Das 2-Grad-Ziel ist zu wenig.

In einer Studie der Uni Bern wird gezeigt, dass es nicht reicht, die Erderwärmung zu stoppen. Auch andere Klimaschutzziele müssen mit angegangen werden.

Die Begrenzung der Klimaerwärmung genügt nicht

Bisher beschränken sich die internationalen Klimaziele darauf, den Temperaturanstieg zu begrenzen. Sollen aber auch der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane und der landwirtschaftliche Ertragsausfall eingedämmt werden, müssen die CO2-Emissionen noch stärker sinken. Dies zeigt eine in «Nature» publizierte Studie der Universität Bern.

Das große Ziel der internationalen Klimapolitik besteht darin, eine gefährliche Beeinflussung des Klimasystems durch den Menschen zu verhindern. Dazu sollen die Treibhausgase auf einem für Mensch und Umwelt verträglichen Niveau stabilisiert werden. Dieses Klimaziel wird gewöhnlich mit einer Zunahme der globalen Mitteltemperatur um höchstens zwei Grad seit Beginn der Industrialisierung konkretisiert. Eine Stoßrichtung, die von der Mehrheit der Regierungen der Welt anerkannt wird.

Nun aber zeigt eine Studie von Berner Klimaforschern, dass die Fokussierung auf die Temperaturzunahme allein keineswegs ausreicht, um das große, übergeordnete Ziel – den Schutz des Klimasystems vor gefährlicher Beeinflussung durch den Menschen – zu erreichen. Denn: Das Klimasystem umfasst laut Rahmenabkommen der Vereinten Nationen von 1992 die «Ganzheit der Atmosphäre, der Hydrosphäre, der Biosphäre, Geosphäre und deren Interaktionen». Zudem verlangt das Rahmenabkommen ebenfalls die Nachhaltigkeit von Ökosystemen und der Nahrungsmittelproduktion. All dies lässt sich kaum durch das Zwei Grad-Ziel allein realisieren.

Weltkarte mit Klimazielen
Der vom Menschen verursachte Anstieg der Treibhausgase beeinflusst Klima- und Ökosysteme in vielfältiger Weise und die Auswirkungen sind regional unterschiedlich. Aus diesem Grund sind mehrere Klimaziele nötig, um eine gefährliche Beeinflussung des Klimasystems und damit negative gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen zu verhindern. Mit den sechs Klimazielen, welche die Berner Klimaforscher in ihrer Studie vorschlagen, sollen verschiedene Umweltveränderungen begrenzt werden, die negative Auswirkungen für Menschen und Ökosysteme an Land und im Ozean haben können.

Daher schlagen Dr. Marco Steinacher, Prof. Fortunat Joos und Prof. Thomas Stocker in ihrer soeben in der Fachzeitschrift «Nature» publizierten Arbeit eine Kombination von sechs verschiedenen spezifischen globalen und regionalen Klimazielen vor. Denn, so schreiben sie, ein globales Temperaturziel sei «weder genügend noch geeignet», um weitere für Bevölkerung und Ökosystemleistungen ebenfalls relevante Schäden zu vermeiden. Dazu gehören insbesondere: der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane, welche unter anderem die Korallenriffe bedroht, und die landwirtschaftlichen Ertragsausfälle.

Realistische Entwicklungspfade

Hauptverantwortlich für diese Umweltveränderungen ist der Ausstoß des Treibhausgases CO2, welches bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern entsteht. In Modellberechnungen zeigen die Forscher nun, welche CO2-Emissionen gerade noch zulässig wären, um die vorgeschlagenen differenzierten Ziele zu erreichen. Grundlage der Berechnungen ist eine breite Palette von Treibhausgas-Szenarien, die auf realistischen wirtschaftlichen Entwicklungspfaden aufbauen. «Wir können nun zeigen, welcher totale CO2-Ausstoss in den kommenden Jahrzehnten tragbar wäre, um jedes einzelne der zusätzlichen Klimaziele – etwa gleich bleibende Produktion der Landwirtschaft und Stabilisierung der Ozeane – zu erreichen», sagt Marco Steinacher, der Hauptautor der Studie. Und die Forscher stellen die entscheidende Frage, was geschehen müsste, damit keines der Klimaziele verfehlt würde. Ihre unmissverständliche Antwort:

Abbildung 2
Die maximale Menge von CO2, welche bis zum Ende dieses Jahrhunderts durch das Verbrennen von fossilen Energieträgen noch ausgestoßen werden darf, um die Klimaziele zu erreichen. Damit alle sechs Klimaziele (s. Abb. 1) gemeinsam erreicht werden können, müssen die Emissionen viel stärker gesenkt werden, als wenn nur die globale Erwärmung auf 2°C Grad beschränkt werden soll. Der graue Teil der Balken zeigt die Menge CO2, welche in der Vergangenheit bereits ausgestossen wurde und der rote Teil zeigt die noch zulässigen Emissionen bis zum Jahr 2100 für die entsprechenden Ziele. Grau-rot eingezeichnet sind die erwarteten Emissionen in diesem Jahrzehnt unter der Annahme von 1.8% Anstieg pro Jahr. Die Unsicherheiten, welche durch unterschiedliche Annahmen über den zukünftigen Ausstoß von anderen Substanzen als CO2 entstehen, sind mit den horizontalen Linien angegeben.

«Wenn wir alle Ziele zusammen berücksichtigen, muss der CO2-Ausstoß doppelt so stark reduziert werden wie wenn wir einzig das Zwei Grad-Ziel erreichen wollen», so Steinacher.
Als besonders anspruchsvoll hat sich in den Simulationen die Vorgabe herausgestellt, die Versauerung der Ozeane zu stoppen. Dazu muss vor allem der CO2-Ausstoss massiv reduziert werden.

Wichtige Grundlagen für die Politik

Die drei Forscher, alles Mitglieder des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern, empfehlen, weitere Studien dieser Art durchzuführen. Dazu sollten jedoch von Politik und Gesellschaft weitere relevante Klimaziele festgelegt werden. «Welche Umweltveränderungen wir noch akzeptieren wollen, und welche Risiken wir bereit sind einzugehen, ist schlussendlich eine gesellschaftliche und politische Frage. Der ständig steigende CO2-Ausstoss verringert aber unseren Handlungsspielraum zunehmend», sagt Fortunat Joos. Für politische Entscheidungsträger, so betonen die Klimaphysiker, sei es wichtig, dass unterschiedliche Klimaziele auf quantitative Weise mit den vom Menschen verursachten Treibhausgasen verknüpft würden.

In Zukunft, so die Studie, werde sich auch das Erreichen von Klimazielen simulieren lassen, die stärker auf die Folgen des Klimawandels ausgerichtet sind. Zum Beispiel Extremereignisse wie Hochwasser und Hitzewellen. Doch noch ist die Computerleistung für den Betrieb von komplexen Erdsystemmodellen nicht vorhanden, die für solche Simulationen notwendig ist.

Aufwändige Rechenarbeit

Ermöglicht wurde die Studie durch die Anwendung des an der Universität Bern entwickelten Erdsystemmodells «Bern3D-LPJ». Das Modell ist in der Lage, eine Vielzahl von wichtigen physikalischen und biogeochemischen Prozessen zu simulieren und dabei auch Aussagen über deren regionale Entwicklungen zu machen. Diese Angaben sind für das Formulieren vieler zusätzlicher Klimaziele erforderlich – zum Beispiel das Verhindern einer Versauerung der Ozeane in den Tropen. Das Berner Modell ist so effizient, dass die für die Studie nötigen rund 65’000 Simulationen in wenigen Wochen gerechnet werden konnten – und es erlaubt auch, abzuschätzen, mit welchen Wahrscheinlichkeiten die Klimaziele erfüllt werden können. Dies ist mit den meisten anderen derzeit existierenden Erdsystemmodellen nicht möglich.

Angaben zur Publikation:

Marco Steinacher, Fortunat Joos, Thomas F. Stocker: Allowable carbon emissions lowered by multiple
climate targets. Nature, advance online publication, 3 July 2013, doi:10.1038/nature12269.


klimaretter.info zitiert (klick) zur politischen Bedeutung der Studie unter anderem „Oliver Geden (klick), Klimaexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (klick)[1], der „vor einer politischen Überbewertung der Studie“ warnt. „Zwar sei es wissenschaftlich sinnvoll, neben der Temperatur auch andere Kenngrößen zu betrachten. Doch mehrere Klimaziele gleichzeitig zu verfolgen statt eines einzigen, das für sich genommen schon in Gefahr ist (klick), mache einen Erfolg nicht wahrscheinlicher.“


[1↑] Aus der Selbstdarstellung der SWP:

„… Ein – nur nach außen – stiller Ort, bei dem Entscheidungsträger mit unseren Mitarbeitern zusammenkommen, um im vertraulichen Rahmen Szenarien durchspielen und Fragen unabhängig von tages- und parteipolitischen Rücksichten diskutieren zu können.
Diese Aufgabe der Kommunikation und des Austausches von Ideen auch in großer Nähe zu  EU und Nato nimmt besonders das Brüsseler Büro der SWP wahr. Seit 2009 hat Europas größter Think Tank seine dortige Vertretung, die den regen Austausch mit anderen europäischen Instituten wertschätzt.“

update 5.2.2016:

Der hier zitierte Text wurde inzwischen gelöscht und durch folgende Formulierungen ersetzt:

SWP Brüssel (klick)

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) unterhält ein Büro in Brüssel, um ihre Forschungsarbeiten mit den Institutionen der EU und der NATO, den Think Tanks, Nichtregierungsorganisationen und universitären Einrichtungen mit Sitz in Brüssel zu diskutieren. Das Brüsseler Büro bietet einen Ort für politisch unabhängige, wissenschaftlich fundierte Debatten zu allen Aspekten europäischer, transatlantischer und internationaler Politik in vertraulichem Rahmen.

Das Brüsseler Büro (klick)

  • organisiert regelmäßig vertraulich gehaltene Diskussionsrunden und Hintergrundgespräche für geladene Gäste sowie Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit den Brüsseler Institutionen, anderen Think Tanks, politischen Stiftungen, Landesvertretungen, Wirtschaftsverbänden und Nichtregierungsorganisationen;
  • beteiligt sich an informellen, politikbereichsspezifischen bzw. thematisch fokussierten Beratungsprozessen der EU- und NATO-Organe sowie an öffentlichen Anhörungen des Europäischen Parlaments, des Ausschusses der Regionen und des Wirtschafts- und Sozialausschusses der EU;
  • verbreitet Publikationen der SWP unter Entscheidungsträger/innen in EU und NATO;
  • erleichtert es den Vertreter/innen von EU und NATO vor Ort, Kontakt zu den Wissenschaftler/innen der SWP in Berlin aufzunehmen.