Kohle kapern!

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Aktivist*innen blockieren Steinkohlekraftwerk in Flensburg

Am 5.10.19 blockierte eine Gruppe engagierter Menschen das Gelände der Stadtwerke Flensburg, auf dem Fernwärme und Strom hauptsächlich durch das Verbrennen von Steinkohle und Erdgas erzeugt werden. Die Aktion steht unter dem Namen „Kohle kapern!„. Mit Bannern und Flaggen besetzten sie die beiden Kräne des Anlegers und das offene Kohlelager, um gegen die ökologischen und sozialen Folgen der fossilen Brennstoffe zu protestieren. Zeitgleich finden an verschiedensten Orten Aktionen unter dem Motto deCOALonize!1 statt, von denen sie sich inspirieren ließen – unter anderem am Hamburger Hafen.

Nach Angaben des Unternehmens kommt die eingesetzte Steinkohle ausschließlich aus Russland. Es ist eines der erklärten Ziele der Aktivist*innen, auf die Situation in den dortigen Abbaugebieten aufmerksam zu machen und die an der Lieferkette beteiligten Firmen zur Verantwortung zu ziehen. Die nach Zentraleuropa importierte Steinkohle stammt zum größten Teil aus der Region Kusbass im Süden Sibiriens. Dort wird die Steinkohle aus dem Berg gesprengt, wodurch die Staubbelastung weit über derjenigen anderer Abbaugebiete liegt und in enormen Maße Luft, Boden und Wasser verschmutzt. So ist laut dem Bericht der Rospotrebnadzor von 2013, der offiziellen Verbraucherschutzbehörde Russlands, 93,8% des Wassers in der Region verschmutzt. Darunter leidet vor allem die indigene Gruppe der Schoren, unter denen sich in den vergangenen Jahren vermehrt Widerstand regt. Nachdem die Bewegung 2018 sogar die Genehmigung einer neuen Mine nachträglich verhinderte, kämpft insbesondere die Gruppe Ecodefence aktuell mit heftigen Repressionen des russischen Staates.

An dieser ökologischen und sozialen Zerstörung machen sich nach Meinung der Aktivist*innen die Flensburger Stadtwerke als Steinkohlenutzer mitschuldig. Dort werden ca. 190.000t Steinkohle im Jahr verbrannt, um Fernwärme für den regionalen und Strom für den bundesweiten Verbrauch zu produzieren. Daneben setzt das Unternehmen vor allem auf den Wechsel zu Erdgas. So sollen der bereits gebaute Kessel 12 und der im Bau befindliche Kessel 13 die Kohlekessel ablösen und die Produktion auf Erdgas umstellen.

„So viel Kurzsichtigkeit ist für mich absolut unverständlich.“,

sagt eine der Aktivist*innen,

„Anstatt die Debatten um den Kohleausstieg endlich als letzten Denkzettel für die fossilen Brennstoffe anzuerkennen, werden hier wieder nur wachstumsorientierte Maßnahmen mit der Aussicht auf ein ‚grundsätzlich weiter so‘ als grüne Alternativen verkauft. Von wirklicher Einsicht keine Spur. Gas ist keine Alternative! Es führt zwar bei der Verbrennung zu weniger CO2-Emissionen, aber die gesamte Struktur aus Förderung, Transport und Verarbeitung ist äußerst energieintensiv. Außerdem ist der vermeintliche ‚Strukturwandel‘ von Kohle auf Gas in einigen Jahrzehnten auch wieder für die Katz – Gas wird ebenso ausgehen. Dann ist es auch mit der vielbeschworenen ‚Versorgungssicherheit‘ zu Ende.“

Was die Aktivist*innen an der lokalen Situation in Flensburg anprangern, geht allerdings über diese hinaus. Das Bündnis deCOALonize!versucht in ihrer Broschüre „Still Burning“ zu belegen, dass die Wertschöpfungsketten der Steinkohle immer noch von kolonialer Struktur seien. Während die schmutzige Primärproduktion aus den sogenannten Industrienationen ausgelagert wurde, blieb der Profit hingegen dort, so das Bündnis. Dies sei ein klares Beispiel für die unmenschlichen Resultate des Wachstumszwangs unseres Wirtschaftssystems: Zur Suche nach neuen Absatzmärkten gezwungen, erschaffe der Kapitalismus Kolonien, Ausbeutung, Umweltzerstörung. Und ebenjene Umweltzerstörung ist ein häufiger Fluchtgrund, wie zum Beispiel eine Oxfam-Studie von 2017 zeigte. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass die Aktivist*innen von Kohle kapern! sich ausdrücklich mit der ebenfalls heute in Flensburg stattfindenden Demonstration der Seebrücke-Bewegung solidarisieren, die sichere Fluchtwege und bedingungslose humanitäre Hilfe fordert.

Das Wichtigste nochmal in Kürze:

  • Die Stadtwerke Flensburg beziehen ihre Steinkohle ausschließlich aus Russland, wo der Abbau zu enormen Schäden an Mensch und Natur führt.
  • Der eingeleitete Umstieg auf Erdgas ist lediglich ein ökologisches Feigenblatt, das weiter den kurz- bis mittelfristigen Profit garantiert, und keine grüne Alternative.
  • Der Steinkohleabbau führt auch in anderen Abbauregionen zu Schäden an Mensch und Natur, während die Profite in die globalen Machtzentren fließen. Dieses Gefälle ist noch immer kolonialistisch!
  • Die Aktion stellt sich solidarisch hinter die Proteste in den Abbauregionen, die deCOALonize!-Aktionen und die Seebrücke-Demonstration.

kohle@nirgendwo.info
@kohle_kapern

 


  1. deCOALonize Europe ist ein Bündnis von Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung, der Lateinamerika- und Russlandsolidarität und Initiativen gegen Kohle aus Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien. 

1 Gedanke zu „Kohle kapern!“

  1. Gestern Abend haben wir uns nach acht Stunden Blockade des Kohlelagers und der beiden Anleger-Kräne der Stadtwerke Flensburg dazu entschieden, die Aktion eigenständig zu beenden.

    Nachdem wir direkt nach Aktionsstart von einem wütenden Arbeiter mit seinem Radlader attackiert und fast vom Kohleberg gestoßen wurden, blieb die Situation tagsüber relativ entspannt. Recht früh kamen wir mit dem Geschäftsführer Maik Render ins Gespräch, wobei wir uns zunächst über die Aufgeschlossenheit seinerseits freuten. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass er mit dieser Offenheit eine recht simple Taktik verfolgte: Die Vereinnahmung und Entschärfung unseres Protestes. Während er zwar immer wieder beteuerte, unser Anliegen zu verstehen und uns den Raum zu gewähren, verriet er sein wahres Motiv durch einige Bemerkungen – Die shz wäre schon hier gewesen und sonst käme ohnehin keine Presse, wir könnten also nun unbehelligt gehen. Und das obwohl es eine dpa-Meldung gab, der NDR mit einem Kamerateam da war und selbst russische Medien berichteten. Es ging ihm also darum, uns möglichst schnell loszuwerden und so wenig Presseresonanz wie möglich zu erzeugen. Dafür erschien ihm die offensive „Umarmungstaktik“ am effektivsten.

    Und das Kalkül geht auf: Nun steht tatsächlich in vielen Presseberichten, wie verständnisvoll die Stadtwerke unseren Protest duldeten. Auch wenn die Stadtwerke als individuelle Akteure ebenso Systemzwängen des kapitalistischen Marktes ausgesetzt sind wie wir alle, kann niemand wirklich verständnisvoll sein, der von Kohle auf Erdgas umsteigt und sich dafür als Klimaretter feiern lassen möchte. Die Gesprächstaktik mit uns fügt sich in dieselbe Linie des „Greenwashing“ und hat mit einer ernsthaften, inhaltlichen Auseinandersetzung auf Augenhöhe nichts zu tun!

    Als wir uns dazu entschieden, die Aktion zu beenden, kam Herr Render nochmals auf uns zu. Verunsichert von immer größer werdender Polizeipräsenz verließen wir uns trotz großer Skepsis auf sein Versprechen, dass wir hier demonstrieren und uns nun dementsprechend auch unbehelligt entfernen dürften. Er bekräftigte das noch einmal und sicherte uns schriftlich zu, dass wir uns ohne Personalienfeststellungen vom Gelände bewegen dürften. Am Werkstor angekommen hielten uns die Beamt*innen jedoch auf und verlangten die Personalien von drei Personen zur Strafverfolgung, die sich aber nach Aussage von Einsatzleiter Fuge nicht identifizieren ließen. So war der Deal de facto also folgender: Ihr liefert willkürlich drei Menschen ans Messer und wir lassen den Rest laufen. Auf so einen unsinnigen Tauschhandel konnten wir uns natürlich nicht einlassen und so setzte sich die Gruppe geschlossen hin, um klar zu machen: Wir stehen solidarisch zusammen.

    Zunächst begann die Polizei die drei Menschen, die sie sich spontan rausgepickt hatten, gewaltsam aus der Gruppe herauszuziehen und die Personalienfeststellung anzufangen. Zwei der Menschen verweigerten sich der – aus Sicht aller Beteiligten – willkürlichen Maßnahme und behielten ihre Personalien für sich. Nun verwies Herr Render uns plötzlich doch des Geländes und kündigte weitere Strafverfolgung an, um die Räumung der übrigen Gruppe durchzusetzen, obwohl er uns vorher sogar noch zum Bleiben einlud. Die Polizei schien diese Gelegenheit dankend anzunehmen und begann sehr bald mit der Räumung, die allerdings nicht primär durchs Wegtragen durchgeführt wurde, sondern durch den Einsatz von drei Polizeihunden. Die Hunde wurden auf die sitzenden Menschen losgelassen und sprangen ihnen in den Rücken, wobei die Polizist*innen damit drohten, die Metallmaulkörbe abzunehmen, „damit es richtig wehtut“. Menschen, die sich von den Hunden wegdrehten wurden mit Schmerzgriffen und an den Haaren weggezogen und anschließend aufs Polizeirevier verfrachtet. Gegen Mitternacht waren alle Aktivist*innen wieder frei.

    Die Aktion sehen wir aber trotz der billigen Vereinnahmungsmasche der Stadtwerke und der unnötigen Gewalt als vollen Erfolg. Es gab eine große Presseresonanz, insbesondere auch international. Außerdem gab es im Rahmen der deCOALonize!-Kampagne Aktionen in Hamburg, Bremen, Dortmund, Salzgitter, Berlin und Lünen mit denen wir uns nochmal ausdrücklich solidarisch zeigen. Kohleausstieg ist Handarbeit! Das begreifen immer mehr Menschen. Dennoch bleibt die politisch-ökonomische Situation katastrophal und wir müssen weitermachen – Das Klimapaket der Bundesregierung ist ebenso heuchlerisch wie der Klimapakt der Stadt Flensburg und reiht sich ein in eine lange Reihe an bloßen Absichtsbekundungen und Pseudomaßnahmen, die tatsächliches Handeln suggerieren sollen, um die Debatte einzudämmen. Unter diesen Umständen bleibt entschlosseneres Handeln notwendig! Es reicht nicht mehr, an „die da oben“ zu appellieren und zu hoffen, dass irgendwer die nötigen Veränderungen schon einleiten wird – Das müssen wir selbst machen!

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