Solidarität, Kooperation und Frieden durch Wasser

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Abfall-, Wasser- und Chemiekalien-Wirtschaft Friedenssicherung
Silemanî Universität (Suleymaniyah) Karte

Wasser ist Leben

– das hörten wir sehr oft im südkurdischen (nordirakischen) Silemanî (Suleymaniyah), wo nach langen Vorbereitungen das erste Wasserforum Mesopotamiens (WFM)1 abgehalten wurde. Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen aus den vier Teilen Kurdistans als auch Irak, Syrien, Iran und der Türkei, die seit 2012 zum Wasser und Flüssen aus einer gesellschaftskritischen Perspektive zusammenarbeiten, konnten bis zu 200 Menschen an die Silemanî Universität mobilisieren. Dahinter steht vor allem die „Save the Tigris (and Iraqi Marshes Campaign) – STC“, aber auch die Ökologiebewegung Mesopotamiens (MEM)2.

Sprachvielfalt

In den frühen Morgenstunden des 6. April 2018 fanden sich die AktivistInnen und eine nicht unbedeutende Zahl von AkademikerInnen und Menschen aus anderen Zusammenhängen aus ganz Mesopotamien und darüber hinaus zu einem gemeinsamen dreitägigen Forum zusammen. Zunächst stellten sich die Regionen kurz vor: Südkurdistan, Irak, Iran, Syrien und Türkei. Sie taten dies in ihren Sprachen. Die Hauptsprachen dieser fünf Regionen plus Englisch waren auch die Konferenzsprachen, zwischen denen eine Gruppe von Menschen simultan übersetzten. Das war wahrscheinlich für zivilgesellschaftliche Organisationen ein einmaliges Ereignis, was mit großen Herausforderungen verbunden war. Nichtsdestotrotz gelang es weitgehend, dass das gesprochene Wort alle anderen Anwesenden verstanden. Dass Englisch die wichtigste Verbindungssprache zwischen den Regionen Mesopotamiens war, liegt an der kolonialen Vergangenheit und des schwachen Austausches zwischen den Gesellschaften der bestehenden Nationalstaaten.

Im Eingangsbereich stieß eine Ausstellung zum Tigris hervor. Auf knapp 5 Meter Länge hatten AktivistInnen der MEM aus Nord-Kurdistan Bilder von wichtigen Orten der Zerstörung, Verschmutzung, aber auch von menschlicher Nutzung historischer Stätten entlang des Tigris aufgehängt. Daneben befanden sich dutzende Bilder von im Tigristal lebenden Tieren und Pflanzen. Diese Ausstellung, die auf einen Anfang 2019 durchgeführte Dokumentation zurückgeht, belebte das WFM und ließ Menschen schneller und tiefgehender ins Gespräch kommen.

lebendige Diskussionskultur

Auf die Vorträge des ersten Tages folgten viele Diskussionen und Fragen. Kontroverse Fragen wurden gestellt, meistens aus einer ökologisch-sozialen Perspektive, aber auch mit modernistisch-kapitalistischen Einfluss des hegemonialen Staatsdenkens. Diese lebendige Diskussionskultur begleitete auch die Workshops des 2. Tages. Die vorgesehene Zeit für die Workshops reichte in keinem Fall wirklich aus, die Diskussionen in die erhoffte Tiefe führen zu können. Das lag vor allem daran, dass mehr als zunächst angenommen Workshops bzw. Redebeiträge eingereicht wurden. Trotz allem haben sich alle Feedback gebende TeilnehmerInnen im Anschluss an das WFM über das Niveau der Diskussionen in den Workshops sehr zufrieden geäußert.

Sehr wichtig war es beim WFM, dass AktivistInnen aus ganz Mesopotamien zum ersten Mal in dieser Intensität gemeinsam diskutieren und zu Ergebnissen kommen wollten. Nur sehr wenige der TeilnehmerInnen hatten sich zuvor mit Menschen aus den anderen Staaten im Angesicht zu gesellschaftlichen Themen inhaltlich auseinandergesetzt. Diese verschiedenen „Welten“ trafen am stärksten aufeinander, als der Entwurf der Abschlusserklärung vorgetragen und beschlossen werden sollte. Fast drei mal so lang dauerte es, als im Programm angesetzt. Doch nach anfangs teilweise gegensätzlichen Positionen schafften sie es alle, zu einem Konsens zu finden. Viel diskutiert wurde zum Beispiel um die Begriffe Ober-Mesopotamien vs. Mesopotamien, Wasser als Ware oder Common, Wasser als eigenständiges Lebewesen; oder internationales vs. universelles Recht.

Eine ganz besondere Diskussion fand statt, als über die Geschlechterfrage vorgetragen wurde. FrauenaktivistInnen betonten die Rolle der Frau im täglichen Kontakt zum Wasser und den sich daraus ergebenden Aspekt, dass bei einer neuen demokratisch-ökologischen Wasserpolitik der Geschlechteraspekt elementar mitgedacht werden sollte.

Gemeingut Wasser

Keine kontroversen Diskussionen gab es, als in der Abschlusserklärung positiv Bezug zu Entscheidungen zu Wasser und anderen Gemeingütern in Rojava/Nordost-Syrien genommen wurde. Dies lag auch daran, dass drei Vertreter der Demokratischen Selbstverwaltung Nordost-Syriens anwesend waren und mitdiskutierten. Sie haben in Nordost-Syrien tatsächlich trotz aller äußeren Widrigkeiten (Embargo und Krieg) und interner struktureller Herausforderungen gezeigt, dass demokratische Wege zu Beschlüssen zu Wasser und Gemeingütern in der Gesellschaft möglich sind. Mit der Demokratischen Autonomie, die sie praktizieren, war dies überhaupt möglich.

Schade und zu kritisieren war es jedoch, dass zehn junge AktivistInnen aus Rojava/Nordost-Syrien wegen der zurückweisenden Haltung der Regierung Südkurdistans an der Grenze nicht am WFM teilnehmen konnten. Ihre Präsenz fehlte in den Diskussionen, doch dafür kamen mehr als sechs mutige AktivistInnen aus dem Iran, die eine ernsthafte Bereicherung darstellten.

Talsperren und Wasserkraftwerke

In den dreitägigen Diskussionen wurde weiterhin viel darüber diskutiert, ob Talsperren/Wasserkraftwerke grundsätzlich abgelehnt werden sollten. Eine nicht leichte Frage. Viel wurde auch der Einsatz von Talsperren als politische Waffe kritisiert. Da ist die Türkei vor allem im Zentrum der Kritik, aber auch der Iran wegen seinen vielen Talsperren und Bewässerungsprojekten wurde genannt. Die Anwesenden aus Nordost-Syrien und dem Süd-Irak haben hierzu ausführlich berichtet. Wasser sollte ein Mittel der Solidarität, Kooperation und des Friedens gesehen werden, so die Meinung aller sich zu Worte meldenden Personen. Angesichts der vielen militärischen Konflikte könnte gerade Wasser aufgrund seiner elementaren Eigenschaft – es kann nicht produziert werden – den Weg zu einem umfangreichen Frieden erleichtern.

Die Regierungen des Irak und Südkurdistans wurden auch wegen ihrer Plänen zum Bau von dutzenden großen Talsperren kritisiert. In der Tat handeln sie mit der gleichen Mentalität und würden, wenn sie am Oberlauf säßen, mit der gleichen Logik wie die Türkei handeln.

In diversen Beiträgen wurde auch geschildert, wie die vielen Talsperren und Wasserkraftwerke in den Regionen, wo sie gebaut werden, zweifellos zu katastrophalen Folgen führen. Hunderttausende Menschen sind bereits vertrieben worden, es wurden hunderte historische Orte überflutet, ein universelles kulturelles Erbe zerstört und ökologisch einzigartige Flusslandschaften zerstört. Immer fiel der Name von Hasankeyf, welches vom Mega-Staudamm Ilisu bedroht ist. Auch die Folgen im Unterlauf wurden betont, da fiel vor allem der Name der Mesopotamischen Sümpfe im Südirak, die von Talsperren wie Ilisu bedroht sind. Ilisu ist die Verknüpfung der zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Nord-Kurdistan und dem Irak, welches zum Aufbau der STC vor wenigen Jahren führte.

internationale Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen

Dem WFM geht also eine gemeinsame mehrjährige Kampagne und Austausch voraus. Das WFM ist das Werk von mehreren Regionen Mesopotamiens und gerade deshalb interessant gewesen.

Ein weiteres erfreuliches Ergebnis des WFM war die Teilnahme von AktivistInnen aus dem Libanon, Jordanien und Sudan. Sie engagieren sich seit Jahren gegen destruktive Talsperren im Sudan, im Bisratal des Libanon und Mega-Bewässerungen entlang des Jordan. Die zwei Gruppen Save the Bisra Valley aus dem Loibanon und EcoPeace aus Jordanien können ab jetzt als enger und strategischer Partner des WFM betrachtet werden. Zukünftig wird es mit Sicherheit mehr Kooperation geben. Sie sind wichtig, um die Wasserfrage im gesamten Nahen Osten zu diskutieren.

Beim WFM ging es für die Organisatoren konkret darum, dass sich die demokratische Gesellschaft über Staatsgrenzen, Nationalismus, religiösen Extremismus und Ausgrenzung hinweg setzt, zusammenkommt und lokal ansetzende demokratisch-ökologische Alternativen zur Deckung des Bedarfs an Wasser und Energie erarbeitet und dafür Aktivitäten durchführt. Dies sollte sich auf der Ebene des Einzugsgebiets Mesopotamien und im kleineren Maßstab auf Untereinzugsgebiete abspielen. So kann nur von der Basis aus eine dauerhafte Veränderung des Bewusstseins in der Gesellschaft herbeigeführt wurden. Erst wenn sich die Gesellschaft grundsätzlich ändert, kann großer Druck auf die Verwaltungen und Regierungen ausgeübt werden. Hierfür wurde tatsächlich mit dem WFM ein wichtiger Grundstein gelegt; das ist von allen TeilnehmerInnen zu hören. Nicht zufällig wurde der Beschluss gefasst, das nächste Wasserforum Mesopotamien in Amed (Diyarbakir) in naher Zukunft durchzuführen.

Unsere Botschaft: Wenn es um Wasser in Mesopotamien geht, gibt es zukünftig wieder mehr Hoffnung!

Ercan Ayboga

Anhänge: Deklaration

des ersten Wasserforum Mesopotamiens

Deklarasyon_Mezopotamya-Su-Forumu_2019-04-08_TR
Declaration_Mesopotamian-Water-Forum_2019-04-08_ES
Declaration_Mesopotamian-Water-Forum_2019-04-08_AR
Declaration_Mesopotamian-Water-Forum_2019-04-08_EN


  1. https://www.savethetigris.org/international-mesopotamian-water-forum/ 

  2. siehe auch https://www.oekologische-plattform.de/2012/05/marsh-arabs-protestieren-in-hasankeyf-gegen-ilisu-projekt/