Waldbesetzung unterliegt dem Schutz der Versammlungsfreiheit

Pressemitteilung zum Beschluss des VG Magdeburg

Am 6. Juni hatte der Landkreis Stendal eine Allgemeinverfügung erlassen, in der er die Waldbesetzer*innen im Seehäuser Forst auffordert bis zum 18.06. alles abzubauen und den Wald zu verlassen sowie nach Ablauf von drei Tagen mit Räumung gedroht. Ein Einspruch dagegen sollte keine aufschiebende Wirkung haben.
Damit wollten sich die Protestierenden aber nicht einfach so zufrieden geben und haben dagegen widersprochen und einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt – mit Erfolg.
Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat gestern am 22. Juni die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt und der Landkreis trägt die Kosten des Verfahrens. (AZ: 3 B 150/21 MD)

Am gleichen Tag noch kündigte der Landkreis Stendal an, er wolle Beschwerde dagegen einlegen, wodurch der Fall vor dem OVG (Oberverwaltungsgericht) neu verhandelt werden wird. Das OVG hat durchblicken lassen, das es länger dauern wird, bis eine erneute Entscheidung getroffen wird.

Die Waldbesetzerin Monika Narchie äußerte sich dazu wie folgt:

„Das bedeutet wir haben noch längst nicht gewonnen. Aber dennoch ist dieser Beschluss ein sehr bedeutsamer Erfolg.“

So heißt es in dem Beschluss des VG Magdeburg unter anderem

„Art. 8 Abs. 1 GG schützt auch infrastrukturelle Ergänzungen der Versammlung in Form von Informationsständen, Sitzgelegenheiten, Imbissständen oder auch Zelten, sofern sie funktional-versammlungsspezifisch eingesetzt werden. […] Nach diesen Grundsätzen weist das u. a. aus Baumhäusern bestehende „Protestcamp“ im Waldgebiet bei Losse einen hinreichenden funktionalen und konzeptionellen Zusammenhang zum Versammlungszweck auf.“ (VG Magdeburg, B. v. 22.06.2021 – 3 B 150/21 -; juris)

Grundgesetz bricht Allgemeinverfügung

Zur Erklärung – vereinfacht gesagt – haben Gesetze untereinander eine Rangordnung, das Höhere bricht immer das Niedrigere. Wenn ein Fall in zwei Gesetzen geregelt wird, gilt das Höhere. Als oberstes in der Rechtsordnung (Normenhierachie, d. h. dem Verhältnis der Gesetzesbücher untereinander) steht das Grundgesetz (GG), indem auch die Versammlungsfreiheit in Artikel 8 geregelt ist. Das Versammlungsgesetz steht auf vierter Stufe über dem Polizeigesetz (PolG) und Straßenverkehrsordnung (StVO) auf fünfter Stufe.

Das Polizeigesetz steht in der Hierarchie unter dem Versammlungsgesetz (generell greifen Polizeigesetze nur, wenn nichts anderes greift). Das heißt, z.B. auf einer Versammlung kann die Polizei nicht nach Polizeirecht handeln (Versammlungen sind „Polizeifest“). Möchte die Polizei z.B. einen Platzverweis nach § 36 Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) erteilen, so kann sie dies erst tun, wenn sie den Betroffenen von der Versammlung ausschließt, oder die ganze Versammlung auflöst (Gründe, wann die Polizei das darf, finden sich im Versammlungsgesetz Land Sachsen-Anhalt (VersammlG LSA)).

ein Präzedenzfall?

„Es ist das erste Mal, das eine Allgemeinverfügung als Grundlage für eine Räumung einer Waldbesetzung als rechtswidrig erklärt wurde. Das ist nicht nur ein Riesenerfolg für uns, sondern kann hoffentlich als Präzedenzfall für weitere Proteste und kreative Protestformen genutzt werden“

kommentierte Waldbesetzer*in Chris.

Eine Form von kreativen Aktionen sind Baum- und Waldbesetzungen. Diese sind eine Möglichkeit die Auseinandersetzung mit einem Thema durch direkte Aktionen unmittelbar an die Konfliktorte selbst zu tragen, in diesem Fall auf die Trasse der planfestgestellten A14 durch den Wald bei Losse. Anders als etwa bei Demonstrationen und Mahnwachen in Städten und auf Straßen findet eine unmittelbare Auseinandersetzung mit den Auswirkungen vor Ort statt und ermöglicht somit einen ganz anderen Vermittlungscharakter für das Kommunikationsanliegen, eine sozial-ökologische Verkehrswende zu fordern und der Zerstörung von Wald entgegenzutreten. Die Wahl von Baumhäusern als Versammlungsmittel drückt einmal mehr den direkten Bezug zum Schutz des Waldes aus. Genau diesen Zusammenhang zwischen Versammlungszweck, Auswahl der Mittel und des Ortes bestätigt das Urteil des VG Magdeburg in seinem Beschluss vom Montag:

„Vielmehr sprechen gerade – wie bereits ausgeführt – die Form seiner Errichtung, insbesondere durch Baumhäuser und sein Ort direkt an der geplanten Trasse der Verlängerung der A 14 für einen Bezug des „Protestcamps“ zum Versammlungszweck.“ (ebd.)

Waldbesetzung – legitimes Mittel einer Versammlung

Ebenso erkennt das VG die Blockadefunktion einer Waldbesetzung als legitimes Mittel einer Versammlung an:

„Entgegen der Ansicht des Antragsgegners spricht der von ihm behauptete und auch mögliche Zweck, das Protestcamp diene der Blockade des Weiterbaus der A 14, gerade für einen Zusammenhang mit dem Versammlungszweck. Denn die Blockade des Autobahnbaus ist ein Mittel der kollektiven Meinungskundgabe gegen die Errichtung der Autobahn.“ (ebd.)

Dazu ergänzt Chris:

„Außerdem diente die Waldbesetzung nicht nur der Zusammenkunft von Gegner*innen des Baus der A14 sondern auch deren Befürworter*innen, so waren wir bereits häufig in intensiven Gesprächen mit Anwohner*innen der Region die sich eine Autobahn wünschen. Ein Treffpunkt zum Austausch gegensätzlicher Meinungen ist die Waldbesetzung schon immer gewesen.“

Auch das bekräftigt das VG in seinem Beschluss:

„Das „Protestcamp“ ist eine Zusammenkunft von Personen mit dem Ziel der kollektiven Meinungskundgabe gegen den Weiterbau der A 14 auf die Öffentlichkeit und deren Meinungsbildung einzuwirken. Dies soll einerseits durch Transparente, Plakate und Gespräche mit Gegnern und Befürwortern des Autobahnbaus geschehen.“ (ebd.)

In folgenden Auszügen macht das VG Magdeburg noch mal sehr direkt deutlich, dass der Landkreis Stendal der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt hat:

„Weil der Antragsgegner [also der Landkreis Stendal; Anm.: d. Autor*in] in seiner Allgemeinverfügung zu Unrecht davon ausgeht, das „Protestcamp“ im Waldgebiet bei Losse unterliege nicht der Versammlungsfreiheit, hat er der Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG nicht das gebotene Gewicht beigemessen.

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners unterfällt das „Protestcamp“, dessen weiteren Ausbau und Nutzung er untersagt und dessen Beseitigung er verlangt, dem Schutz der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG.“ (ebd.)

Monika Narchie ergänzt: „Bei der ganzen Angelegenheit ist auch noch rausgekommen, dass diese Allgemeinverfügung nicht das erste mal war, dass der Landkreis ungenau und nachlässig gearbeitet hat.“

„Das Gericht weist darauf hin, dass es bereits in der Vergangenheit versammlungsrechtliche Entscheidungen des Antragsgegners als nicht hinreichend begründet und den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügend angesehen hat (VG Magdeburg, B. v. 19.03.2021 – 3 B 76/21 -; juris). Demnach genügt nicht die Zitierung gerichtlicher Entscheidungen zur Begründung, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für eine behördliche Anordnung gegeben sind.“ (ebd.)

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