Geht es einem Menschen gut, wenn er ertappt wird? Anscheinend nicht. Oder weshalb sonst gibt es diesen Aufschrei seitens des Vorsitzenden der IG BCE?
Was ist geschehen?
Greenpeace hat am 11.4.2013 eine kurze, 35-seitige Aufstellung mit dem Titel „Schwarzbuch Kohle“ darüber verfasst, wie Kohlewirtschaft und Politik miteinander verfilzt sind (siehe „Greenpeace: Schwarzbuch Kohle„). Darin sind Namen von 45 Politikern, Managern und auch Gewerkschaftern genannt – incl. ihrer bisherigen Karrieren.
Im Vorwort schreibt der Energie-Experte Greenpeace Deutschland, Gerald Neubauer:
„Kohle ist der Klimakiller Nummer eins. Kein anderer Energieträger belastet das Weltklima mit derart viel Kohlendioxid. Die Erde erwärmt sich, mit katastrophalen Folgen. Giftige Emissionen aus Kohleschloten wie Schwefeldioxid, Stickoxide, Ruß und Staubemissionen bilden in der Luft Feinstaub. Die kleinsten Teilchen dringen beim Einatmen tief in die Lunge und Blutgefäße ein und können den Organismus schädigen. Atemwegserkrankungen, Herzinfarkte, Lungenkrebs oder Asthmaanfälle sind die Folge. Außerdem ist klar: Wir brauchen den Ausstieg aus der Kohlekraft als Motor für die Energiewende. Nur wenn die alten Kohlekraftwerke schrittweise abgeschaltet werden, können die Erneuerbaren Energien ihr Potenzial entfalten. Jenen unerschöpflichen und umweltfreundlichen Energiequellen gehört die Zukunft, nicht der Kohle.
Trotzdem tut sich die Politik schwer mit einem Kohleausstieg. Warum ist das so? Weil ein halbes Jahrhundert lang die Kohle ein Garant für wirtschaftlichen Aufschwung war. Und weil dieses halbe Jahrhundert Spuren und Seilschaften zurückgelassen hat, auch wenn die Kohle heute nicht mehr zeitgemäß ist.
Der vorliegende Report geht auf die Spurensuche nach diesen Verflechtungen von Politik und Kohleindustrie. Das „Schwarzbuch Kohlepolitik“ nimmt Politiker der fünf großen Parteien unter die Lupe. Es untersucht, welche Protagonisten zwischen politischen Funktionen und Posten in der Energiewirtschaft die Seiten wechseln, wer aus wahltaktischen Gründen für die Stein- und Braunkohleindustrie in die Bresche springt und wer von der Industrie für deren eigene Zwecke instrumentalisiert wird.
Diese Strukturen stehen der Energiewende im Weg. Wir wollen sie aufzeigen.“
Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) Michael Vassiliadis meint:
„Diese Publikation enthält eine ganze Reihe von persönlichen Vorwürfen, verunglimpfender Unterstellungen und Zerrbildern. [1]
„Im Vorwort wird als Begründung für die Nutzung der Kohle das Wirken von „Seilschaften“ [2] angeführt, das Schwarzbuch untersuche daher, welche der Protagonisten „aus wahltaktischen Gründen für die Stein- und Braunkohlenindustrie in die Bresche springt und wer von der Industrie für deren eigene Zwecke instrumentalisiert wird.
…
Eine sachlich-inhaltliche Argumentation zur Kohlenutzung findet dagegen überhaupt nicht statt.[3]
…
Das im Schwarzbuch gezeichnete Bild der porträtierten Politiker als Erfüllungsgehilfen der Kohleindustrie spricht diesen dagegen jegliche eigene inhaltliche Begründung und Überzeugung für ihre energiepolitischen Positionen ab [4]
…
Politische Vernetzung gehört in der heutigen Zeit zum politischen Geschäft, der Wechsel von Funktionen zwischen Verbänden, Politik und Unternehmen zu vielen Erwerbsbiographien. Dies im Fall von Politikern, die für die Kohlenutzung als Brückentechnologie auf dem Weg in ein Zeitalter der erneuerbaren Energien eintreten, als Filz zu diskreditieren, ist ein politisch durchschaubares Messen mit zweierlei Maß und völlig unakzeptabel.[5]
Nehmen wir einmal Lobbyismus als eine in der Demokratie notwendige „Form der Interessenvertretung in Politik und Gesellschaft“ (Wikipedia), dann ist eine Gewerkschaft natürlich auch eine (Arbeitnehmer-)Lobby – jedenfalls solange sie die Interessen der Arbeitnehmer vertritt (Dass es auch Gewerkschaften gibt, die durch Unternehmen oder deren Strohmänner gegründet wurden, soll hier nicht betrachtet werden.). Problematisch wird Lobbyismus jedoch dann, wenn dadurch Machtverhältnisse verschoben, Gesetze und/oder Verordnungen beeinflusst oder unterlaufen werden (siehe z.B. „Kampf um Strom„; „Organisation einer Lüge„; „Europäisches Parlament verhindert Reduktion von Verkehrslärm“; „Der Einfluss der Gentechnik-Lobby : Wie Brüssel die Verbraucher täuscht„; „Lex Monsanto“ oder auch „Der Wasser-Konzern Veolia klagt gegen den Film „Water Makes Money“. Es droht das Verbot des Films.“ – um nur einige Beispiele zu nennen). Solche Fälle von Lobbyismus sind der Demokratie keineswegs förderlich; sie zerstören dieselbe.
Doch das ficht ihn nicht an, im Gegenteil: Seiner Meinung nach ist derjenige, der die Lobbytätigkeit aufdeckt, der Demokratiefeind:
„Den von Greenpeace gewählten Stil der persönlichen Diffamierung kennen wir sonst nur aus dem rechtsextremen Lager, dies ist mit den Ansprüchen an demokratisch orientierte Organisationen nicht vereinbar.“
Die wütende Reaktion des Vorsitzenden der IG BCE, Herrn Vassiliadis, ist offenbar nicht damit begründet, dass er Lobbyist ist, sondern, dass er Branchenpolitik für die Kohle als Energieträger betreibt, die – wie von Greenpeace beschrieben – „heute nicht mehr zeitgemäß ist“. Die dafür von Greenpeace angebrachten Argumente ignoriert er geflissentlich. Er geht sogar (in geistiger Gemeinsamkeit mit der Bundesregierung) noch weiter und entleert den Begriff „Energiewende“ auf den Ausstieg aus der Kernenergie:
„Ich habe selber in mehreren Gremien die Energiewende inklusive dem Ausstieg aus der Kernenergie mit gefördert.“
Und er beklagt die „fast religiöse“ Fixierung auf regenerative Energien: „Ein Industrieland wie Deutschland mit hundert Prozent regenerativer Energie zu versorgen – das ist ein Vorhaben, das ich mit der Mondlandung vergleichen würde.“ (siehe „Schwarzbuch Kohle„; S. 19)
Auf seiner Internetseite kritisiert Greeenpaece am 26. April 2013, dass
„Vassiliadis weder auf die im Schwarzbuch Kohlepolitik erhobenen Vorwürfe gegen ihn eingegangen (ist), noch hat er auf die Kritik an der Klimaschädlichkeit von Kohlekraftwerken reagiert. Den Versuch, die Kritik von Greenpeace in das „rechtsextreme Lager“ zu stellen, weist die unabhängige Umweltorganisation scharf zurück.
´Es gehört zu den Aufgaben von Greenpeace Transparenz in solche undurchsichtige Verflechtungen zu bringen. Seit wann begibt man sich ins rechtsextreme Lager, wenn man in Deutschland öffentlich zugängliche Daten zusammenfasst?´,
kritisiert Greenpeace Energieexperte Niklas Schinerl die verbale Entgleisung Vassiliadis.
´Mit dem offenen Brief an Greenpeace macht Vassiliadis das, was er Greenpeace vorwirft, er diffamiert.´
…
„Die IG BCE und ihr Vorsitzender arbeiten aktiv gegen Umwelt- und Klimaschutz – unter anderem auch gegen EU-Gesetze zu giftigen Chemikalien, gegen die Festlegung von Klimazielen oder für den Bau neuer Kohlekraftwerke. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Kanzlerin Angela Merkel sollten sich gut überlegen, ob Vassiliadis der geeignete Berater für Zukunftsprojekte wie die Energiewende ist“
Inzwischen (2.5.2013) hat die Greenpeace Geschäftsführerin Brigitte Behrens ebenfalls mit einem Offenen Brief geantwortet. Dort heißt es unter anderem:
„Die Haltung von Greenpeace gegenüber der Kohlekraft ist keine „provokante Positionierung“, sondern eine umweltpolitische Notwendigkeit im Kampf gegen den Klimawandel. Feinstaubbelastung, Atemwegserkrankungen, Belastung des Gesundheitssystems, Gefährdung der Klimaschutzziele, Gefährdung von Flusssystemen, Umweltfolgekosten, Belastung des Grundwasser, Behinderung der Energiewende, Milliardensubventionen für die fossilen Energieträger, Umsiedlung ganzer Dörfer, Landschaftszerstörungen im gigantischen Ausmaß – all dies sind Folgen des nicht notwendigen Festhaltens an der Kohle. …“
[1↑] Greenpeace hat in seiner Dokumentation öffentliche Quellen recherchiert und die Quellen der Aussagen auf insgesamt 4 Seiten dokumentiert. Für Herrn Vassiliadis sind das Unterstellungen und Zerrbilder.
[2↑] Diese Behauptung (unterstrichen) ist falsch, es geht um die Frage, warum „sich die Politik schwer mit einem Kohleausstieg tut“
[3↑] Auch diese Behauptung (unterstrichen) ist falsch, wie an dem oben (vollständig) zitierten Vorwort nachgelesen werden kann.
[4↑] Sieht so das Absprechen einer Überzeugung aus?
(Im Übrigen finde ich persönlich Menschen, die für ihre Überzeugung eintreten, allemal ehrenwerter, als diejenigen, die sich prostituieren und ihre Meinung von demjenigen abhängig machen, der sie bezahlt.)
[5↑] „Filz ist ein textiles Flächengebilde aus einem ungeordneten, nur schwer zu trennenden Fasergut.“ (Wikipedia) Das ist bei der „Vernetzung“ nicht anders.
Zum Vergleich ein weiteres Zitat aus der Wikipedia:
„Strukturelle Korruption
Der korruptiven Handlung liegen langfristig angelegte („gewachsene“) Beziehungen zugrunde …
Formen der Korruption
Zu korrupten Handlungen gehören auch – allerdings nicht in strafrechtlicher Hinsicht – jene Stellenbesetzungen in Verwaltungen und öffentlichen Unternehmen, die unter parteipolitischen Gesichtspunkten erfolgen: Ämterpatronage, Nepotismus (Vetternwirtschaft), Klientelismus. …“