dreimal so viel Alternativstrom erzeugen, wie es selbst verbraucht. Für wen? Die Sache ich unhaltbar. Wettbewerb muss her, das EEG fallen. Wer eine Solaranlage installiert, soll den Strom gefälligst selbst verbrauchen. Sonnenwende“

Ob Herr Jörges mit diesem Artikel die Auflage des Stern positiv beeinflusst, ist schwer abzuschätzen. Möglich ist es schon. Schließlich ist der Artikel reißerisch genug. Aber mit unsolider Berichterstattung hat der Stern schon im Jahr 1983 so seine Erfahrungen gemacht. Es könnte also auch nach hinten losgehen…

Vielleicht sollte er künftig das, was er schreibt, nur noch „gefälligst selbst“ lesen?

W. Borchardt
21.9.2012

 


1) Quelle: Wikipedia – Erneuerbare-Energien-Gesetz
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2) Nach den Daten der Strombörse Leipzig erreichte der Anteil von Wind und Solar am 14.9.2012 in der Spitze einen Beitrag von 45 Prozent an der gesamten Kraftwerksleistung (rd. 69.400 MW zwischen 13:00 und 14:00 Uhr). Der Bedarf konventioneller Kraftwerke (Atom-, Kohle-, Gaskraftwerke) wurde dabei auf Nachtniveau (ca. 40.000 MW) gedrückt. Beide Energieerzeugungsarten waren an diesem Tag je zur Hälfte an dem neuen Rekord beteiligt. Zwar haben sowohl die Windenergie als auch die Solarenergie jeweils für sich betrachtet schon mit einer höheren Leistung Strom produziert (Windenergie: rd. 24.000 MW am 03.01.2012; Solarenergie: rd. 22.150 MW am 25.05.2012), aber im Zusammenspiel der beiden regenerativen Energiearten wurde die 30.000 MW-Schwelle bis heute noch nicht erreicht. (Quelle: CO2-Handel.de)
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3) Der komplette Vortrag „Power to the people! Neue Energie für linke Alternativen“ findet sich in der Tarantel Nr. 53
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Kommentar

Bei der Frage der Einspeisung statt Eigenbedarf (in dem Artikel wird das als Vorwurf gebracht) sollte man nicht vergessen, dass das von der Energielobby so gewollt wurde. Die Solar-Aktivisten waren 1990 durchaus noch auf dem Pfad der Selbstversorgung.

Statt EEG gab es das Modell der Einspeisung zum Selbstkostenpreis. Damals natürlich höher als heute. Oder ein Ausgleichsmodell, bei dem Bezug und Verbrauch zum gleichen Preis verrechnet werden sollten. Dank der Grünen bekamen wir das EEG mit allen Problemen.

Heute wären die Technik und Software reif für inteligentere Modelle. Aber den Grünen fällt dabei immer nur irgendwas mit Markt ein.

Gemeinwirtschaftliche Lösungen sehen anders aus, aber wer schlägt sie vor?

Roland Schnell, Berlin, DE