politische Absichtserklärung und weiter Gestaltungsspielraum

„Klimaklage“ ohne Erfolg

Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Klage dreier Familien von Bio-Landwirten sowie von Greenpeace gegen die Bundesregierung auf Einhaltung des Klimaziels 2020 abgewiesen.1

Im Dezember 2014 hat die Bundesregierung beschlossen, die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland bis 2020 gegenüber dem Jahre 1990 um 40 % zu reduzieren (Klimaziel 2020). Deutschland wird im Jahr 2020 jedoch voraussichtlich nur eine Reduzierung um 32 % erreichen. Auch die europarechtlich vorgesehene Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 14 % in Bereichen, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, gegenüber dem Stand von 2005 (vgl. „Lastenteilungsentscheidung“ vom 23. April 2009 – 406/2009/EU) wird Deutschland voraussichtlich nicht durch Maßnahmen im eigenen Land erreichen. Die in Schleswig-Holstein, Niedersachen und Brandenburg wohnenden Kläger begehren von der Bundesregierung Maßnahmen zur Einhaltung des Klimaziels 2020. Sie meinen, Kabinettsbeschlüsse seien juristisch verbindliche Rechtsakte, auf die sie sich berufen könnten. Eine entsprechende Verpflichtung der Bundesregierung ergebe sich auch aus der Lastenteilungsentscheidung der EU. Darüber hinaus machen die Kläger eine Verletzung ihrer Grundrechte und einen Verstoß gegen das so genannte Untermaßverbot geltend. Die Bundesregierung habe Maßnahmen unterlassen, die verfassungsrechtlich als Mindestmaß an Klimaschutz geboten seien.

Die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Es fehle den Klägern an der Klagebefugnis. Eine Grundlage, aus der sich eine Pflicht der Bundesregierung zum geforderten Handeln ergebe, sei nicht ersichtlich. Der Beschluss der Bundesregierung zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 sei eine politische Absichtserklärung, enthalte aber keine rechtsverbindliche Regelung mit Außenwirkung, auf die sich die Kläger berufen könnten. Zudem habe die Bundesregierung das Klimaziel 2020 durch den mit Kabinettsbeschluss vom 9. Oktober 2019 verabschiedeten Regierungsentwurfs zum Bundes-Klimaschutzgesetz in zulässiger Weise auf das Jahr 2023 hinausgeschoben. Auch aus der Lastenteilungsentscheidung der EU ergebe sich keine unbedingte Verpflichtung, die Reduzierungsziele ausschließlich durch Maßnahmen im eigenen Land einzuhalten. Vielmehr sei es bei Verfehlen des Reduktionsziels zulässig, überschüssige Emissionsberechtigungen von anderen EU-Mitgliedstaaten zu erwerben.

Die Kläger könnten sich zum Schutz ihres Eigentums an den landwirtschaftlichen Betrieben nicht auf das Grundrecht aus Art. 14 GG berufen. Dem Gesetzgeber wie der vollziehenden Gewalt komme bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten ein weiter, gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Die öffentliche Gewalt müsse Vorkehrungen zum Schutz der Grundrechte treffen, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien. Die Kläger hätten nicht ausreichend dargetan, dass die Maßnahmen der Bundesregierung zum Klimaschutz völlig ungeeignet und unzulänglich gewesen seien und deshalb ein Verstoß gegen das sog. Untermaßverbot vorliege. Wenn im Jahr 2020 eine Reduzierung um 32 % statt 40 % erreicht werde und das Klimaziel 2020 erst drei Jahre später erfüllt werden solle, so genüge dies nicht für die Annahme, die bisherigen Maßnahmen seien völlig unzureichend. Das 40 %-Ziel stelle nicht das verfassungsrechtlich absolut gebotene Minimum an Klimaschutz dar.

Greenpeace selbst habe kein Klagerecht nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Eine mögliche Verbandsklagebefugnis zur Kontrolle der Einhaltung des europarechtlichen Umweltschutzes führe nicht weiter, da die einschlägige Regelung der EU-Lastenverteilungsentscheidung keine unbedingte Reduktionspflicht enthalte.

Das Gericht hat die Berufung gegen das Urteil zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Urteil der 10. Kammer vom 31. Oktober 2019 (VG 10 K 412.18)


  1. Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31.10.2019 – https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2019/pressemitteilung.860292.php 

1 Gedanke zu „politische Absichtserklärung und weiter Gestaltungsspielraum“

  1. Anscheinend war sich das Berliner Verwaltungsgericht selbst nicht ganz sicher, sonst wäre die Berufung nicht zugelassen worden.
    In der Tat fragt sich, unter welchen Bedingungen „ausreichend sicher“ ist, dass die Maßnahmen der Bundesregierung zum Klimaschutz ungeeignet und unzulänglich sind. Und was ist der Unterschied zwischen „völlig“ und einfach unzureichend? Der „weite Gestaltungsspielraum“ sagt alles und nichts. Vielleicht reicht es nach Auffassung des Gerichts schon, Besorgnis zu zeigen und die Bevölkerung zur CO2-Einsparung aufzurufen?
    Das vom Gericht angeführte „absolut gebotene Minimum an Klimaschutz“ kann, solange keine Erfahrungswerte vorliegen – dann wäre es zu spät – nur aus dem GG Artikel 20a abgeleitet werden:

    Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

    Vorsorge ist also verfassungsrechtlich geboten. Das dürfte dem Gericht bekannt sein.
    Ebenso ist die Einhaltung der 2°-Grenze internationales Recht (COP21). Darüber hinaus hat sich in Paris die Bundesregierung auch verpflichtet, alles zu tun, damit die 1,5°-Grenze nicht überschritten wird. Die zwei Jahre zuvor abgegebene „eine politische Absichtserklärung“ hat damit ein ganz anderes, viel größeres Gewicht bekommen und den vom Gericht zugrunde gelegten weiten „Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum“ eingeengt.
    Der IPCC-„Sonderbericht über 1,5 °C globale Erwärmung“ (SR1.5 – siehe https://www.de-ipcc.de/256.php – sowie „IPCC, 2018: Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ in: https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2019/03/SR1.5-SPM_de_barrierefrei-2.pdf) hat die gravierenden Unterschiede zwischen 1,5° und 2°-Temperaturerhöhung gegenüber dem vorindustriellen Niveau deutlich gemacht. Dagegen zeigt eine .ausgestrahlt-Infografik, „wie der jährliche PV-Zubau durch gesetzliche Regelungen ausgebremst wurde“.
    Die Bundesregierung hat also nicht nur unzureichende und ungeeignete Maßnahmen ergriffen, die Erderhitzung zu begrenzen, sondern das Gegenteil unternommen! Dabei kann sie sich nicht etwa auf Unwissenheit berufen, denn Warnungen gab es zuhauf. Schon 2016 hat Prof. Quaschning das damalige Energiewendetempo mit dem erforderlichen verglichen (siehe https://www.oekologische-plattform.de/2016/08/energiewende-bis-mitte-des-naechsten-jahrhunderts/).
    Und fachliche Inkompetenz wollen wir der Physikerin und ehemaligen Umweltministerin an der Spitze der Regierung doch nicht unterstellen.

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