Offshore-Windkraft, Weltkriegsmunition und Umweltschutz

Der Nordkurier berichtete am 13. Februar 2013 unter der Überschrift

Bomben auf dem Meeresgrund der Ostsee

dass Alt-Munition den Bau von Windanlagen in der Ostsee gefährdet. Die Räumdienste sind überfordert.  Das bestätigt der Bericht „Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer Entwicklungen und Fortschritt (Jahr 2012)“ vom 30.1.2013 des Bund-Länderausschusses Nord- und Ostsee (BLANO) im Kapitel 2.3.4.1  „Wrack mit Wasserbomben in der Kadetrinne„:

Hinsichtlich der Bergung des mit Wasserbomben am Oberdeck ausgerüsteten Wracks in der Kadetrinne hat die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ihr Einvernehmen zur Bergung aus Gründen der Gefahrenabwehr erklärt. Der bereits im Jahr 2011 erteilte Auftrag an eine private Fachfirma zur Bergung des Wracks und der Munition konnte aus Kapazitätsgründen des Auftragnehmers bislang nicht ausgeführt werden. Die vorhandenen Bergekapazitäten sind auf Grund der erheblichen Offshore-Bautätigkeiten ausgelastet.“

Die Kadetrinne

war früher ein Manövergebiet der dänischen Kriegsmarine; daher der Name. „Sie gilt als eines der schwierigsten und gefährlichsten Gewässer der gesamten Ostsee. … Sie ist mit ca. 63.000 Durchfahrten jährlich einer der am stärksten befahrenen Seewege Europas.“ (Wikipedia).

2002/2003 haben Greenpeace und Kieler Überseelotsen in der Kadetrinne vier Wochen lang täglich 100 bis 150 Schiffsbewegungen per Radar verfolgt. Unter den dokumentierten rund 250 Verkehrssituationen und namentlich identifizierten 144 Schiffen waren 112 Tanker. Von diesen waren 28 über 20 Jahre alt, 24 hatten nur  eine einzige Schiffshülle – schwimmende Zeitbomben. Schon damals hat Greenpeace die Einführung einer Lotsenpflicht gefordert. Das scheiterte aber bisher an dem Widerspruch Russlands. Von 2007 bis 2011 hat sich die Zahl der Schiffspassagen vervierfacht – „insbesondere durch vergrößerte Ölhäfen am finnischen Meerbusen und die erhöhte Zahl russischer Öltanker„.

Also: Lotsen sind zu teuer, das Risiko von Tankerunfällen in der Kadetrinne tragen die Anrainer, weit weg von den russischen Häfen im finnischen Meerbusen.

Weltkriegsmunition

Zu den Risiken der Schifffahrt kommen Bomben, Wasserbomben, Minen und Giftgasgranaten auf dem Meeresgrund. Der schon erwähnte BLANO-Bericht schätzt ein (Kap. 1.2.5):

Die Thematik der im Meer versenkten Munition ist im Hinblick auf die steigende Nutzung von Meeresflächen auch für den Bau von Offshore-Windparks (OWP) sowie der hierfür benötigten Kabeltrassen und Konverter-Stationen relevant. Es ist davon auszugehen, dass heute nur ein geringer Teil der tatsächlich durch Kampfmittel belasteten Flächen bekannt ist und dass die Munitionsprobleme im Rahmen der Realisierung von Offshore-Projekten in zunehmendem Maße zu Tage treten werden. Abgesehen von zum Teil noch offenen Fragen bei Zuständigkeiten und Kostenpflichten für Fälle von Flächenräumungen außerhalb des Küstenmeeres, müssen leistungsfähige Bergungstechnologien für die Räumung stark belasteter Flächen erst entwickelt werden. Die Kampfmittelräumdienste der Länder sind nach deren Bekunden zu Bergungsaktionen in diesem erforderlichen Maßstab derzeit weder personell noch technisch in der Lage. Gleichwohl sind sie in ihrer Funktion für die Kampfmittelbeseitigung zumindest im Küstenmeer sowohl für eine Risikoanalyse und -bewertung als auch für die eigentliche Kampfmittelbeseitigung zuständig. Derzeit wird offshore geborgene Munition von den Kampfmittelräumdiensten der Küstenbundesländer lediglich im Falle der Anlandung übernommen und fachgerecht entsorgt.“

Unklar ist auch, ob Munition am Meeresgrund durch natürliche Einflüsse wie Strömung, Wellengang oder Gezeiten nennenswert verlagert werden kann (Kap. 2.3.5.4). Von entsprechenden Forschungsprojekten erhofft man sich „Erkenntnisse im Hinblick auf Gefährdungen von Offshore-Windparks, Kabeltrassen und Konverter-Stationen durch im Meer versenkte Munition in der Betriebsphase„. Im Klartext heißt das: Es ist möglich bzw. kann zur Zeit nicht ausgeschlossen werden, dass Munition lange nach der Errichtung von Windrädern deren Fundamente sprengt, Kabeltrassen oder Konverter-Stationen zerstört.

Es gibt praktisch keine Unterwasserbaustelle einer Windkraftanlage ohne Munitionsfunde. Der BLANO berichtet:

Für die geophysikalische Untersuchung des als relevant identifizierten Meeresgebietes von rund 1.700 Hektar Größe setzte die Deutsche Marine bewährte Minenjagdtechnologie, Taucher und modernste, autonom arbeitende Unterwasserfahrzeuge (AUV) ein. Nachdem im April dieses Jahres in einen ersten Auswertungszwischenstand über 260 potentiell gefährliche Objekte identifiziert wurden, lag das Ergebnis der Auswertung aller Daten aus dem untersuchten Gebiet im Herbst 2012 vor: Bislang wurden insgesamt 4.883 Kontakte kartiert. Bei über 2.000 davon handelt es sich, nach einer ersten Klassifizierung um Ankertau- und Grundminen sowie Wasserbomben oder torpedoartige Objekte.

Im April vergangenen Jahres wurde vor Ahrenshoop eine britische 300 kg-Luftmine aus dem Zweiten Weltkrieg nahe der Kabeltrasse des geplanten Offshore Windparks Baltic 2 gefunden. Die Bombe wurde gesprengt – in einem Meeresgebiet , das nach der Flora-Fauna-Habitat Richtlinie besonders geschützt war. In einer gemeinsamen Pressemitteilung protestierten GSM, GRD und NABU am 25.04.2012:

… „Es ist ein Skandal, dass eine Mine in einem Meeressschutzgebiet für Kegelrobben, Seehunde und Schweinswale gesprengt wird, ohne weitere Alternativen zu prüfen und ohne entsprechende Minderungsmaßnahmen zu ergreifen“, erklärt der Biologe Ulrich Karlowski von der GRD. Nach Informationen der Verbände wurde die Fachbehörde des Schweriner Umweltministeriums, das Landesamt für Umwelt Natur und Geologie, über die geplante Sprengung nicht in Kenntnis gesetzt. Auch die 2008 gegründete Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Munition im Meer“ wurde vom Munitionsbergungsdienst in Mecklenburg-Vorpommern nicht unterrichtet. …
„Diese Sprengung hatte rein wirtschaftliche Gründe. Es dürfte den Verantwortlichen schwerfallen, ihr Vorgehen mit Gefahr in Verzug zu rechtfertigen“. Nur so sei nämlich eine entsprechende FFH-Verträglichkeitsprüfung zu umgehen.

Dr. Ursula Karlowski von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellte im Landtag Mecklenburg-Vorpommern daraufhin eine KLEINE ANFRAGE zum Thema Munitionssprengung in der Ostsee. Die Antwort der Landesregierung lässt einem die Haare zu Berge stehen:

Auf Bitte des Auftraggebers1) stellte der MBD2) ein Amtshilfeersuchen an die Bundesmarine, die eine Verbringung und Sprengung der Mine mit ihren speziellen technischen Fähigkeiten veranlasste.
Das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz (LU) und das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) wurden weder vom  MBD  noch von
anderer Stelle über den Munitionsfund und die beabsichtigte Sprengung informiert.
Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Munition im Meer“ wurde ebenfalls nicht unterrichtet.

Um Schäden an  den bereits auf dem Meeresgrund verlegten  Kabelleitungen zu vermeiden,
wurde  die Mine  am 25.04.2012  auf Veranlassung des Auftraggebers  vom Fundort zum
Sprengort verbracht (siehe Antwort zu Frage 1).

Der Auftraggeber trägt die Kosten für die Kampfmittelsuche. Ob die Bundesmarine Kosten in
Rechnung gestellt hat, ist nicht bekannt.“

Die Antwort erinnert an die drei Affen: „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“.

Doch selbst, wenn das stimmt und die zuständigen Ministerien nicht informiert waren, bleiben Fragen:

  • Kann sich die Bundesmarine ohne weiteres über geltendes EU-Recht (FFH-Richtline) hinwegsetzen?
  • Wenn ja – auf welcher Grundlage?
  • Wenn nein – wer trägt die Verantwortung für die Sprengung?
  • Wie wird die/der Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen?
  • Wie/mit welchen Mitteln kann ein privates Unternehmen („Auftraggeber“) die Bundesmarine veranlassen, die Mine zu verbringen?
  • Wer trägt bei der Bundesmarine die Verantwortung  für die Verbringung der Mine? Welche Beziehungen bestehen zwischen dieser Person und dem Auftraggeber?

Sehr interessant ist auch die Antwort auf die Frage 10: „Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, damit in Zukunft gesetzliche Regelungen zum Umwelt-, Natur-, Gewässer- und Artenschutz bei der Beseitigung von Kampfmitteln und Kampfmittelresten in der Ostsee beachtet und angewendet werden?“

Bei der Beseitigung von Kampfmitteln hat die Sicherheit von Menschen oberste Priorität. Zur Minimierung der Auswirkungen auf Umwelt  und Natur hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Munition im Meer“ in den letzten Jahren  entsprechende  Untersuchungen durchgeführt. Die Auswertung und Umsetzung der Ergebnisse ist noch nicht abgeschlossen.
Unbeschadet dessen ist in ähnlich gelagerten Fällen ein frühzeitiger Abstimmungsprozess angezeigt und wird zukünftig angestrebt.“

Dass die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, stimmt zwar (sie werden weiter fortgesetzt); es  ist dennoch eine Ausrede, denn der BLANO stellt fest:

Die Sprengung der identifizierten Munition3) fand unter den gleichen Bedingungen wie auch in den Vorjahren statt. Die Arbeit am wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit der Blasenschleiertechnologie zur Dämpfung von Explosionsdruckwellen im Wasser wurde durch Unterwasserschall-Messungen fortgesetzt, die durch die Wehrtechnische Dienststelle 71 durchgeführt wurden. Die erzielten Ergebnisse bestätigten den Trend der Vorjahre in vollem Umfang.

Mit anderen Worten: Die Blasenschleiertechnologie ist erfolgreich. Die Weiterführung der Untersuchungen ist kein Freibrief, die Methode nicht einzusetzen!
Und: Da „etwas anzustreben“ keine Maßnahme ist, bekundet die Landesregierung mit ihrer Antwort, dass sie keine Maßnahmen zur Durchsetzung gesetzlicher Regelungen zum Umwelt-, Natur-, Gewässer- und Artenschutz bei der Beseitigung von Kampfmitteln und Kampfmittelresten in der Ostsee ergreifen will.

 

Wolfgang Borchardt
14.2.2013

 


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2) Munitionsbergungsdienst Mecklenburg-Vorpommern
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3) im Versenkungsgebiet Kolberger Heide
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