„Ökosozialismus“ fördert die Barbarei ist eine Replik von Hansjürgen Schulze auf Bruno Kerns elf Thesen: „Ökosozialismus oder Barbarei“ – siehe Tarantel Nr. 68 (klick)
Der Text von Hansjürgen Schulze liegt als pdf-Datei vor und kann hier (klick) heruntergeladen werden. Es handelt sich um einen Diskussionsbeitrag und keinesfalls um eine abschließende Meinung der Ökologischen Plattform. Das wäre angesichts der unterschiedlichen Menschen, die bei uns mitwirken, auch gar nicht möglich.
Kommentare und Diskussionsbeiträge
zu „Ökosozialismus oder Barbarei“ und zu „Ökosozialismus“ fördert die Barbarei von
Götz Brandt, Friedhelm Knipping-Petri, Wolfgang Borchardt
Weitere Beiträge zur diesem Thema sind jederzeit willkommen und werden hier ergänzt.
Götz Brandt zu den Thesen „Öko-Sozialismus oder Barbarei“
- These 1) Diese These erweckt den Eindruck, dass wir es mit einem Gegenwartsproblem zu tun haben und die „unüberwindliche und endgültige Grenze“ bald erreicht wird. Die endgültige Grenze des Wachstums durch Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen wird erst in einigen Jahrhunderten erreicht. Die Rohstoffe für die Eisen und Stahl-Herstellung, nämlich Eisenerz und Steinkohle, wird es noch einige Jahrhunderte geben und damit auch die Grundlage für den Maschinenbau, der bekanntlich Kernstück der deutschen Exportwirtschaft ist. Die Chemieindustrie kann nach dem Ende des Erdöls wieder auf die Teerchemie umsteigen, aus der die Petrolchemie entstanden ist. Die Autoindustrie wird nach dem Ende der Benzinversorgung auf Elektroautos umsteigen. Damit soll deutlich gemacht werden, dass die endgültige Grenze des Wachstums in weiter Ferne liegt. Im Prinzip ist die These der endgültigen Grenzen des Wachstums natürlich richtig, aber sie muss differenziert dargestellt werden. Ihr Einfluss auf die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus ist nicht so bedeutend, dass die Industrieproduktion gefährdet ist.
Eine natürliche Schranke des Wachstums wird wohl früher durch den Klimawandel gesetzt. Dieser wird bereits in 50 Jahren die Welt derartig verändern, dass große Landstriche dem Kapital nicht mehr als Absatzmarkt zur Verfügung stehen werden, weil sie unbewohnbar sind. Der Klimawandel wird auch große Gebiete der USA erfassen und der jetzt umfangreiche Export von Agrarprodukten wird aufhören.
In dieser These wird ebenfalls der bereits in den achtziger Jahren überschrittene „Peak soil“ nicht erwähnt. Das Zurückgehen der Bodenfläche und der Bodenfruchtbarkeit wird zu erheblichen Versorgungsschwierigkeiten führen. Im Zusammenhang mit dem immer noch progressiven Bevölkerungswachstum entsteht hier jedenfalls auch eine Grenze des Wachstums. Diese Grenze muss ebenfalls erwähnt werden.
Die erste These ist zu einseitig auf Rohstoffe ausgelegt. Das muss ergänzt werden. - These 2) Es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass das Kapital keine brachliegenden Wachstumspotenziale mehr hat und dadurch das Wachstum gebremst wird. Zumindest für die nächsten 50 Jahre ist China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen ein riesiger Wachstumsmarkt. Auch andere Märkte in Afrika, Brasilien und Südamerika, die durch den Rohstoffexport auch eine wachsende Kaufkraft haben, liegen noch weit gehend brach. Erst 60 % der Agrarproduktion wird weltweit kapitalistisch betrieben. Auch hier gibt es für das Kapital noch Wachstumspotenziale.
In diesem Zusammenhang müsste auch auf die Rolle des Welt-Spielcasinos eingegangen werden. Mit der Finanzierung der Produktion hat dieses Casino nichts zu tun. Sein Einfluss auf das Krisengeschehen wird nicht beleuchtet. Ebenso wird das Problem der Überproduktionskrisen nicht eingeschätzt. - These 3) Es wird behauptet, dass das Potenzial der erneuerbaren Energien nicht unerschöpflich ist. Aber die Sonne liefert unerschöpfliche Energie. Gemeint ist wohl, dass dieses Potenzial technisch, technologisch und ökonomisch nicht voll genutzt werden kann und dass es kaum möglich sein wird, dass die Energiedichte der fossilen Energiequellen mit erneuerbaren erreicht wird. Dass zukünftig weniger Nettoenergie zur Verfügung steht als zur Zeit der fossilen Energieträger, dürfte klar sein.
- These 4) In diesem Punkt muss die Frage beantwortet werden, was die Industriegesellschaft ersetzen soll. Wie sollen wir leben, wenn es keine Flugzeuge, keine individuellen Autos, weniger Zement und Aluminium usw. geben wird. Die Frage muss beantwortet werden, ob die gegenwärtig entwickelten Produktivkräfte einen Ausweg aus der Industriegesellschaft möglich machen oder dafür weitgehend unbrauchbar sind. Wie weit soll und muss der Lebensstandard gesenkt werden? Das ist eigentlich die zentrale Frage, mit der sich keiner Partei und kein Unternehmer gegenwärtig befassen.
- These 5) Marx hat keine Anleitung gegeben, wie der Sozialismus gestaltet werden soll. Von einem „marxistischen Sozialismusverständnis“ zu reden ist also nicht angebracht. Marx und Engels haben klare ökologische Vorstellungen gehabt. Es war ihnen bewußt, dass die Profit-Wirtschaft und in die vom Kapital entwickelten Produktivkräfte am Ende den Menschen und die Natur zerstören. Marx hat sich auch klar geäußert, dass die Produktivkräfte im Kapitalismus immer mehr zu Destruktivkräften werden. Er hat nicht gesagt, dass der Sozialismus erst eingerichtet werden kann, wenn eine bestimmte Stufe der Entwicklung der Produktivkräfte erreicht ist. Der in dieser These genannte „Unterschied“ ist konstruiert und stimmt nicht.
Die These, dass „eine sozialistische Gesellschaft unabhängig von einem bestimmten Grad der Produktivkraftentwicklung ist und letztere dafür sogar hinderlich sein kann“, führt uns zurück in den christlichen Urkommunismus. Kann man Sozialismus von der Entwicklung der Produktivkräfte abstrahieren? Auch hier fehlt der Zusammenhang zur Bevölkerungsexplosion. - These 6) Das ist eine bekannte und richtige These.
- These 7) ein Schrumpfungsprozess wird im Rahmen des kapitalistischen Systems erfolgen müssen, denn der Machtapparat des Kapitals (Regierung, Medien, Polizei usw.) wird das Entstehen einer anderen Gesellschaftsordnung verhindern. Es sind heute keine Kräfte erkennbar, die eine sozialistische Wirtschaft einführen könnten. Ein „Widerstand gegen das Kapital“ ist wünschenswert, liegt aber in weiter Ferne. In der Kriegswirtschaft hat das Kapital bereits Erfahrungen gesammelt, wie Rohstoffe auf die einzelnen Betriebe verteilt werden können und die Versorgung der Bevölkerung gesichert werden kann. Auch unter kapitalistischen Verhältnissen hat es eine geplante Rohstoffbewirtschaftung zu Kriegszeiten gegeben. Heute hat Deutschland die Kriegsziele des 1. Weltkrieges erreicht und als stärkste Wirtschaftsmacht Europa unterjocht. Bei knappen Rohstoffen werden die stärksten kapitalistischen Länder Kriege führen um die Rohstoffversorgung zu sichern, auch als Stellvertreterkriege gegeneinander. Diesen Zustand haben wir schon heute.
- These 8) Anstelle einer Marktwirtschaft wird es wahrscheinlich eine der Kriegswirtschaft ähnliche Planung der Wirtschaft geben. Die stärksten Monopole bekommen die meisten Rohstoffe. Die Bevölkerung bekommt Lebensmittelmarken und Bezugsscheine. Um den Profit zu sichern wird das Kapital Rohstoffkriege führen. Auf diese Probleme wird in dieser These nicht hingewiesen.
- These 9) Es ist eine Wunsch- und Idealvorstellung, dass der Staat zukünftig als starker Akteur auftreten wird. Der Staat ist und bleibt Ausführungsorgan des Kapitals. Der Staat hat keine Macht, eine volkswirtschaftliche Planung im Interesse der Bevölkerung einzuführen. Er hat dafür gegenwärtig auch keine Fachleute. Die Autarkie lokaler Gemeinschaften wird bei einer Mangelversorgung zwangsläufig auch ohne eine Planung von oben entstehen. Es wird Tauschwirtschaft auf lokaler Basis geben, ein schwarzer Markt wird als Begleiterscheinung der Mangelwirtschaft auftreten. Das haben wir in Deutschland alles schon mal erlebt. Zur Mangelwirtschaft können die Wirtschaftsexperten der DDR viel Wissen beisteuern.
- These 10) in dieser These sind die Ziele richtig gestellt, aber das hat noch nichts mit Sozialismus und Ökologie zu tun. Diese Ziele können nur durch Umerziehung der Menschen und seiner Befreiung von der vierfachen Entfremdung (Marx) erreicht werden. Lokale Produktion und Einschränkung des Fernhandels sind noch kein Sozialismus und eine ökologische Produktion ist damit nicht zwangsläufig verbunden.
- These 11) Exit-Strategien wurden bereits von zahlreichen Autoren in den letzten 50 Jahren entwickelt. Diese gilt es zur Kenntnis zu nehmen, auszuwerten und mit linken Zielen zu verknüpfen. Linke Politikvorschläge für Exitstrategien gibt es ebenfalls zahlreich. Die LINKEN machen nur keinen Gebrauch von ihnen. Gegenwärtig ist linke Politik weder antikapitalistisch noch antiindustriell. Ein Exit, welcher Art auch immer, ist nicht in Sicht. Das Strategiepapier der linken Bundestagsfraktion geht von einem Weiterbestehen des Kapitalismus bis 2050 aus. Auch danach wird nicht eine sozialistische Gesellschaft postuliert.
Friedhelm Knipping-Petri
In der Einschätzung des akkumulationsgetriebenen und expansionsorientierten Wirtschaftssystems und seine Auswirkungen auf Mensch und Natur herrscht unter Ökosozialisten allgemeine Übereinstimmung. Daher ist auch die meines Erachtens wenig differenzierte Kritik am Marxschen Natur- u. Sozialismusverständnis unter Punkt 2 u. 5 nicht von allzu hohem Belang, da sie hinreichend durch die Arbeiten von Götz Brandt, Elmar Altvater, John B. Foster u. a. widerlegt ist. Vielmehr ist entscheidend, wie und dass wir gemeinsam sehr rasch die „Welt“ handelnd verändern, damit sie auch künftig für Homo sapiens bewohnbar bleibt.
Trotz dieser unerheblichen Meinungsdifferenz kommt dem Thesenpapier sowie weiteren beachtlichen Arbeiten der Initiative Ökosozialismus u.a. das Verdienst zu, der Linken nicht nur den Bruch ihres programmatischen Anspruchs vor Augen zu führen, sondern ebenso ihre ökosozialistische Orientierungslosigkeit aufzuzeigen.
Ohne auf Details einer Systemtransformation und Ausgestaltung einer ökosozialistischen Ökonomie eingehen zu wollen (auch das haben andere schon hinreichend getan), möchte ich jedoch auf eine brisante Lücke des Thesenpapiers hinweisen.
Es fehlt wie bei allen neueren Kapitalismuskritiken das entscheidende, dialektische Narrativ, wie die Spezies Homo sapiens nach Überwindung des kapitalistischen Wachstumsimperativs und trotz geschrumpfter ökosozialistischer Wirtschaft sich in einem bereits langfristig irreversibel geschädigten planetarischen Ökosystem einzurichten hat, um in ihm überleben zu können. Eine solche Wahrheit ist den Menschen überfällig zumutbar.
Es geht eben nicht nur um Exitstrategien aus dem kapitalistischen System, sondern vor allem um weiterweisende aut- und synökologische Überlebensstrategien im Ökosystem Erde. Erstere sind lediglich, wenn auch unabdingbare Voraussetzung für letztere, welche man bisher schmerzlich vermisst, obwohl die Hominisation vom wildjagenden Urmenschen zum profitjagenden Hegemon im Kapitalozän (Altvater) geführt hat, der in einem Exploitationskrieg gegen den Planeten (J.B.Foster) inzwischen den Fortbestand seiner eigenen Spezies hochgradig gefährdet.
Brandaktuell hat Elmar Altvater mit „ Engels neu entdecken“ hierfür eine Steilvorlage geliefert, zumal es in dessen Thesen um das Begreifen eines „dialektischen Gesamtzusammenhanges“ von Natur und Gesellschaft geht.
Der Metabolismus der Spezies Homo sapiens mit der Natur, besser im Ökosystem, muss auch nach dem Exit unabdingbar störungsfrei geschehen, wenn dessen Funktion dauerhaft gewährleistet sein soll. Die sich evolutionär herausgebildete Ökosystemhierarchie darf bei Strafe des gemeinsamen Untergangs durch unsere Spezies nicht länger hegemonial geschädigt werden. Als untrennbarer Bestandteil des planetarischen Ökosystems hat sie sich vielmehr den eben nicht beherrschbaren Naturgesetzen unterzuordnen, will sie dieses zu ihrer Artensicherung noch erdgeschichtlich längerfristig nutzen. Jeder Versuch, Natur zu domestizieren und zu übernutzen, muss scheitern und zwar unabhängig vom jeweiligen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem!
Das kapitalistische Ausbeutungssystem hat dafür bereits den unwiderleglichen Beweis angetreten. Insofern ist auch der Titel des Thesenpapiers leider linker Euphemismus:
Die Alternative wird eben nicht Barbarei, sondern unser aller Untergang im Ökozid sein.
In der herrschenden (Umwelt-)Ideologie ist Umwelt ein Kopfprodukt, die individuelle Abbildung der realen Außenwelt, des geosphärischen Kontinuums Erde.
Lassen wir uns nicht länger von abgedroschenen und inhaltslosen Schlagworten wie Nachhaltigkeit, Natur-, Umwelt- oder Klimaschutz beeindrucken, sondern befreien wir endlich das planetarische Ökosystem von seinen ausbeuterischen Fesseln. Wir haben nichts mehr zu verlieren, aber eine bleibende Heimstatt für die nachfolgenden Generationen zu gewinnen.
Ökosozialismus erstrebt die synökologische Lebensform einer ubiquitären herrschaftsfreien Solidargemeinschaft unter konsequenter Beachtung naturgesetzlicher Notwendigkeit im jeweiligen Ökosystem, deren angepasster Populationsdruck die Tragfähigkeit der Erde nicht untergräbt.
Zur und nach Überwindung des ökosozialistischen Interimssystems mit seiner ja noch inhärenten Klassenstruktur und deren antagonistischer Widerspiegelung in der Geosphäre wird es u. a. des herrschaftsfreien Steuerungsinstrumentes einer Landschaftsökologie bedürfen, die den anthroposphärischen Lebensraum von seiner Entfremdung und Entsinnlichung befreit (B. Wormbs) , sozial organisiert und gestaltet, damit die Blochsche Vision von Heimat sich doch noch verwirklichen wird.
Traditionelle Forderungen wie Bedingungsloses Grundeinkommen, Vermögenssteuer, Mindestlohn und andere populäre sozialpolitische Maßnahmen sind letztendlich systemstabilisierend, wenn sie nicht eingebettet sind in eine ökosozialistische Orientierungsstrategie, die für unsere Nachkommen in einem mittelfristig bereits irreversibel geschädigten Lebensraum ein gesichertes Überleben anstrebt.
Diese wird jedoch von linkem Führungspersonal auf Bundes- wie auf Landesebene mehrheitlich auf dem Altar eines tagespolitischen Opportunismus` kurzsichtig geopfert.
Der offensichtlich unvermeidliche Ökogau trifft auf eine sozialökologisch völlig unvorbereitete, weil orientierungslose Linke, deshalb ist das Gebot der Stunde, sie und sich grundlegend zu verändern.
Dringend geboten ist daher ein synökologisches Manifest, eine Anleitung zum (Über-) Leben in einem räumlich begrenzten biologischen Beziehungsgefüge, das auch als Negation des anthropozentrischen Herrschaftswahns auf Dauer nur störungsfrei funktionieren wird, wenn eine solidarisch egalitäre Gesellschaft mit diesem einen selbstbegrenzten Stoffwechsel zur Sicherung ihrer arterhaltenden Grundbedürfnisse eingeht.
Es gilt alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches und selbst ein hegemonisches, speziesistisches und antagonistisch ausbeuterisches Wesen ist.
Wolfgang Borchardt:
- Hajü Schulze: „Kerns Wachstumskritik ist eine Erscheinungsform des Wachstumsfetischismus“ –
diese Behauptung wird von Hajü nicht bewiesen. Wieso soll die Kritik am Wachstum(sfetisch) eine Erscheinungsform dieses Fetischs sein? - Bruno Kern: „Die Energiedichte, die mit den – gerade wegbrechenden – fossilen Energiequellen gegeben war, kann nicht annähernd erreicht werden.“ – meint Bruno und bezieht sich dabei auf ältere Aussagen z.B. in „Ökosozialismus oder Barbarei.“. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass Nutzenergie aus erneuerbaren Quellen einen viel zu geringen „Energy Return on Energy Investment“ (EROI) besitzt. Das würde bedeuten, dass für Herstellung, Nutzung und Entsorgung z.B. von PV-Anlagen mehr Energie aufgewendet werden muss, als die Anlagen während ihrer Lebensdauer liefern. Diese Aussage ist inzwischen überholt (siehe z.B. https://www.bnl.gov/pv/files/pdf/241_Raugei_EROI_EP_revised_II_2012-03_VMF.pdf (klick).
Einen weiteren Aspekt hat Stefan Wietzke in die Diskussion eingebracht: den “Labor Return of Energy Invested“ (LROEI). Dieser bestimmt das Verhältnis zwischen dem Arbeitsaufwand für die Bereitstellung der Fremdenergie am Ort ihrer Verwendung in der geeigneten Form zum verdrängten Arbeitsaufwand: http://www.peak-oil.com/tag/eroei/ (klick). - Hajü: „Stets fand die Menschheit aus ihren Krisen einen Ausweg.“ Das begründet NICHTS – außer Fortschrittsgläubigkeit.
- Hajü: „Sarkar/Kerns Überspitzung zeigt sich auch darin, dass sie die Verknappung und Verteuerung von Kohle, Erdöl, Erdgas und Rohstoffen als Primärursache der heutigen Finanz-, Schuldenund Wirtschaftskrise darstellen, wobei ihnen nicht in den Sinn kommt zu hinterfragen, warum die Ressourceneffizienz im Fordismus hinter der Einkommensentwicklung zurückblieb, wie sich dies im Postfordismus fortsetzt ….“ – ergeben sich aus diesen Fragen andere Antworten? Welche?
- Bruno: „Während Marx und Engels die historische Rolle des Kapitals in der möglichst hohen Entfaltung der Produktivkräfte sahen, auf deren Grundlage erst der Aufbau einer sozialistischen (bzw. kommunistischen) Gesellschaft möglich ist, sagt die „Initiative Ökosozialismus“: Umgekehrt wird ein Schuh draus: Eine sozialistische (solidarische, egalitäre) Gesellschaft ist unabhängig von einem bestimmten Grad der Produktivkraftentwicklung, ja, letztere kann dafür sogar hinderlich sein.“ – Das Problem ist: Wo ist oben/was ist hoch?
Saral Sarkar geht ja sogar so weit, Entwicklung (zumindest den Begriff) abzulehnen (siehe http://www.ak-oekopolitik.blogspot.de/2015/08/zur-bedeutung-und-brauchbarkeit-des.html (klick)
Wenn dieser Gedanke konsequent zu Ende gedacht wird, heißt das nichts anderes, als „Zurück zur Natur“ mit einer Verklärung primitiver Lebensverhältnisse. Da sich die Menschen in der Masse nicht freiwillig darauf einlassen werden, bleibt die Frage: Mit welchen Mitteln und Methoden soll/kann das erreicht werden?
DEN Gedanken möchte ich nicht weiter verfolgen. - Hajü: „Kern hält den „notwendigen industriellen Abrüstungsprozess“ nur jenseits einer sozialistischen Marktwirtschaft für realisierbar.“ – Das stimmt nicht! Die Aussagen in der kritisierten These 8 belegen das Gegenteil: „greifen marktwirtschaftliche Mechanismen nicht mehr“; „Unter Knappheitsbedingungen kann der Markt auch kein Minimum an sozialer Gerechtigkeit mehr garantieren.“; „Anstelle der Marktmechanismen brauchen wir bewusste Planung, Mengenregulierungen, Quotenvergaben, Preiskontrollen etc.“
Richtig wäre:
„nur jenseits der kapitalistischen Marktwirtschaft“ - Hajü: „Überhaupt bleibt die Rolle der (kapitalistischen) Konzerne in einer ökosozialistischen Gesellschaft bei Sarkar/Kern ungeklärt. Begriffe wie „Eigentumsverhältnisse“ und „Klassenkampf“ werden nicht einmal reflektiert. usw.“ – DAS Problem haben bisher alle Sozialismusvorstellungen: „Wie kommen wir vom hier und jetzt zur erstebenswerten Zukunft?“ habe ich bereits bei der Diskussion der Gründungsdokumentes der ÖPF 1994 gefragt. Dabei ist noch nichts über das „Erstrebenswerte“ (die „Konturen der neuen Formation“) gesagt.
- Hajü: „…die Entwicklung einer modernen sozialistischen Evolutionstheorie für unser 21. Jahrhundert kein Hirngespinst bleiben muss. Erste Voraussetzung hierzu wäre ein Menschenbild, das die Individuen nicht nur in ihrer Opferrolle gegenüber den äußeren Mächten – Natur und Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurden -sieht, sondern zugleich auch als Subjekte, als Produzenten jener gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie unterdrücken.“ – sehr richtig!
Hansjürgen Schulze: Entgegnungen
- „K/erns Wachstumskritik ist eine Erscheinungsform des Wachstumsfetischismus“/ – diese Behauptung wird von Hajü nicht bewiesen. Wieso soll die Kritik am Wachstum(sfetisch) eine Erscheinungsform dieses Fetischs sein?“ –
Ich habe mir bei der Ausformulierung meines Papiers Mühe gegeben, diese zentrale Aussage zu begründen:
a): „Ohne Begreifen dieses Zusammenhangs gerät das Wirtschaftswachstum zum Fetisch, der umso massiver wirkt, je stärker die Lohnabhängigen von einer Rückkehr des „Wirtschaftswunders“ träumen.“ (siehe Seite 3, 2.Absatz, letzter Satz)
b): Bisher habe ich „Wirtschaftswachstum“ lediglich als WORT gefunden, das in nicht einheitlichen Bedeutungen verwendet wird. Ein BEGRIFF ist das noch nicht.
– Um mir einen (provisorischen) Zugang zu einem möglichen Wachstums-Begriff zu erschließen, scheint mir ein Bezug auf Marxens Begriff des Warenfetischismus sinnvoll. Dazu – vielleicht didaktisch nicht ganz glücklich – in der Fußnote 8:
Auf Feuerbachs Entfremdungsbegriff stützt sich die gesamte Marxsche Theorie: Die Entfremdung durch Natur und Gesellschaft könne „prinzipiell durch die gesellschaftliche Praxis der bewusst und solidarisch handelnden Individuen aufgehoben werden – eben dies ist der revolutionstheoretische Grundgedanke der Marxschen Theorie“ (Schmied Kowarzik, S. 27). „Erst die Aufhebung und Abschaffung der Industrie in ihrer gegenwärtigen Gestalt, erst die revolutionäre Aneignung der geistigen und materiellen Kräfte der Menschen durch die ‚vereinigten Individuen‘ kann dazu führen, dass Wissenschaft und Technik in neuer Form zu gesellschaftlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Errichtung einer solidarischen Gesellschaft in Allianz mit der Natur werden können“ (daselbst, S. 29).
B. Kern erscheinen die Produktivkräfte als etwas dem Menschen Äußeres, wie eine Beziehung zu Sachen. Marx beschrieb den Warenfetischismus als eine Verwandlung der Produkte der menschlichen Hand in selbstständige, ihre Schöpfer beherrschende Wesen, wobei das Geld zur „entäußerten Gestalt aller Dinge“ mutiere (Marx (1867), S.146): „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen“ (daselbst, S. 86).
Von da aus betrachtet, handelt es sich bei Bruno um die Rückseite derselben Medaille. - „Hajü:/’Stets fand die Menschheit aus ihren Krisen einen Ausweg.’/ Das begründet NICHTS – außer Fortschrittsgläubigkeit.“ –
Zunächst einmal sehe auch ich den Begriff des Fortschritts immer skeptischer. Gemeint ist mein Satz aus der Evolutionstheorie: Das Tier-Mensch-Übergangsfeld begann vor etwa zwanzig Millionen Jahren. Nach heutigem Stand der Erkenntnis gab es zwölf Arten der Spezies Homo – zuletzt der Homo neanderthalensis und der Homo sapiens sapiens. Beide Arten haben viele Dutzende Jahrtausende lang nebeneinander gelebt, es wurden vereinzelt auch gemeinsame Nachkommen gezeugt. In mancher Beziehung war der Homo neanderthalensis dem Homo sapiens sapiens sogar überlegen. Warum verschwand er – letzterer jedoch nicht? Eine spannende Frage, die sich zurzeit aus DNA-Analysen anscheinend klären lässt. – Die Gattung Mensch stand evolutionstheoretisch stets im Spannungsverhältnis zur Natur, es gab wiederholt Krisen, und diese hat sie, die Gattung, bisher stets überstanden und einen Ausweg gefunden. Zu meinem Verständnis von Fortschritt bzw. Entwicklung siehe unten. - Hajü: „/Kern hält den ’notwendigen industriellen Abrüstungsprozess‘ nur jenseits einer _sozialistischen_ Marktwirtschaft für realisierbar.‘ /– Das stimmt nicht! Die Aussagen in der kritisierten These 8 belegen das Gegenteil: ‚greifen marktwirtschaftliche Mechanismen nicht mehr.‘; ‚Unter Knappheitsbedingungen kann der Markt auch kein Minimum an sozialer Gerechtigkeit mehr garantieren.‘; ‚Anstelle der Marktmechanismen brauchen wir bewusste Planung, Mengenregulierungen, Quotenvergaben, Preiskontrollen etc.‘ Richtig wäre: ’nur jenseits der kapitalistischen Marktwirtschaft’“.
Ich bin ein entschiedener Anhänger der logisch-historischen Methode. Bisher hat es – hierin stütze ich mich auf Peter Ruben – ein funktionierendes sozialistisches System noch nicht gegeben (ich beschränke mich hier auf Europa).
Wie ich im dritten Teil meines Papiers darstellte, existierte nur für eine kurze Zeit (zwischen 1921 und 1928) in Sowjetrussland bzw. SU eine Frühform des Sozialismus (die NÖP). Was davor war und danach existierte, war Kriegskommunismus. Auch das NÖS der DDR war ein halbherziger Versuch, innerhalb des rohkommunistischen Systems einzelne marktwirtschaftliche Elemente einzuführen. Alleine schon die Beibehaltung des zentralistischen Außenhandelsmonopols, die Beibehaltung von Investitionsentscheidungen durch politische Instanzen degradierten die sozialistische Marktwirtschaft zur Farce. – Von meinem Verständnis des Geschichtsprozesses aus ist Sozialismus untrennbar mit Marktwirtschaft verbunden – ein nichtmarktwirtschaftlicher Sozialismus ist, ebenfalls mit Ruben gesprochen, eine Chimäre. Das hätte ich wahrscheinlich auch so darstellen sollen, doch das würde m.E. das eigentlichen Thema sprengen. - Hajü: „/Überhaupt bleibt die Rolle der (kapitalistischen) Konzerne in einer ökosozialistischen Gesellschaft bei Sarkar/Kern ungeklärt. Begriffe wie „Eigentumsverhältnisse“ und „Klassenkampf“ werden nicht einmal reflektiert. usw.“/ – DAS Problem haben bisher alle Sozialismusvorstellungen: „Wie kommen wir vom hier und jetzt zur erstrebenswerten Zukunft?“ habe ich bereits bei der Diskussion der Gründungsdokumentes der ÖPF 1994 gefragt. Dabei ist noch nichts über das „Erstrebenswerte“ (die „Konturen der neuen Formation“) gesagt.
Ich denke, inzwischen liegen Erfahrungsberichte mit marktwirtschaftlichen Experimenten besonders aus der DDR vor – siehe den Teil 3 meines Papiers. Aus Rubens Beitrag vom Januar 1990, als die DDR noch existierte, wurde deutlich, wie zentral das ausschließliche Gemeineigentum an Grund und Boden für ein sozialistisches Gemeinwesen ist. Daraus ergibt sich aus heutiger Sicht eindeutig die praktische Bewältigung der Eigentumsfrage – und damit die Notwendigkeit einer Revolution. Sarkar macht sich m.E. lächerlich, wenn er hofft, Abgeordnete der regierenden Parteien für seine Suffizienzpolitik zu gewinnen und – irgendwie auch auf vereinzelte Basisinitiativen gestützt – die Gleichheit in der Armut institutionell zu verankern.
Aus meiner Sicht – das habe ich noch nicht hinreichend dargestellt – gilt es auf der Grundlage des sozialistischen Gemeineigentums an Grund und Boden und des Gesellschaftsmonopols der Zentralbank (unter Ausschluss von Börsenspekulation etc.) volle unternehmerische Freiheiten zu fördern – profit ist the name of the game. Schumpeter hat die erforderliche Theorie für Innovationen durch unternehmerisches Handeln längst schon geliefert – und Ota Sik war von 1970 bis 1989 mit beteiligt an der Erarbeitung des SGMM (Sankt Gallener Management-Modell), mit dessen Unterstützung es m.E. möglich ist, perspektivisch jenen Gleichgewichtszustand zwischen Natur und Menschheit zu erreichen, den Daly als „steady state“ beschrieb. - Last but not least (in Richtung Götz Brandt gedacht): Ob Brunos These 6 richtig ist (die Notwendigkeit eines Schrumpfungsprozesses betreffend), lässt sich m.E. gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit sagen. Das hängt u.a. von den wissenschaftlich-technischen Entwicklungen ab, außerdem von soziokulturellen Faktoren und nicht zuletzt vom Klimawandel selbst.