Rechtsruck bis in den Abgrund? – ÖPF auf dem Bundesparteitag

Liebe Freund*innen und Genoss*innen,

von Freitag bis Sonntag trifft sich die LINKE zu ihrem diesjährigen Parteitag. Wir haben in den letzten Wochen wieder stark daran gearbeitet, den Entwurf des Wahlprogramms an der einen oder anderen Stelle ökologischer zu gestalten.‘
Gerne dürft ihr uns dabei auf die Finger schauen.
Alle Informationen zu unserem Parteitag und den Livestream findet ihr unter www.die-linke.de/parteitag

Weiterhin möchten wir euch darauf aufmerksam machen, dass mit unserer Sprecher*innenrats-Aktiven Didem auch eine Genossin aus der Ökologischen Plattform für die Liste kandidiert. Nutzt die Chance und eure Kontakte für Didem Werbung zu machen. Als kleinen Eindruck senden wir euch den aktuellen Artikel von Didem, den ihr gerne auch weiter leiten könnt.

für die ÖPF

Marcus Otto

Rechtsruck bis in den Abgrund?

von Didem Aydurmus

Die physikalischen Grenzen der Realität sind nichts für schwache Nerven. Der Rechtsruck in Deutschland und global ist natürlich nicht monokausal, sondern hat verschiedene Ursachen. Die Rechtsverschiebung von Politik und Gesellschaft ist wahrscheinlich permanent. Sie ist sicherlich nicht damit aufzuhalten, indem eigentlich unvereinbar erscheinende Positionen durch Koalitionen zusammengebracht werden oder indem die AFD allein zum ultimativen Bösen erklärt wird, diese aber gleichzeitig in jeder Talkshow als einzige Ausnahme zum Einheitsbrei eingeladen wird. Linke Positionen hingegen wenig Platz in den Medien bekommen. Ganz im Gegenteil, wenn echte Auseinandersetzungen und Narrativen von der Zukunft fehlen, Parteien Lobbyinteressen durchsetzen und große Bereiche des öffentlichen Lebens aufgrund von Privatisierungen nicht einmal demokratisch bestimmt werden können, haben wir beste Voraussetzungen geschaffen, dass sich die Gesellschaft langfristig nach rechts verschiebt.

Postdemokratischer Nährboden

Nachrichten aus aller Welt erreichen uns oft nur in Form von Clickbaits, so dass Journalismus zum Sensationalismus verkommt.Gleichzeitig empfinden Menschen die Politik, insbesondere die Ampel, nahezu als Textbuch „postdemokratisch“: Wir sehen eine Politik, die eher einer Managementabteilung gleicht als einem Ort an dem es darum geht, wie wir leben wollen. Gewollt aalglatt wirkten die ersten Fotos der Koalitionsgespräche. Nichts scheint beispielsweise übriggeblieben von den Strickpulligrünen, die eindeutige Werte vertraten.[1] Mit der Überwindung inhaltlicher Differenzen werden auch Werte überwunden.

Statt einen Austausch von Werten und der Verhandlung darüber, was die Bevölkerung für eine Welt möchte, findet Politik statt als handele es sich lediglich um die Verwaltung von Interessengruppen. Während sich viele Menschen zurückgelassen fühlen und Angst vor der Zukunft haben, wirkt das jetzige System alternativlos. Folge ist eine allgemeine Politikverdrossenheit und eigentlich eine Stärkung der Ränder. So die Theorie wie sie sich zum Beispiel bei Chantal Mouffe findet (2011).

Noch könnte die unausgewogene Stärkung der Ränder in der Praxis zum einen an lokalen Kontexten liegen wie zum Beispiel in Deutschland, aber zum anderen auch daran, dass linke Inhalte schwerer bekömmlich sind und die Rechten beim Nutzen der Sozialen Medien die Nase vorn haben. „Die Ausländer sind Schuld“ passt natürlich viel besser auf ein Sharepic als fundierte marxistische Analyse der herrschenden Verhältnisse. Die Tatsache, dass wir als Linke natürlich zu Recht den Musks und Zuckerbergs dieser Welt nicht trauen und oft naserümpfend keine Lust haben uns damit zu beschäftigen, verstärkt die Dominanz der Rechten natürlich weiter. Algorithmen verstärken dabei den Rechtstrend. Langfristig haben rechte Hetzer*innen viele weitere Vorteile, einige von ihnen sind permanent.

Mit Steinzeitgehirnen im Anthropozän

 

Die Welt ist zunehmend komplexer geworden, alles erscheint komplizierter als noch vor einigen Jahrzehnten. Wir leben im Anthropozän haben aber noch immer im wesentlichen Steinzeitgehirne. Gruppenidenttitäten bieten ein „Interpretationsangebot für die Wahrnehmung der Wirklichkeit“ (Scherschel 2006:51). Für das Individuum erfüllen Gruppen zunächst einmal die Funktion der Verortung in sozialen Welt. Unterscheiden ist fundamental für die Aushandlung der sozialen und physischen Umwelt.

 

Wir leben in einer schnell lebigen Welt, in der Menschen leicht die Orientierung verlieren können, gerade im Zeitalter des Internets. Der Sinngebungsaspekt von Rassismus taucht bei einigen Expert*innen zum Thema insbesondere als Notwendigkeit der Moderne auf. Die eigene Sterblichkeit werde durch Kontinuität, namentlich den Menschen als Teil der nationalen Geschichte/Nation, versucht zu kompensieren (Smith 2007). Anthony Smith beschreibt die Entstehung nationaler Identitäten funktional und damit selbstverständlich verkürzt. Es lohnt sich jedoch Rassismus als flexible symbolische Ressource zu untersuchen. Menschen hätten Einsamkeit und Verlorenheit, welche sie im Angesicht von Naturgewalten sahen, verdrängt, indem sie an eine größere Einheit glaubten, die die eigene Existenz übersteigt, so Smith (2007:46). Zwar ist das nicht komplett von der Hand zu weisen, jedoch ist schwer abschätzbar, inwieweit diese Begründung für die breite Bevölkerung plausibel war, schließlich können auch Religion und vorhandene Mythen eine solche Funktion erfüllen. In Deutschland im Jahr 2023 ist die Zahl derer, die sich nicht mit Relgionen identifizieren allerdings auf einem historischen Tiefstand. Wir müssen Einsamkeit und Verlorenheit als Gefühle ernstnehmen und verstehen, dass Menschen sich Orientierung suchen.

 

Eine Statusfrage?

 

Identität wird nicht nur dann wichtig, wenn Menschen nach ihrem Sinn in der Welt suchen, sondern auch bei der Markierung der Unterschiede der Gruppen (Cornell und Hartman 2007:236) Für Bourdieu (2006) ist Rassismus eine sinnstiftende Ressource, die es dem Individuum ermöglicht, „die Welt mittels soziale Unterschiede setzende generische Kategorien zu beschreiben“, wobei Klassifizierungen die Basis für soziales Handeln darstellen (Scherschel 2006:61). Die Frustrations-Aggressionsthese sieht im Rassismus eine Verschiebungsleistung, bei der Erfahrungen des Alltags nicht reflektiert, sondern umgewandelt werden. Die Funktionen von Vorurteilen variieren in Relation zur sozialen Position. Neben der Rechtfertigung eines überlegenen Status durch eine privilegierte Gruppe haben sie die Funktion der Aufrechterhaltung der Gruppenkohäsion und sozialen Identität (2006:27). Wettbewerb zwischen den ökonomisch Schwachen erhöht dabei die Anfälligkeit. Rassismus lässt sich allerdings nicht rein ökonomistisch begründen.

 

Eine Zukunft der rassistischen Ressourcenkriege?

 

Der Klimawandel und die Überlastung der planetaren Grenzen allgemein führen dazu, dass wir immer weniger Ressourcen haben. Hinzu kommt die Zerstörung der sozialen Sicherheitssysteme durch die neoliberale Kürzungspolitik der letzten Jahrzehnte. Verteilungskonflikte werden also zwangsläufig einen zentraleren Teil in der Politik einnehmen. Rassismus ist in erster Linie eine Ideologie der Legitimation sozialer Ordnung, wobei eine Kategorisierung in verschiedene Wertigkeiten Ungleichbehandlung rechtfertigt (Scherschel 2006:38). Soziale Kategorisierung und klare Grenzziehung sind ein Mechanismus, der die Nutzung der Vorteile von Kooperation aufgrund von Zugehörigkeit möglich macht, gleichzeitig durch den Ausschluss anderer aber „exzessive“ Kosten zu vermeidet. Gerade in Diskussionen zum Klimaschutz und zum ökologischen Fussabdruck geht es um globale Gerechtigkeit und Menschen in anderen Ländern, die die Konsequenzen unseres Handels tragen. Auch wenn Deutschland viertgrößter Waffenexporteur ist und ökonomisch von Kriegen profitiert, wird die Diskussion um die Aufnahme von Geflüchteten mittlerweile, wenn nicht von Rassismus bestimmt dann sicherlich von Rassist*innen vorangetrieben. Im Kontrast dazu müssen Menschenrechte allen zukommen, also unteilbar sein.

 

Ein interessenorientierter Ansatz ordnet dem Rassismus vor allem die Funktion der Sicherung eigener Interessen zu. Sowie die Entmenschlichung der kulturell Anderen Legitmation für einen Großteil des europäischen Imperialismus war, so wird vor allem struktureller Rassismus heute zur Rechtfertigung unseres imperialen Lebensstil sowie Instrument der Verweigerung als reiches Industrieland und Hauptverursacher des Klimawandels endlich Verantwortung zu übernehmen.

 

Damit soll nicht gesagt werden, dass wir jetzt aufhören sollen zu kämpfen. Was aber klar sein sollte, ist, dass allen Pazifist*innen und Menschrenrechtsfreund*innen weltweit eine Herkulesaufgabe bevorsteht. Wir müssen uns den Mechanismen und den physikalischen Grenzen bewusster werden. Nur wenn wir die Vorgänge genauer verstehen, können wir ihnen entgegenwirken.

 

Quellen:

Bourdieu, P. und L. Wacquant (Hg.) 2006. Reflexive Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp

Taschenbuch Wissenschaft.

 

Cornell, S. and D. Hartmann 2007. Ethnicity and Race. Making Identities in a Changing

World. 2nd ed. Thousand Oaks: Pine Forge Press.

 

Mouffe, C. 2011. Postdemokratie und die zunehmende ―Entpolitisierung‖. ApuZ 1-2:3-5.

 

Scherschel, K. 2006. Rassismus als flexible symbolische Ressource. Eine Studie über rassistische Argumentationsfiguren. Bielefeld: Transcript.

 

Smith, A. D. 2007 (1986). The Ethnic Origin of Nations. Cornwell: Blackwell Publishing.

[1] Habeck im gut sitzenden Anzug ist im Erscheinungsbild nicht von Christian Linder zu unterscheiden. Ich will jetzt nicht oberflächlich werden, schließlich trage ich selbst gerne Anzug.

1 Gedanke zu „Rechtsruck bis in den Abgrund? – ÖPF auf dem Bundesparteitag“

  1. Rechtsruck bis in den Abgrund?

    Liebe Didem,
    auch wenn ich deinen Artikel für gut gelungen halte, an einer Stelle möchte ich doch Kritik üben. Bei der Aufzählung der Gründe für den Rechtsruck vermisse ich die Erwähnung des Neoliberalismus/Kapitalismus als eine Haupttriebkraft für den Rechtsruck. Erst weit hinten im Artikel sprichst Du diesen Punkt an.
    Für mich sind auch ohne wissenschaftliche Begründung die Verlustängste in den unteren und mittleren Schichte der Bevölkerung eine Hauptquelle für den Rechtsruck. Es wird sich nach einer starken Hand gesehnt, die all die Ungerechtigkeiten, die der Kapitalismus inzwischen anrichtet, wendet, beendet.

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