Grundlinien einer solidarischen linken Regionalpolitik durch Investitionslenkung

Für eine ökologische Wende braucht es auch eine Wende in der Raumplanung und eine Hinwendung zu einer Investitionspolitik, die die Arbeit zu den Menschen bringt und vorhandene Strukturen nutzt und schützt, statt Perspektiven vorrangig in den Zentren zu schaffen.

Auf der Basis des Beschlusses beim Landesparteitag NRW (Z 11 zum LPT-NRW 2021) hat Wolfgang Kämmerer das dortige Konzept, das ihr im Folgenden findet, überarbeitet und weiter entwickelt. Die ÖPF stellt das Konzept der „solidarischen linken Regionalpolitik durch Investitionslenkung“ zum Bundesparteitag mit einem Antrag zur Debatte.

Antrag der Ökologischen Plattform Bundesparteitag 2022 Erfurt

»Jede und jeder sorgt für sich, soweit sie oder er dazu imstande ist. Nur wenn das jemand nicht kann, dann helfen die anderen. Oder auch nicht. Man arbeitet bloß dann zusammen, wenn man etwas nur gemeinsam schafft. Oder selbst dann nicht. Wenn ich allein nicht weiterkomme, helfen die Familie oder Freunde. Wenn die etwas nicht lösen können, übernimmt die Gemeinde, wenn Gemeinden etwas allein nicht können, koordiniert das Land, wenn Länder etwas nicht schaffen, macht es der Staat. In Europa gibt es darüber hinaus noch die EU und global die UNO. Oder eben nicht. Man nennt das Subsidiaritätsprinzip.“ (Marc Elsberg)

Grundlinien einer solidarischen linken Regionalpolitik durch Investitionslenkung

Im Wesentlichen gibt es für die unzureichende Bilanz der herkömmlichen Regionalpolitik drei Ursachen:

  1. vor allem die Marktkonformität der Regionalpolitik und die verfehlte Konzeption einer wettbewerbsorientierten Kommunal- und Regionalpolitik.
  2. die staatliche Sparpolitik,
  3. den damit zusammenhängenden Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge.

Mit dieser Konzeption und diesem Denken werden Kommunen in den Wettlauf zur Gewinnung von Unternehmen gezwungen und die gesamte Kommunalpolitik deren Gewinninteressen untergeordnet.

Es geht darum, ein fühlbares Gegengewicht gegen die Anziehungskraft der „Cluster“ aufzubauen. Das Ziel ist immer, die Arbeit zu den Menschen zu bringen und nicht die Menschen zur Arbeit. Es muss also dort investiert werden, wo Menschen Arbeit brauchen. Statt kontraproduktive „Bauoffensiven“ sind vielmehr effektive Wachstumsbremsen für überhitzte Metropolregionen und eine aktive Regionalpolitik notwendig.

Für eine alternative Regionalpolitik muss die kommunale Dumping-Konkurrenz durch die Zusammenarbeit aller staatlichen Ebenen ersetzt werden, um in größeren Planungsverbünden definierte Standards zu gewährleisten und gemeinsame Entwicklungsziele umzusetzen.

Eine polyzentrische Siedlungsstruktur wird die ökologischen Belastungen minimieren. Notwendig ist es, das Verhältnis von Wohnbevölkerung und Arbeitsplätzen auszubalancieren und Anreize für eine Stadt der kurzen Wege zwischen Wohnen und Arbeiten, Einkaufen und Freizeit zu schaffen.

Dazu braucht es Instrumente zur Investitionslenkung

Notwendig ist etwas anderes vor – man könnte es auch „negative Subventionierung“ nennen: Investitionen in Boomregionen müssen verteuert und begrenzt werden. Eine Investitionsbeschränkung und Verteuerung muss aber mit zwei Instrumenten arbeiten:

  1. Rechtlich
    Übergeordnete Rechtsnormen begrenzen schon heute die kommunale Selbstverwaltung. Hier wären z.B. Artikel 20a Grundgesetz zu nennen. Wir wollen eine straffere Anwendung übergeordneter Normen zur Sicherstellung einer nachhaltigen, intergenerationalen Bauleitplanung Seitens der Fachaufsicht (insb. § 1 Satz 5 und 7 des BauGB). Zudem muss insbesondere die Baunutzungsverordnung grundsätzlich neu formuliert werden, um widerstandsfähige, integrierte Siedlungsstrukturen herbeizuführen. Ausgehend von Forderungen Agenda 21 vom Erdgipfel Rio 1992 regen wir an, vergleichbar mit dem Raumplanungsgesetz der Schweiz, ein bilanziertes Null-Flächen-Wachstum festzuschreiben. Insbesondere in Boom-Metropolen muss die Versiegelung unbebauter Böden mit ihren wichtigen Funktionen unterbunden, punktuell sogar Infrastruktur zurückgebaut werden. Das Ziel der Raumordnung muss in der Stärkung strukturarmer Räume liegen.
  2. Finanziell
    Die Gewerbesteuern für diese Boomzentren müssen erhöht und die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten (relativ) verschlechtert werden. Zusätzlich sollten die Gewerbesteuern nach raumordnerischen Zielen und Entwicklungsnotwendigkeiten gestaffelt werden. Die Höhe der Gewerbesteuer spielt eine Rolle bei Standort- und Investitionsentscheidungen von Unternehmen. Zwar existieren derzeit bereits unterschiedliche Steuersätze. aber diese Unterschiede sind offensichtlich zu gering, um eine Lenkungswirkung zu entfalten und sie orientieren sich ohnehin nicht am regionalpolitischen Ausgleich (Kommunale Selbstverwaltung).

Im Prinzip würde also gelten: Die Steuersätze werden systematisch an die Arbeitslosenquote, eventuell auch an einige weitere Indikatoren gekoppelt. Alternativ könnte ein Umlageverfahren analog dem Länderfinanzausgleich geschaffen werden.

Es liegt nahe, dass die kommunale Energiewirtschaft, die Stadtwerke, die flächendeckend vor Ort arbeitenden Energiefachleute, den Kern von Energiewirtschaft und Energiepolitik bilden müssen, nicht die Großkonzerne mit ihren oft weit außerhalb der Ballungsräume liegenden Großkraftwerken. Und um diese Kerne der Energiewirtschaft herum können sich neue, regionale Produktionsnetze bilden.

Zur Sicherstellung der Daseinsvorsorge und Förderung eines sozialen/ kulturellen Umfelds muss das Spardiktat beseitigt werden. Aufsetzend darauf werden dann verpflichtende Standards entwickelt: Öffentliche Leistungen wie der Zugang zu Bildung und Schulen, die Versorgung mit Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie der öffentliche Nahverkehr müssen verbindlich und rechtlich zwingend zur Verfügung gestellt werden. Zuständig dafür sind die staatlichen und kommunalen Körperschaften.

Staatliche Fördergelder müssen vorrangig für ökologische Modernisierung, regionale Strukturpolitik in wirtschaftlich abgehängten Regionen und für Genossenschaften verwendet werden. Genossenschaften müssen in allen Bereichen der staatlichen Wirtschaftsförderung gleichberechtig berücksichtigt werden.

Verbesserungen für eine lokale und regionale Struktur- und Investitionspolitik werden sich auch nur erreichen lassen, wenn das restriktive Regelwerk und mit ihm das EU-Wettbewerbsrecht vollständig fällt. Erreichen lässt sich das aber nur, wenn das gesamte EU-Vertragssystem abgeschafft wird und es zu einem Neustart der EU kommt, der die Türen öffnet für eine demokratische und sozial-ökologische Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

Begründung

Sozial gerechte und ökologische Regionalplanung mit dezentraler Wirtschaft und Bildung, rechtlicher und finanzieller Lenkung

Kompakte Siedlungsstrukturen mit örtlichen Wirtschaftskreisläufen sind lange schon einer räumlichen Trennung von Wohnort, Arbeitsleben, Freizeitvergnügen und sozialen Kontakten gewichen. In Baden-Württemberg z.B. mit seiner starken Automobilindustrie, kommt dem PKW zur Beförderung heute eine dominierende Bedeutung zu, der öffentliche Personennahverkehr ist nur in städtischen Ballungsräumen ausreichend entwickelt. Doch immer stärker werden die Schattenseiten dieser Automobilität sichtbar. Immense Pendlerströme überlasten die Straßen, Auto- und LKW-Verkehr bringt gesundheits­schädigenden Lärm und Luftschadstoffe in die Gemeinden, der Ressourcenverbrauch ist gewaltig genauso wie der Ausstoß klimaschädlicher Emissionen.

Immer mehr wertvoller Freiraum fällt dem Straßenausbau und neuen Logistikgewerbeflächen zum Opfer. Öffentlicher Raum in den Städten wird durch die hohe Kfz-Dichte unattraktiv und verödet. Der fortschreitende Ausbau der Hochleistungsverkehrsinfrastruktur löst die skizzierten Probleme nicht, überfordert jedoch schon heute im Unterhalt die Straßenbaulastträger. Mobilität wird zudem stetig teurer, denn die Ära des billigen Öls neigt sich dem Ende zu. Mobil zu sein ist durch diese historisch gewachsenen räumlich getrennten Strukturen Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe, doch immer mehr Menschen können diesen Preis nicht mehr bezahlen. Die hohe Geschwindigkeit des Verkehrs führt zur Zersiedelung und erzeugt so eigene Raumstrukturen. Es überwiegen die Kapitalinteressen von Großkonzernen, die nur an Rendite denken und nicht an die Interessen der Menschen. 60% der Gütertransporte können durch regionales Wirtschaften vermieden werden. Der Preis des Gütertransports muss abhängig von der Transportdistanz gemacht werden, um diese verfehlten Entwicklungen einzudämmen.

Für DIE LINKE liegt dem sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft eine andere Perspektive zugrunde: die solidarische regionale Strukturpolitik. Die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen, wie wir Energie erzeugen, wie wir Handel betreiben, wie wir produzieren wollen und in wessen Besitz sich Netze, Produktionsanlagen oder auch die Stadtwerke befinden, schafft die notwendige Akzeptanz, auch auf lokaler Ebene, für die Frage, wie wir eigentlich leben wollen.

Notwendig ist ein anderes Herangehen an die Regionalpolitik. Politische Eingriffe und Vergünstigungen können das Ausbluten der strukturärmeren Regionen stoppen. Universitäten und Fachhochschulen sowie öffentliche Einrichtungen und Behörden können in die Regionen verlagert werden. Es ist ein Anreizsystem für Unternehmensgründungen zu schaffen (Kap 5).

Es geht darum, ein fühlbares Gegengewicht gegen die Anziehungskraft der „Cluster“ aufzubauen. Das Ziel ist immer, die Arbeit zu den Menschen zu bringen und nicht die Menschen zur Arbeit.

1 Boden ist Gemeingut und keine Ware

Alle Rufe nach mehr Bauen und nach billigerem Bauen sind ein politischer Holzweg und ignorieren die Grenzen des Bauens. Solange die Zuwanderung in die Boomzentren nicht deutlich abnimmt, wird sich an der Wohnungsnot in diesen Metropolregionen wenig ändern. Statt kontraproduktive „Bauoffensiven“ sind vielmehr effektive Wachstumsbremsen für überhitzte Metropolregionen und eine aktive Regionalpolitik notwendig. Deutschland bewegt sich derzeit in eine wohnungspolitische und regionalpolitische „lose-lose-Situation“. Die Boomregionen werden immer teurer, die Mieten explodieren, die Infrastrukturen werden immer unzureichender und die Lebensqualität für die Mehrheit sinkt. In den Krisenregionen dagegen verfallen ebenfalls die Infrastrukturen und auch hier nimmt die Lebensqualität bedingt durch Abwanderung und Arbeitslosigkeit ab.
In Krisenregionen stehen ca. 2 Mio. Wohnungen leer, aber in den Boomzentren fehlen ca. 1 Mio. Wohnungen. Dort ist Boden knapp und die relative Knappheit des Bodens begrenzt das Wohnungsangebot.
Boden ist eine endliche Ressource und in menschlichen Betrachtungszeiträumen nicht vermehrbar. Sie zu schützen bedeutet die natürlichen Lebensgrundlagen für kommende Generationen zu erhalten, planetare Grenzen anzuerkennen, und so einen ökologischen Gesellschaftsvertrag zu erfüllen.
Die Entstehung von 10 cm fruchtbaren Bodens setzt 1.000 Jahre an Erosion, Witterung und biologischen Zersetzungsprozessen voraus. Einmal versiegelte Böden sind für immer verloren, denn sie verlieren ihre Funktionen für den Wasserhaushalt und das Klima, stehen nicht länger als Lebensraum für Pflanzen und Tiere zur Verfügung und sind nicht länger nutzbar für eine Landbewirtschaftung.

Dieses bedeutet, dass auf dem knappen, nicht vermehrbaren Boden nur die jeweils für Bodenbesitzer und Bauträger lukrativste Nutzung realisiert wird und weniger lukrative Projekte unterbleiben. Diese profitorientierten Projekte sind beispielsweise Gewerbeimmobilien, Bürogebäude oder Hotels. Da außerdem seit einiger Zeit die Wohnungspreise stärker steigen als die Mieten, werden bevorzugt Eigentumswohnungen gebaut und keineswegs die benötigten günstigen Mietwohnungen.

Zusammengefasst: Es existieren in den Wachstumszentren einfach nicht genug ausreichend schnell erschließbare Flächen. Die Marktmechanismen, die das Angebot und die Nachfrage nach Wohnungen in Übereinstimmung bringen sollen, gibt es nicht. Der Markt kann nicht für mehr Flächen und für ein bezahlbares Wohnungsangebot sorgen, die politischen Eingriffsmöglichkeiten sind begrenzt und die Menschen können nicht beschließen, ab sofort nicht mehr zu wohnen.

Doch der Wanderungsdruck wird aufrechterhalten. Wanderungen in die Wachstumszentren werden weniger durch persönliche Vorlieben oder hippe kulturellen Neigungen ausgelöst, sondern sind weitestgehend durch die Investitions- und Beschäftigungsentwicklung sowie in zweiter Linie durch die Hochschulentwicklung zu erklären.
Die Menschen ziehen von Städten und Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und hier vor allem auch Jugendarbeitslosigkeit in Regionen mit mehr und mit besseren Jobs. Und dabei handelt es sich vor allem um eine innereuropäische Wanderung. Seit der europäischen Krise ab 2008 sind viele Menschen aus Italien, Griechenland oder auch aus Portugal in die deutschen Wachstumszentren gezogen. Dies zeigt das Totalversagen von Standortpolitik.

Die Wirtschaft und vor allem die großen Unternehmen agieren und investieren weiterhin völlig ungerührt von regionalen Erfordernissen oder gar von der Wohnungsnot. Aufgrund der Produktivitätscluster wandern Investitionen und damit Arbeitsplätze in einige wenige Ballungsräume, weil das betriebswirtschaftlich für Konzerne und Unternehmen profitabel ist. Mit diesen Standortentscheidungen wird der Boom weiter angeheizt und die Mietpreise in die Höhe getrieben, was die ärmere Wohnbevölkerung vertreibt und damit die Gentrifizierung insgesamt verschärft.

Warum nicht dort investieren, wo die Menschen nach wie vor dringend Arbeit brauchen? Warum nicht dort für ausgezeichnete technische Unis für den wissenschaftlichen Nachwuchs sorgen?

2 Verkehrswachstum

Auch die ökologische Wirkung dieser Regionalentwicklung ist negativ. Gelegentlich hört man die Ansicht, die Metropolisierung sei ökologisch positiv zu bewerten. In den großen Städten ließen sich der Verkehr und die Energiesysteme effizienter steuern als in einem stärker dezentralisierten Raum. Auch die EU-Kommission geht davon aus. Zitat: „Cities are more efficient in terms of energy and land-use and offer the possibility of a low-carbon lifestyle.“ (Städte sind bezüglich Energie und Landnutzung effektiver und bieten die Möglichkeit eines Niedrig-Karbon-Lebensstils). Auf den ersten Blick sprechen aber bereits die Alltagserfahrungen in den Zentren gegen diese These. Wenn Metropolen ständig wachsen, das Umland aufsaugen und gleichzeitig Wohnraum knapp und teuer wird, hat das auch Konsequenzen für den Verkehr:

Die Zahl der Pendler steigt und mit ihnen die Verkehrs- und Umweltbelastung in und um die Zentren. Eine neue Studie des Bundesinstituts für Raumforschung spricht davon, dass inzwischen 60 %- der Berufstätigen in Deutschland Pendler sind. Sie zeigt auch, dass die täglich zurückgelegten Strecken zugenommen haben und Anfahrten von oft mehr als 100 km keine Ausnahmen sind.

In Deutschlands Großstädten stockt der Verkehr. In Stuttgart z.B. steht jeder Autofahrer pro Jahr 46 Stunden im Stau. Mit Milliardenaufwand sollen neue Autobahnen wie z.B. der Nordostring um Stuttgart gebaut werden, was nur den Verkehr und damit den CO2-Ausstoß erhöht. Eine polyzentrische Siedlungsstruktur könnte dagegen die ökologischen Belastungen minimieren.
Der individuelle Pendlerverkehr ist heute ein entscheidendes Problem. Der Autoverkehr nimmt immer stärker zu. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs stagniert. So bleibt der Anteil des OPNV am gesamten „Mobilitätsmarkt“ laut Studie Mobilität in Deutschland 2017 bei unverändert 10%. Die Ressourcen werden immer noch zu stark in den Straßenbau und dem Motorisierten-Individual-Verkehr (MIV) Verkehr investiert.

Stattdessen beherrscht eine unsinnige Schwerpunktsetzung auf Elektroautos die Verkehrspolitik als könne man den Individualverkehr aufrechterhalten.

Aber es geht nicht nur um das Thema Verkehr: Die Zentralisierung von Arbeitsplätzen, wie z.B. die Automobilcluster und Konsum führt darüber hinaus zu einer entsprechenden Konzentration von Emissionen und Müll, von Wasser- und Energieverbrauch. Effizienter ist es, das Verhältnis von Wohnbevölkerung und Arbeitsplätzen auszubalancieren und Anreize für eine Stadt der kurzen Wege, Wohnen und Arbeiten zu schaffen.

3 Umwelt und Metropolisierung

Das Fazit bezüglich der sozialen und ökologischen Auswirkungen der ungleichen Regionalentwicklung lautet: Die Zunahme der Arbeitslosigkeit und der Armut, vor allem in den Verliererregionen, ist Bestandteil und Folge der regionalen Divergenz in der Eurozone und steht in einem engen Zusammenhang mit ihr.

Zusätzlich zur individuellen Armut entwickelt sich in diesen Regionen eine wachsende öffentliche Armut, die viele Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge unfinanzierbar macht und die sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit verstärkt.

Aber auch in den wachsenden Metropolen selbst nimmt die soziale Spaltung zu, steigende Mieten und Wohnungsmangel, bedingt durch die Binnenwanderung und den permanenten Nachfrageüberhang (Gentrifizierung), erzeugen finanziellen Druck und sinkende Lebensqualität. Die ökologischen Konsequenzen der Metropolisierung sind eher negativ zu bewerten.

Im Wesentlichen gibt es für die unzureichende Bilanz der herkömmlichen Regionalpolitik drei Ursachen:

  • insgesamt und vor allem die Marktkonformität der Regionalpolitik und die verfehlte Konzeption einer wettbewerbsorientierten Kommunal- und Regionalpolitik.
  • die staatliche Sparpolitik,
  • den damit zusammenhängenden Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge.

Die Sparpolitik zeigt sich anhand einiger weniger Zahlen: So beantragten die Regierungsparteien 2016 bei ihrer eigenen Regierung für die kommenden Jahre eine Festschreibung der Mittel für die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) von lediglich 624 Millionen Euro pro Jahr. Das sind umgerechnet 0,2 % des Bundeshaushalts. Die Länder sind angehalten, aber nicht verpflichtet, noch einmal dieselbe Summe draufzulegen. Die „Gemeinschaftsaufgabe“, ein zentrales Element der Regionalförderung, ist damit völlig unterfinanziert.

Die Politik der schwarzen Null, also der Zwang zu ausgeglichenen Haushalten, trifft die (meisten) Länder und Kommunen in voller Härte. So beklagen die Sprecher der Deutschen Kommunen regelmäßig deren Unterfinanzierung.

4 Marktkonforme Kommunalpolitik

Hinter diesem „Totsparen“ steht die Ideologie der Marktdominanz und Marktsteuerung. Der Gedanke des Wettbewerbs und der Standortkonkurrenz ist auch in der Kommunalpolitik eine zentrale Richtlinie. Gefördert wird nicht etwa mit dem Ziel, Schulen zu erhalten oder eine flächendeckende Ausstattung mit Kliniken zu gewährleisten: Gefördert wird, um „Hilfe im Wettbewerb“ zu leisten. Und das hat mit Daseinsvorsorge für die Menschen gar nichts zu tun. So formulieren die Regierungsparteien in ihrer Entschließung zur „Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsstruktur“ (GRW): „Ziel muss es dabei sein, … die Wettbewerbsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Regionen zu erhöhen, um sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätz zu schaffen.“

Mit dieser Konzeption und diesem Denken werden Kommunen in den Wettlauf zur Gewinnung von Unternehmen gezwungen und die gesamte Kommunalpolitik deren Gewinninteressen untergeordnet. Die wesentliche eigene Finanzierungsquelle der Kommunen ist die Gewerbesteuer. Damit stehen sie im „Wettbewerb“ untereinander und müssen um Industrieansiedlungen konkurrieren. Wer in dieser Dumpingkonkurrenz die besseren Karten hat, dürfte klar sein: Die Clustereffekte saugen die Investitionen in die ohnehin reichen Zentren, die mit ihren Gewerbesteuereinnahmen dann auch noch die besseren Infrastrukturen für Investoren bieten können. Die finanzschwächeren Kommunen und Regionen haben in diesem Spiel kaum eine Chance.
Dieser Wettbewerb führt zu einer Zersiedelung in den Boomregionen. Nicht nur Bayern und Baden-Württemberg hinken daher den Zielen zum Flächensparen hinterher. Hemmungslos werden selbst an kleine Orte Gewerbe- und Industriehallen ohne Rücksicht auf die Verkehrswege und Verfügbarkeit von Arbeitskräften in die Landschaft gestellt.
Mit Entwicklungskonzepten der Planungsbüros werden Leitbilder entworfen, die zumeist den Wettbewerbsgedanken aufgreifen. So will man nicht nur mehr Arbeitsplätze und Wohnraum für neue Einwohner schaffen, sondern auch die Kaufkraft abschöpfen. Einkaufsmärkte- und Zentren entstehen mit überdimensionierten Verkaufsflächen, bilden die neuen Ortseingänge oder umklammern mit den Logistikzentren die Ortschaften.

5 Solidarische Regionalpolitik durch Investitionslenkung

Notwendig ist ein anderes Herangehen an die Regionalpolitik. Politische Eingriffe und Vergünstigungen können das Ausbluten der ärmeren Regionen stoppen. Universitäten und Fachhochschulen sowie öffentliche Einrichtungen und Ämter können in die Regionen verschoben oder neu aufgebaut werden. Daneben gibt es Steuererleichterungen für Unternehmensgründungen in den Regionen.

Damit ist aber Regionalpolitik bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Wir brauchen Elemente einer neuen Investitionslenkung, die eine solidarische Regionalentwicklung ermöglicht. Regionalpolitik auf EU-, aber genauso auf nationaler Ebene versucht notwendigerweise auch heute schon, Investitionsentscheidungen zu beeinflussen. Sie tut das in aller Regel durch Subventionen. Diese Form von Subventionspolitik ist extrem unternehmerfreundlich und teuer. Wer hat, dem wird gegeben, in der Hoffnung, dass damit noch ein paar positive regionale Entwicklungseffekte herausspringen.

5.1 Instrumente zur Investitionslenkung

Notwendig ist etwas anderes vor – man könnte es auch „negative Subventionierung“ nennen: Investitionen in Boomregionen müssen verteuert und begrenzt werden. Eine Investitionsbeschränkung und Verteuerung muss aber mit zwei Instrumenten arbeiten:

  1. Rechtlich
    Übergeordnete Rechtsnormen begrenzen schon heute die kommunale Selbstverwaltung. Hier wären z.B. Artikel 20a Grundgesetz zu nennen. Wir wollen eine straffere Anwendung übergeordneter Normen zur Sicherstellung einer nachhaltigen, intergenerationalen Bauleitplanung Seitens der Fachaufsicht (insb. § 1 Satz 5 und 7 des BauGB). Zudem muss insbesondere die Baunutzungsverordnung grundsätzlich neu formuliert werden, um widerstandsfähige, integrierte Siedlungsstrukturen herbeizuführen. Ausgehend von Forderungen Agenda 21 vom Erdgipfel Rio 1992 regen wir an, vergleichbar mit dem Raumplanungsgesetz der Schweiz, ein bilanziertes Null-Flächen-Wachstum festzuschreiben. Insbesondere in Boom-Metropolen muss die Versiegelung unbebauter Böden mit ihren wichtigen Funktionen unterbunden, punktuell sogar Infrastruktur zurückgebaut werden. Das Ziel der Raumordnung muss in der Stärkung strukturarmer Räume liegen.
  2. Finanziell
    Die Gewerbesteuern für diese Boomzentren müssen erhöht und die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten (relativ) verschlechtert werden. Zusätzlich sollten die Gewerbesteuern nach raumordnerischen Zielen und Entwicklungsnotwendigkeiten gestaffelt werden. Die Höhe der Gewerbesteuer spielt eine Rolle bei Standort- und Investitionsentscheidungen von Unternehmen. Zwar existieren derzeit bereits unterschiedliche Steuersätze. aber diese Unterschiede sind offensichtlich zu gering, um eine Lenkungswirkung zu entfalten und sie orientieren sich ohnehin nicht am regionalpolitischen Ausgleich (Kommunale Selbstverwaltung).

Im Prinzip würde also gelten: Die Steuersätze werden systematisch an die Arbeitslosenquote, eventuell auch an einige weitere Indikatoren gekoppelt. Je höher die Beschäftigung, desto höher die Gewerbesteuer. Für die reichen Kommunen müssten die Steuersätze im Vergleich zum derzeitigen Stand damit deutlich heraufgesetzt werden. Die Mehreinnahmen, die Boomstädte dadurch erzielen würden, müssen sie an die Kommunen und Regionen mit den niedrigeren Gewerbesteuern abführen. Sie sollen dort dazu dienen, der weiteren Verarmung dieser Kreise und Gemeinden entgegenzuwirken. Ein solches Steuersystem müsste neben einer regionalpolitisch differenzierten Gewerbesteuer auch unterschiedliche steuerliche Abschreibungssätze für Investitionen beinhalten. In den schwächeren Regionen werden durch entsprechend verbesserte Abschreibungs­möglichkeiten Investitionen rentabler gemacht als in den Boomzentren. Alternativ könnte ein Umlageverfahren analog dem Länderfinanzausgleich geschaffen werden. Dieses Verfahren könnte ergänzt werden durch steuerliche Anreize zur Vermeidung von weiteren Flächenverbrauch.

Es ginge darum, ein fühlbares Gegengewicht gegen die Anziehungskraft der „Cluster“ aufzubauen. Das Ziel ist immer, die Arbeit zu den Menschen zu bringen und nicht die Menschen zur Arbeit.

DIE LINKE will die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln. Ziel ist, die Einnahmen der Gemeinden zu erhöhen und diese verlässlicher – d.h. von der konjunkturellen Lage unabhängiger – zu gestalten. Hierzu ist die Bemessungsgrundlage zu verbreitern: Alle unternehmerisch Tätigen sollen in die Gewerbesteuer einbezogen werden, auch sog. freie Berufe wie Steuerberater oder Architekten, die bislang von der Zahlung der Gewerbesteuer ausgenommen sind. Kleine Gewerbebetriebe und Freiberufler sollen steuerlich entlastet werden können. Anderseits sollen Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren in voller Höhe bei der Ermittlung der Steuerbasis berücksichtigt werden. Diese würde um obige Vorschläge erweitert werden

5.2 Regionale Wirtschaftskreisläufe entwickeln

Bleibt die Frage. nach der Art und Ausrichtung der Investitionen: Dieser Aspekt der regionalen Wirtschaftskreisläufe ist bisher stark unterbewertet. Regionalisierung kann den Aufbau von Arbeitsplätzen in der jeweiligen Region fördern, sie kann vor allem aber auch ökologisch sinnvoll sein. Besonders deutlich wird das an der Regionalisierung der Energieerzeugung. Der Übergang zu regenerativen Energien in der Energiewirtschaft schafft die Möglichkeit und auch die Notwendigkeit zu einer Dezentralisierung. Denn die Sammlung von Regenerativen ist eine kleinteilige und über die Fläche verstreute Aktion. Insofern liegt es nahe, dass die kommunale Energiewirtschaft, die Stadtwerke, die flächendeckend vor Ort arbeitenden Energiefachleute, den Kern von Energiewirtschaft und Energiepolitik bilden müssen, nicht die Großkonzerne mit ihren oft weit außerhalb der Ballungsräume liegenden Großkraftwerken.

Und um diese Kerne der Energiewirtschaft herum können sich neue, regionale Produktionsnetze bilden. Ein wesentlicher Vorteil der Regionalisierung von Produktionskreisläufen kann ist auch der Rückgang des Verkehrs. Wo nicht mehr grenzüberschreitend nach dem Prinzip des billigsten Standortes produziert und die hergestellten Güter dann zu immensen Umweltkosten quer durch ganz Europa transportiert werden, fallen die Umweltbelastungen durch die „rollenden Lager“ weg.
Hier besteht auch ein Ansatz zur Förderung von Regionalisierung: Die Transportkosten müssen deutlich erhöht werden. Wenn es unrentabel wird, Güter quer durch Europa zu transportieren, die auch regional produziert und verteilt werden könnten, entsteht ein Raum für die Ausdehnung lokaler und regionaler Produktionen.
Durch zusammenarbeitende Akteure und Verflechtungen im Mikrokosmos mit Kleinstrukturen, mittelständischen Betrieben sind eine Vielzahl von Existenzen mit existenzsicherndem Einkommen möglich. Integration von Betrieben in den Orten, Verzahnung mit der Landwirtschaft im Umland, statt weniger Großunternehmen mit wenigen Arbeitsplätzen, durchrationalisierter Arbeit, Schichtarbeit und prekären Verhältnissen. In die strukturschwachen Regionen gehören weniger die Ableger von Unternehmen der Boomregionen, wichtiger sind dort verortete Geschäftssitze.

Entwicklungsschwerpunkte müssen auch dort geprüft werden, wo Strukturen zerfallen sind, Gewerberuinen, Industriebrachen oder leerstehende Büro-/ Wohngebäude umgenutzt werden können.

5.3 Technologie- und Wissenschafts-Transfer

In den gängigen Konzepten zur Regionalentwicklung wird häufig ein großer Wert auf die Digitalisierung der abgehängten Regionen gelegt. Man geht davon aus, dass bei einer flächendeckenden Versorgung mit Glasfasernetzen auf dem Land neue Möglichkeiten der Produktion, Dienstleistung und Beschäftigung entstehen. Die abgehängten Regionen sollen also durch Start-ups und durch Digitalwirtschaft gerettet werden. In den Medien erscheinen immer wieder Berichte über vielversprechende Start-ups auf dem Land. Diese Beispiele zeigen, was vielleicht möglich wäre – aber nicht, was sich hauptsächlich entwickelt. Nämlich eine Zentralisierung der Digitalwirtschaft, Stärkung der wirtschaftsgeographischen „Euro-Banane“, einem Reichtumsgürtel von Hamburg über Südholland, Rheinland, Rhein-Main, Oberrhein, München bis Wien.

Aber natürlich würde die Digitalisierung einer solchen korrigierenden Regionalpolitik Möglichkeiten schaffen. Beispielsweise kann sie es erleichtern, Arbeitsplätze zu dezentralisieren und zu verlegen. Eine aktive Regionalförderung könnte also allein schon durch die Schaffung von Heimarbeitsplätzen oder dezentralen Standorten der weiteren räumlichen Zusammenballung von Arbeit und Arbeitsplätzen zumindest ein wenig entgegenwirken.

Auch regionale Produktionskreisläufe ließen sich durch die Digitalisierung fördern, weil sie Plattformen für räumlich stärker verteilte Produktions- und Dienstleistungsstandorte liefern könnten. Bereits heute gibt es Datenbanken und Ausschreibungsplattformen, die regionale Produzenten und Zulieferer miteinander vernetzen.

Digitalisierung kann und soll für eine nachhaltige Energiepolitik eingesetzt werden.

Eine aktive Regionalpolitik muss aber noch weitergehen und flankierend zu neuen dezentralen Tätigkeiten auch Forschungseinrichtungen und Universitäten teilweise dezentralisieren und Wissenschaftszentren in abgehängten Regionen aufbauen und fördern – also die Entstehung alternativer regionaler Cluster systematisch initiieren und fördern.

6 Jedem Bürger muss in jeder Stadt und in jeder Region eine ausreichende Daseinsvorsorge garantiert und zur Verfügung gestellt bekommen.

In der deutschen Regionalpolitik wird derzeit mit Ortskonzepten (Zentrale-Orte-Konzept) operiert, an denen Grundausstattungen der Daseinsvorsorge festgemacht werden. Allerdings natürlich, wie immer in der deutschen Politik: Unverbindlich und ohne Rechtsanspruch für die Bürger*innen.

In dieser staatlichen Raumplanung wird zwischen Ober-, Mittel- und Unterzentren unterschieden. Dabei sollen Mittelzentren ein Einzugsgebiet von 30.000 bis 35.000 Menschen haben und in 45 Minuten erreichbar sein, Unterzentren einen Einzugsbereich zwischen 7.000 und 10.000 Menschen. Ein Unterzentrum dient der Grundversorgung der Einwohner aus dem Umland. Es sollte eine Vielfalt an zentralen Einrichtungen aufweisen.
Das muss aber durchgesetzt werden. Eine Konzentration auf die Stärkung von Unterzentren und ein Unterzentren-/Mittelzentren-Konzept wäre ein Fortschritt. Allerdings fehlt es weitgehend an Instrumenten (und am Willen) zur Durchsetzung. Darüber hinaus geht es aber nicht nur um den Gegensatz Metropole/Land. Auch in ärmeren städtischen Regionen gibt es große Versorgungslücken, die gefüllt werden müssen.

Ausdünnen der Daseinsvorsorge und die Beschränkungen der staatlichen Ausgaben hatten aber die Divergenz im Eurogebiet beschleunigt. Zur Sicherstellung der Daseinsvorsorge und Förderung eines sozialen/ kulturellen Umfelds muss das Spardiktat beseitigt werden. Aufsetzend darauf werden dann verpflichtende Standards entwickelt: Öffentliche Leistungen wie der Zugang zu Bildung und Schulen, die Versorgung mit Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie der öffentliche Nahverkehr müssen verbindlich und rechtlich zwingend zur Verfügung gestellt werden. Zuständig dafür sind die staatlichen und kommunalen Körperschaften.

Solche Standards gibt es in Ansätzen bereits. In Deutschland beispielsweise formulieren die Kassenärztlichen Vereinigungen Ärzteschlüssel pro zehntausend Einwohner, Sportverbände definieren Regeln zur Erreichbarkeit und Ausstattung von Sportstätten und dergleichen mehr. Auch die kommunalen Aufsichtsbehörden legen Mindeststandards fest Das alles steht bisher allerdings unverbindlich und unverbunden nebeneinander. Diese Regeln und Richtwerte sollten also überprüft. angepasst und vor allem verbindlich gemacht werden.

7 Statt Wettbewerb: Zusammenarbeit von Kommunen, Planungsverbänden, Ländern

Nun hat Politik aber auch immer ihre ideologische und vor allem ihre interessensgeleitete Seite. Wirtschaft und Konzerne haben kein Interesse an ausgleichender Regionalpolitik. Sie sind an der Stärkung eines Metropolenmodells mit ausgelagerten Werkbänken und entsprechendem Standortdumping interessiert.

Für eine alternative Kommunal- und Regionalpolitik ist aber generell und explizit die Aufgabe des „Wettbewerbs“-Konzepts notwendig. Es ist richtig, dass die kommunale Selbstverwaltung eine wesentliche Säule der Demokratie ist. Kommunalparlamente, Stadträte mit Rechten und Kompetenzen ermöglichen Bürgerbeteiligung. Allerdings ist schnell Schluss mit der Bürgerbeteiligung, wenn der „Wettbewerb“ unter den Kommunen tobt. Wenn neue Gewerbegebiete und Investitionen notwendig sind, um die Steuereinnahmen zu erhöhen, diktiert sofort wieder „die Wirtschaft“ das Geschehen und die Konditionen und keineswegs die „Bürger*innen“.

Für eine alternative Regionalpolitik muss die kommunale Dumping-Konkurrenz durch die Zusammenarbeit aller staatlichen Ebenen ersetzt werden, um in größeren Planungsverbünden definierte Standards zu gewährleisten und gemeinsame Entwicklungsziele umzusetzen.

7.1 Wir wollen mehr Demokratie auch in der Industrie fördern (aus Bundestagswahlprogramm)

Gelder für Forschung und Entwicklung, für die Stärkung einer regionalen Industriestruktur sollen durch regionale Wirtschafts- und Transformationsräte kontrolliert werden, in denen neben der Landesregierung und Unternehmen auch Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände gleichberechtigtes Stimmrecht haben.

Demokratische öffentliche und genossenschaftliche Eigentumsformen können in Zukunft im Mittelpunkt einer nichtkapitalistischen Wirtschaftsweise stehen. Genossenschaften und Belegschaftsbetriebe bauen auf Wissen, Erfahrung und Kompetenzen der Beschäftigten auf und geben ihnen mehr Möglichkeiten, über Art und Inhalt der Produktion mitzubestimmen.

  • Staatliche Fördergelder müssen vorrangig für ökologische Modernisierung, regionale Strukturpolitik in wirtschaftlich abgehängten Regionen und für Genossenschaften verwendet werden. Genossenschaften müssen in allen Bereichen der staatlichen Wirtschaftsförderung gleichberechtig berücksichtigt werden.
  • Wir fördern Unternehmen, die ganz oder zum Teil im Eigentum der Belegschaft stehen, durch Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Im Forschungsförderungsgesetz wollen wir einen verbindlichen Anteil für Grundlagenforschung im Bereich der solidarischen Ökonomie verankern. Zudem wollen wir eine sozialökologische Wirtschaftskammer einrichten, die regionale Leuchtturmprojekte und Unternehmensgründungen im Bereich solidarischer Ökonomie durch Beratung und finanzielle Förderung unterstützt.
  • DIE LINKE unterstützt Belegschaften, die ihre in die Krise geratenen Betriebe in Eigenregie weiterführen wollen: Staatliche Subventionen an Unternehmen und Hilfen in wirtschaftlichen Krisen müssen, wo die Belegschaften dieses befürworten, in Form von kollektiven Belegschaftsanteilen vergeben werden. Bei dem Verkauf von Unternehmen müssen die Belegschaften ein Vorinformations- und Vorkaufsrecht erhalten.
7.2 EU-Wettbewerbsrecht

Die Grundlagenverträge der EU, der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union sind von einem engmaschigen Netz an Rechtsvorschriften und Regelwerken umgeben, die den Interessen großer Wirtschaftskonzerne und Banken dienen und tief ins Räderwerk der Ökonomie auf nationalstaatlicher Ebene eingreifen So schränken die insbesondere von den führenden Nationalstaaten mitgestalteten Wettbewerbsrechtlichen Instrumente der EU zu denen gerade auch das Beihilferecht gehört inzwischen in immer unerträglicherem Ausmaß die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten ein.

Einschränkungen staatlicher Handlungsfähigkeit nicht hinnehmbar

Die Einschränkungen lassen sich exemplarisch zeigen an den EU-Struktur- und Investitionsfonds und den mit ihnen verbundenen restriktiven Regelungen für Kofinanzierungen, Beihilfen und Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber. Sie be- und verhindern. dass sich insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene Klein- und Kleinstunternehmen und mittelständische Unternehmen breit entfalten können und mithin der Aufbau stabiler, langfristig sich selbst tragender Wirtschafts- und Wertschöpfungskreisläufe mit vielen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen gelingt. Damit wird dem dringend notwendigen und längst überfälligen sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft schwerer Schaden zugefügt

Deshalb sind Beihilfen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) über derzeit geltende Subventionswerte in der De-Minimis-Verordnung hinaus so anzuheben und auszugestalten, dass eine für Arbeit und Umwelt wirksame Mittelstandspolitik in strukturschwachen Regionen in Gang gesetzt werden kann. Im Agrarsektor sind Beihilfen auf umweltgerechten und ressourcenschonenden Landbau (sowohl integriert als auch ökologisch) zu beschränken und kräftig über die derzeit genehmigungspflichtigen Subventionen hinaus anzuheben.

Schwellenwerte für öffentliche Ausschreibungen von Aufträgen sind zu streichen. Die öffentlichen Auftraggeber sollen selbst entscheiden, ob sie ihre Aufträge für Bauen, Wohnen, Arbeit und Umwelt europaweit oder national und mithin zumeist lokal oder regional ausschreiben.

Grundlegende Verbesserungen für eine lokale und regionale Struktur- und Investitionspolitik werden sich jedoch letztlich nur erreichen lassen, wenn das restriktive Regelwerk und mit ihm das EU-Wettbewerbsrecht vollständig fällt. Erreichen lässt sich das aber nur, wenn das gesamte EU-Vertragssystem abgeschafft wird und es zu einem Neustart der EU kommt, der die Türen öffnet für eine demokratische und sozial-ökologische Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

Beschlossen 7.5.22 BAG Ökologische Plattform

Basis dieses Antrags:
Alternative Regionalpolitik (Aus isw 120 Roland Charles Pauli BOOMSTÄDTE und Schrumpfregionen – Das Auseinanderdriften der Regionen und das Versagen der Regionalpolitik in der Eurozone)