Kandidat*innencheck:
Martin Schirdewan

Foto von Martin Schirdewan1.Was ist die größte Aufgabe der LINKEN im 21. Jahrhundert?

Ein guter Freund von mir hat immer gesagt, dass ein Sozialist die Welt aus den Augen der Schwächsten der Gesellschaft zu beurteilen hat. Mit dieser Klassenperspektive wird die soziale Frage zum Kern unserer Politik. Das gilt beim Kampf gegen Altersarmut und für gute Arbeit ebenso wie für einen gelingenden ökologischen und digitalen Wandel. Ich sehe es als große Aufgabe unserer Partei, endlich wieder die Menschen und deren Belange und Ängste in den Fokus der Politik zu rücken. Wir als LINKE müssen dafür kämpfen, das Vermögen von oben nach unten umverteilt wird, dass Klimakrise und Umverteilungskrise zusammen gedacht und gelöst werden und nicht die Schwächsten der Gesellschaft von der Politik außen vorgelassen oder gar gegeneinander ausgespielt werden. Die vergangenen Regierungen egal ob Konservative, Liberale Sozialdemokraten oder Grüne betreiben eine Politik gegen die sozialen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung. Damit beweisen sie jeden Tag, wie abgehoben sie von den realen Sorgen der Menschen sind. Unsere Partei muss soziale Antworten auf die Fragen von digitalem Wandel, europäischer Sicherheit und Frieden oder den ökologischen Herausforderungen geben.

2. Was bedeutet Umweltgerechtigkeit für Dich?

Umweltgerechtigkeit bedeutet für mich, unseren Planeten und unsere Natur vor der zerstörerischen Kraft des Kapitals zu schützen. Und Umweltgerechtigkeit heißt auch, dass Klimaschutz niemals zu Lasten der Schwächsten der Gesellschaft bzw. der Welt geschehen darf. Umweltgerechtigkeit gelingt, wenn alle mitgenommen werden, Weltweit sind gerade einmal 100 Konzerne für mehr als 70% des weltweiten C02-Ausstoßes verantwortlich und in Deutschland stoßen die reichsten 10% mehr Treibhausgase aus als die Hälfte aller deutschen Einwohner:innen.Eine kleine Elite gönnt sich hier also einen Freifahrtsschein für die Zerstörung des Klimas, die hinterher von uns allen getragen werden müssen. Unser Ziel sollte deswegen sein, die wirklichen Verursacher der Klimakrise zur Verantwortung zu ziehen. Die Folgen des Handelns weniger betrifft Menschen aus dem globalen Süden, einkommensschwache Haushalte, Studierende, Rentner:innen und Beschäftigte überproportional. Ich will eine linke gelingende Umweltpolitik, die die Kumpel und die MitarbeiterInnen in der fossilen Energiegewinnung nicht im Stich lässt und ihnen berufliche Perspektiven und Garantien gibt.Das Zusammendenken von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit – das bedeutet Umweltgerechtigkeit für mich.

3. Was bedeutet Generationengerechtigkeit für Dich?

Ein neoliberales Verständnis von Generationsgerechtigkeit hat in der Vergangenheit zur Rechtfertigung der schwarzen Null und der verheerenden Politik der Schuldenbremse geführt, die den Süden Europas beinahe in die Zahlungsunfähigkeit getrieben hat. Die Folgen davon sehen wir jetzt noch: Sparpolitik in der öffentlichen Infrastruktur, steigende Kinder- und Jugendarmut, marode Schulen und Bildungssysteme und unzureichende Maßnahmen gegen den Klimaschutz, Streichungen im Gesundheitsbereich. Die Bundesregierung und Herr Scholz selber haben mit dem menschenverachtenden Hartz IV-System Generationen zu einem Leben in Armut verdonnert. Generationsgerechtigkeit mit links unterscheidet sich davon fundamental. Wir wollen dem Sozialabbau entgegentreten und den Menschen Jobs geben, von denen sie auch am Ende ihres Arbeitslebens auskommen. Auch Menschen ohne Einkommen müssen ein planbares Leben führen können, ohne Angst bei einem verpassten Termin in den kommenden Monaten 90 Euro weniger zu erhalten. Dafür brauchen wir hohe Investitionen in den Klimaschutz und in Bildung. 100 Milliarden Sondervermögen in Bildung und Umwelt find ich in dem Punkt aktueller und zeitgemäß als anderer Unsinn

4. Nur 2% der Wähler*innen trauen uns Klimaschutz zu, wie möchtest Du unsere Kompetenzwerte steigern?

Unsere Partei ist die einzige, die soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammen denkt – das unterscheidet uns von anderen Parteien und dieses Argument müssen wir stärken und auch klar an Bürgerinnen und Bürger vermitteln. Die Grünen, denen die meisten Kompetenzen in Sache Klimaschutz zugetraut werden, werden innerhalb der Ampelkoalition ihren eigenen Wahlversprechen nicht gerecht. Wir müssen jetzt von der sozial-ökologischen Seite Druck machen und zeigen, dass eine sozialgerechte Klimapolitik nur mit einer starken Partei die LINKE möglich ist. Wir stehen dafür, dass Konzerne und Regierungen beim Klimaschutz in die Pflicht genommen werden und die Kosten nicht auf die kleine Frau bzw. den kleinen Mann abgewälzt werden.

5. Wenn Du ein Gesetz schreiben und implementieren könntest, was wäre das?

Da fällt mir einiges ein: Die Nahrungsmittelpreise explodieren, Miet- und Energiekosten gehen durch die Decke. Das stellt viele Bürgerinnen und Bürgern vor existentielle Probleme. Ich würde daher einen Energiepreisdeckel implementieren, damit die Leute auch am Ende des Monats noch die Heizung und den Fernseher anstellen können. Um das zu finanzieren würde ich eine Krisengewinnersteuer auf die exorbitantem Übergewinne, die große Energiekonzerne oder aber Rüstungskonzerne erzielen, einführen. Angesicht der steigenden Nahrungsmittelpreise würde ich außerdem ein Gesetz einbringen, das Spekulation mit Nahrungsmittel verbietet – diese ist nämlich ein großer Treiber für die steigenden Preise. Außerdem sollte das Schulessen für Kinder kostenlos sein!

6. Wie sieht eine Gesellschaft, Deiner Meinung nach, aus, die sich am Pariser Abkommen orientiert?

Die Erreichung des Pariser Abkommens geht nur mit massiven Investitionen in den Umbau zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft und Industrie. Das geht erstens nur wenn die wirklichen Verursacher der Klimakrise, wie Reiche und Supereiche und multinationale Konzerne, finanziell an der Bewältigung der Klimakrise beteiligt werden und zur Verantwortung gezogen werden. Es geht nicht, dass Menschen die sich schon ohnehin kaum etwas leisten können angesichts des Klimaschutzes zum Verzicht aufgefordert werden. Stattdessen müssen gerade sie vom grünen Wandel profitieren. Gelder müssen in eine klimafreundliche Infrastruktur gesteckt werden, anstatt mit Steuergeldern klimaschädliche Brachen zu unterstützen. Dazu gehören mehr bezahlbare Wohnungen und Garantien, dass bei klimafreundlichen Modernisierungen, diese nicht auf Kosten der Mieter:innen geschehen dürfen. Außerdem muss erneuerbare Energie bezahlbar werden und der ÖPNV nicht nur kostenlos, sondern auch massiv ausgebaut wird. Zweitens geht das Erreichen des Pariser Klimabekommens nur sozial gerecht, indem der Einfluss der Beschäftigten gestärkt wird und statt Massenentlassungen brauchen wir eine gelingende Transformation, die niemand allein im Regen stehen lässt. Stattdessen müssen Gelder in den Aufbau von zukunftssicheren und klimafreundlichen Arbeitsplätze gesteckt werden und Weiterbildungen für Beschäftigte garantiert und finanziert werden.

7. Wie möchtest Du junge Menschen für die Partei begeistern?

Das Ziel muss sein, junge Menschen zu ermächtigen, sich selbst und ihre Interessen einzubringen, aktiv am Parteileben teilzunehmen und als Mitglied die Gesellschaft zu verändern. Wenn wir ausstrahlen, dass die LINKE ein sicherer Platz für all diejenigen ist, die Lust auf moderne, sozialistische und ökologische Politik haben, dann gewinnen wir Mitglieder und dann gewinnen wir Wahlen. Wir als LINKE kämpfen schon lange aktiv an der Seite von jungen Menschen, wenn es um Bildung, Klimaschutz, Seenotrettung oder bezahlbaren Wohnraum geht. Dort müssen wir ansetzen und vermitteln, dass wir eine Partei sind in der jede und jeder mitmachen kann. Wir müssen sicherstellen, dass junge Menschen und allen voran junge Frauen sich bei uns ermutigt fühlen, sich einzubringen und mitzudiskutieren.

8. Was denkst Du vom Satz „Nicht grüner als die Grünen“?

Meines Erachtens wird mit diesem Satz eine falsche Perspektive eingenommen. Wer den Satz ausspricht, framed die Politik einer anderen Partei, für die sie selber nur im Wahlkampf steht. Wir, DIE LINKE legen uns mit den großen Konzernen an und dürfen nicht zulassen, dass Klimaschutzmaßnahmen auf dem Rücken von einkommensschwächeren Menschen ausgetragen werden. Konsequenter Klimaschutz stellt immer auch die soziale Frage. Dies funktioniert nur mit verbindlichen Vorgaben, die unsere Gesellschaft nicht weiter spalten. Für uns, steht eine Klimapolitik im Vordergrund, von der endlich auch einkommensschwache Haushalte, Rentner:innen, Studierende und Arbeiter:innen profitieren – das ist unser Alleinstellungsmerkmal.

9. Wie stärken wir die politische Bildung für alle Ebenen der Partei?

Politische Bildung ist das A und O einer Partei. Dazu gehören Schulungsangebote, Weiterbildungen digitale Bildungsformate und wir wollen Orte schaffen, an denen sie Genoss:innen austauschen können. Wenn wir wieder eine linke Partei mit Ausstrahlung sind, kommen mehr Menschen. Mit mehr Menschen kommen unterschiedliche Ansichten. Aus den neuen Ansichten und den älteren Ansichten gilt es zu lernen und nicht auszugrenzen. Unser Selbstverständnis sollte wieder mehr dahin gehen,von unserer Pluralität profitieren zu wollen. Die Parteizentrale ist in jeder Richtung unser Standbein und Ansprechpartner und wir haben schon einzelne Angebote in den Strukturen der Partei und um die Partei herum, aber der Fokus ist noch nicht in dem Punkt ganz geschärft und wird ausgebaut werden, damit nicht nur eine hauptberufliche Gruppe sprechfähig ist, sondern jedes Basismitglied, dass sprechfähig sein will.

10. Bei der Nominierung von Klaus Ernst für den Ausschussvorsitz gab es viel Ärger von Seiten der Basis. Wie können Basismitglieder oder auch die Expertise aus Bundesarbeitsgruppen in Zukunft Gehör finden?

Das Beispiel zeigt, dass wir auf allen Ebenen eine bessere Kommunikation brauchen. Es gilt, den direkten Austausch zwischen Basis und BAGen und PV zu verbessern. Ziel muss eine Einbindung in die Politikentwicklung bei relevanten Fragen sein, damit der Schatz des Wissens nicht vergeudet wird und ihre zumeist ehrenamtliche Arbeit die notwendige Anerkennung finden. Beides ist so wichtig für die Partei.

11. Wie schaffen wir es Inhalte über persönliche Befindlichkeiten und „Promi“ansprüche zu stellen?

Wir brauchen entschlossene Strukturreformen, eine programmatische Erneuerung und einen Wandel in der Kultur des persönlichen Umgangs, weg von der Selbstbeschäftigung hin zu einer Alltagspraxis mit dem Gesicht zu den Menschen: Zuhören, Reden und gemeinsam handeln. Eine LINKE war, ist und bleibt immer vielstimmig. Der Partei fehlt aber ein strategisches Zentrum. Also ein Führungsteam, das in enger Abstimmung nach außen und innen geschlossen agiert und mit einer Stimme spricht. Dazu zählt für mich auch eine enge Abstimmung mit der Bundestagsfraktion. Meinetwegen können wir hart in der Sache streiten, aber fair bleiben. Und unterschiedlichen Meinungen bleiben im Raum gesagt und werden nicht umgehend in befreundeten Medien publiziert.

12. Was ist aus Deiner Sicht ursächlich dafür, dass uns nur 4,9% gewählt haben, obwohl unser Potenzial bei angeblich 18% liegt?

Die Linke hat auf die sozialen Fragen, auf die Frage wie Energiewende und Klimaschutz sozial gestaltet werden können oder wie wieder Friede in Europa zu sichern sein wird, wichtige und gesellschaftlich relevante Antworten und Positionen, die sonst von keiner anderen Partei vertreten werden. Ein Grund für das verheerende Resultat der Bundestagswahl war unsere Vielstimmigkeit, die nicht zu einem wünschenswerten linken Pluralismus sondern zu Beliebigkeit und Unkenntlichkeit führt. Wofür DIE LINKE steht, das war oft nicht mehr deutlich. Und vielen Menschen war einfach nicht mehr klar, wie wir ihre Interessen wirkungsvoll vertreten würden. Das will ich ändern. Wir müssen unsere gemeinsamen politischen Forderungen wieder in den Vordergrund stellen und so dafür sorgen, dass diese künftig besser Gehör in der Bevölkerung finden.