TTIP: Chance oder Risiko?

Am 14.1.2016 lud Matthias Schmidt (klick) zu einer Veranstaltung „TTIP: Chance oder Risiko?“.

Interessant – ein Innen- und Sportpolitiker informiert über TTIP? Also ging ich hin.
Zur fachlichen Verstärkung hatte er sich seinen Parteifreund Thomas Jurk (klick), ehemaliger Wirtschaftsminister in Sachsen, mitgebracht, der praktisch die gesamte Veranstaltung bestritt.

Diese ging, wie sich herausstellte, auf Bestrebungen der IG B.A.U. zurück, die mit den Bundestagsabgeordneten in Treptow-Köpenick zu TTIP ins Gespräch kommen wollte. (Ob der Abgeordnete der LINKEN aus Treptow-Köpenick, Gregor Gysi, ein ähnliches Treffen organisiert hat, ist nicht bekannt.) Thomas Jurk war dann auch sichtlich bemüht, Sorgen und Bedenken zu TTIP zu zersteuen – allerdings ohne dabei allzu konkret zu werden. Als Begründung für TTIP führte er zum Beispiel an, dass Handel friedenssichernd ist; wörtlich: „Wer miteinander Handel treibt, schießt nicht aufeinander.“ Welche Bedeutung das gerade für den transatlantischen Handel hat, erklärte er aber nicht…
Ansonsten erschien er schon recht überzeugend – insbesondere wenn man bedenkt, dass er von TTIP zu dem Zeitpunkt nichts wissen konnte, sondern alles nur vom Hörensagen kannte – also glauben musste. Was die Abgeordneten des Bundestages über TTIP tatsächlich wissen können, hat dagegen kürzlich Klaus Ernst deutlich gemacht (klick) – nachdem ab 1.2.2016 die MdB die Möglichkeit haben, die TTIP-Unterlagen einzusehen.[1]

Zu meiner Frage, wie er den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem Pariser Abkommen (COP21) und der Erweiterung des transatlantischen Handels erklärt, erzählte Herr Jurk etwas von Transportentfernungen und -kosten. Dass ihm Inhalte bzw. Ziele von COP21 bekannt waren, ging daraus nicht hervor. 
Da es nicht möglich war, nachzufragen, schrieb ich an Herrn Jurk eine E-Mail:

An: Jurk Thomas
Cc: Schmidt Matthias
Betreff: Diskussion über Chancen und Risiken von TTIP

Sehr geehrter Herr Jurk,

offenbar habe ich meine Ausführungen zu dem Widerspruch zwischen dem Pariser Klimaschutzabkommen und TTIP so verkürzt, dass Sie mich mißverstanden haben. Mir ging es überhaupt nicht um die Transportkosten.
Das möchte ich hiermit stichpunktartig ausführen.
In Paris haben sich 195 Länder völkerrechtlich verpflichtet, die globale Klimaerwärmung bezogen auf das vorindustrielle Niveau auf 2°C zu begrenzen und möglichst 1,5 °C nicht zu überschreiten.
Die 2° sind nicht etwa ein Ziel, das eventuell verfehlt werden darf, denn auch bei dieser Erwärmung werden zwar die meisten absehbaren irreversiblen Klimaschäden mit hoher Wahrscheinlichkeit noch vermieden, aber die „kleinen Inselstaaten“ sowie tief liegende, dicht besiedelte Städte werden untergehen. Mit 60-70 Millionen Toten ist zu rechnen – mehr als doppelt so viel wie im Zweiten Weltkrieg. Die Weltmeere versauern, die Korallen sterben ab. Bei Temperaturerhöhung über 2° steigt die Wahrscheinlichkeit sogenannter Kipppunkte rapide an.
Das ist der Grund, weshalb schon eine Erwärmung von 2° inakzeptabel ist und viel größere Anstrengungen unternommen werden müssen, als bisher.
Die bisherigen Selbstverpflichtungen der COP21-Teilnehmerstaaten sind aber nur geeignet, die Erwärmung bei ca. 2,7° zu begrenzen.
Klimagasemissionen müssen wesentlich stärker reduziert werden, als bisher vorgesehen. Vor allem müssen fossile Energieträger in der Erde bleiben.
Der transatlantische Handel ist ohne den Einsatz fossiler Treibstoffe undenkbar – Segelschiffe sind nicht wirklich zeitgemäß. Jetzt soll TTIP dazu dienen, diesen Handel auszuweiten. Die Konsequenz: noch mehr klimaschädliche Emissionen.
Deshalb steht TTIP im Widerspruch zur Verpflichtung aller EU-Staaten, der gesamten EU und auch der USA, die sie in Paris eingegangen sind.

Somit ist TTIP völkerrechtswidrig.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Borchardt

Die Antwort verfasste sein Mitarbeiter und da meine Anfrage, ob ich sie veröffentlichen darf, ignoriert wurde, gebe ich hier nur ein kurzes Zitat:

„Ihre Frage, ob ein größeres Handelsvolumen negative Klimaeffekte haben könnte, wird seit längerem in verschiedenster Form diskutiert. …
verschiedene Studien, denen sich nicht entnehmen lässt, dass mehr Handel per se klimaschädlich ist, sondern die ein differenziertes Bild zeichnen. …“

Doch wer nun glaubt, jetzt eine differenzierte Darstellung präsentiert zu bekommen, wird schwer enttäuscht. Es folgt der Hinweis auf den WTO-UNEP-Report „Trade and Climate Change“ (klick). Dabei wird geflissentlich übersehen, dass am Anfang des Reports – noch über dem Impressum – ein Disclaimer (klick) steht, in dem es heißt:

„Die ausgedruckten Ansichten geben nicht notwendigerweise die Position oder die festgesetzte Politik des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen wieder…“ (eigene Übersetzung)

Abgesehen davon, dass diese Studie aus dem Jahr 2009 unter Berücksichtigung der neueren Erkenntnisse und Ergebnisse der globalen Erwärmung getrost als überholt angesehen werden kann, finden wir in ihrem Fazit:

„Wirtschaftswissenschaftler haben eine analytische Struktur entwickelt, die bei der Untersuchung hilft, welche Einflüsse die Öffnung des Handels auf Treibhausgasemissionen hat. Einerseits zeigt die Literatur, dass offenerer Handel die CO2-Emissionen infolge der erweiterten wirtschaftlichen Tätigkeit  erhöht (Skaleneffekt). Andererseits könnte die Öffnung des Handel die Adaption von Technologien erleichtern, wodurch die Emissionsintensität von Waren und ihrem Produktionsprozessen reduziert werden (technologischer Effekt). Das führt zu einer Änderung der Zusammensetzung der Produktion von energieintensiven zu weniger energieintensiven Sektoren. Wenn das so ist, hat [die Öffnung des Handels] einen relativen Vorteil (Zusammensetzungseffekt).“

Das führt T. Jurk (bzw. sein Mitarbeiter) auch an und schlußfolgert daraus:

„Der Bericht betont deshalb auch zu Recht den positiven Beitrag zum Klimaschutz, den eine Abschaffung von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen für Umweltgüter bringen könnte.“ (Hervorhebungen W.B.)

Diese Interpretation ist etwas gewagt, denn in der Studie heißt es weiter:

„Obwohl bis heute die meisten Studien gefunden haben, dass der Skalaeffekt dazu neigt, den technologischen und den Zusammensetzungseffekt in Bezug auf CO2-Emissionen zu überwiegen, bleibt es schwierig, den Umfang von jedem einzelnen zu bestimmen und deshalb kann die Abschätzung des gesamten der Einflusses des Handels auf die Treibhausgasemissionen eine Herausforderung sein. Mehr Untersuchungen der Auswertungen (ex post studies) in diesem Bereich würden helfen, das analytische System weiter zu entwickeln. (Hervorhebungen W.B.)

Wie bemerkt ist internationaler Handel mit Emissionen von Treibhausgasen durch den Transport von Waren verbunden. Jedoch erfogt der grösste Teil des Transports durch den Seetransport, der für einen relativ kleinen Anteil der Treibhausgasemissionen des Transportsektors verantwortlich ist, es ist die energieeffizienteste Form des Transports in Bezug auf Treibhausgasemissionen.

Es gibt viele Ansichten von Akademikern, Politikern und verschiedenen Betroffenen darüber, wie Handel durch die Maßnahmen beeinflusst wird, die notwendig sind, um Klimawandel zu begrenzen, und darüber, inwieweit diese Maßnahmen mit WTO-Regeln im Einklang stehen. Mehrere GATT und WTO-Regeln befassen sich speziell mit Wirtschafts- und ordnungsrechtlichen Instrumenten in verschiedenen Ländern. Doch die Relevanz der WTO-Regeln für die Begrenzung des Klimawandels und die Auswirkungen auf den Handel und die Umwelteffektivität der Maßnahmen werden sehr davon abhängen, wie diese Regeln entworfen werden sowie von den spezifischen Bedingungen, um sie durchzuführen.(Hervorhebung W.B.)

Fazit

Die als Beleg für die Chancen für den Klimaschutz herangezogene Studie von WTO und UNEP ist wesentlich zurückhaltener gewesen, als der TTIP-Befürworter T. Jurk. Die Studie schließt zwar eine summarische CO2-Emissionsminderung durch Öffnung des Handels  nicht aus, betont aber vor allem die Rolle der Politik (Entwurf der Handelsregeln und ihre Durchführung). Davon, dass sie zu Recht den positiven Beitrag zum Klimaschutz betont, kann nicht die Rede sein – selbst wenn Herr Jurk den Konjunktiv bemüht.

Das, was sich ursprünglich als eine sachliche Information über Chancen  und Risiken von TTIP ausgab, erweist sich bei näherer Betrachtung als Schönrednerei von TTIP: Chancen wurden mit Allgemeinplätzen illustriert; von Risken war und ist bei den genannten SPD-Abgeordneten keine Rede.

Zumindest mit diesen SPD-Abgeordneten ist kein Blumetopf für den Schutz des Klimas und unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu gewinnen.

Wolfgang Borchardt
7.2.2016

 

 


Fussnote(n)


[1↑] Das war zwei Wochen nach dem Auftritt von Herrn Jurk.
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