Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Jan van Aken, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, Katja Kipping, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Maßnahmen zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung

Die Anwendung von Antibiotika zur Behandlung von bakteriellen infektiösen Erkrankungen in einem Nutztierbestand ist notwendig und auch tierschutzkonform, wenn Infektionskrankheiten bei Tieren im Bestand diagnostiziert wurden. Immer wieder steht jedoch die unverhältnismäßige oder gar missbräuchliche Anwendung von Antibiotika auch in der Tierhaltung in der Kritik. Zu Recht erwarten Verbraucherinnen und Verbraucher einen sorgsamen Umgang nicht nur mit Antibiotika, sondern auch mit allen anderen Tierarzneimitteln.

Untersuchungen aus dem Jahr 2011 legen nahe, dass Antibiotika zu oft regelwidrig zur Verhütung von Infektionen, zur ungezielten Steigerung der Tiergesundheit oder auf Verdacht verabreicht werden. Besonders dort, wo es an Hygiene oder fachgerechter Betreuung mangelt, steigt das Risiko von Infektionskrankheiten. Durch die Haltung vieler Tiere auf engem Raum ergeben sich mehr Kontaktmöglichkeiten. Dadurch steigt das Risiko schwerwiegender Bestandserkrankungen und damit die Anforderungen an ein tierwohl-orientiertes Bestandsmanagement. Statt Haltungs- und Betreuungsmängel zu beseitigen, wird zu oft versucht, mit umfangreichen Antibiotika-Anwendungen die Bestandsgesundheit zu erhalten. Diese Praxis im rechtlichen Graubereich scheint in einigen Ställen gängige Praxis zu sein.

Wir fragen die Bundesregierung:

  1. Wann wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes im veterinärmedizinischen Bereich in den Deutschen Bundestag einbringen?
  2. Welche Studien sind der Bundesregierung bekannt, die eine unterschiedlich hohe Infektionsrate bei unterschiedlichen Tierhaltungssystemen aufzeigen, und welches sind die Ergebnisse?
  3. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass durch eine tierschutzkonforme Tierhaltung das Infektionsrisiko gesenkt werden kann?
    Falls ja, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung diesbezüglich in die Wege leiten?
  4. Welche Hinweise sind der Bundesregierung bekannt, die die Tierhaltung als Quelle von Antibiotikaresistenzen nahelegen?
    Welche Bedeutung hat dies insbesondere auf multiresistente Keime?
    Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung daraus?
  5. Welche Sonderregelungen gibt es für die Geflügelhaltung, und wie begründet die Bundesregierung diese?
    Welche Infektionsraten in der Geflügelhaltung im Vergleich zu Infektionsraten bei der Haltung anderer Tierarten sind der Bundesregierung bekannt,und welche Zusammenhänge sieht sie zu den genannten Sonderregelungen?
  6. Welche konkreten Bestandteile der Leitlinien zur Verabreichung von Antibiotika, die über das in der Bundestagsdrucksache 17/8338 in der Antwort zu Frage 15 genannte Beispiel hinausgehen, wird die Bundesregierung rechtsverbindlich festschreiben?
  7. Wie wird die Bundesregierung die Integration der veterinärmediznischen Bestandsbetreuung in den Produktionsprozess der Nutztierhaltung gesetzlich verankern?
  8. Welche wissenschaftlichen Projekte befassen sich nach Kenntnis der Bundesregierung mit der Identifizierung von häufig bzw. latent in Nutztierbeständen auftretenden Krankheiten und sich daraus ableitenden Empfehlungen zum Hygiene- und Haltungsmanagement bzw. zu Behandlungskonzepten?
  9. Sind weitere Projekte mit dieser Zielrichtung geplant (bitte beschreiben), und wie werden diese finanziert?
  10. Plant die Bundesregierung (analog zur Humanarzneimittelpreisverordnung) für Tierarzneimittel, insbesondere Antibiotika, eine Änderung der bisherigen Höchstpreis- in eine Mindestpreis-Verordnung (bitte begründen)?
  11. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Bestrebungen, auf EU-Ebene das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Tierarzneimittel zu lockern oder abzuschaffen, und welche Position vertritt sie dazu in Brüssel?
  12. Welche Aussichten haben nach Kenntnis der Bundesregierung Bestrebungen nach einer einheitlichen Verschreibungspflicht für Tierarzneimittel, und welche Position vertritt sie dazu in Brüssel?
  13. Wann und wie wird die Bundesregierung Forderungen nach einer gesetzlichen Verankerung gezielter Organentnahmen unter definierten Bedingungen zur besseren Diagnostik umsetzen?
  14. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Verbesserung der Überwachung und der sicheren Entsorgung von Restmengen von Tierarzneimitteln in landwirtschaftlichen Betrieben und tierärztlichen Praxen?
  15. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Unterbindung des illegalen grenzüberschreitenden Tierarzneimittelverkehrs und der effektiven Überwachung des Internethandels?
  16. Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für notwendig und geeignet, um das Studium und die postgraduale Ausbildung von Tierärztinnen und Tierärzten hinsichtlich pharmakologischer und arzneimittelrechtlicher Kenntnisse zu qualifizieren, und wie und in welchem Zeitraum wird sie diese Maßnahmen umsetzen?
  17. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung dem Wissenschaftsgebiet Epidemiologie unter den aktuellen Bedingungen globalisierter Handels- und Personenströme zu?
  18. Welche finanziellen und personellen Mittel stellt der Bund für welche epidemiologischen Forschungsprojekte bereit?
  19. Hält die Bundesregierung gesetzlich verankerte und überwachte Qualitätssicherungsmaßnahmen in den tierärztlichen Praxen für notwendig, und welche Regelungen sollten zur guten Veterinärmedizinischen Praxis gehören?
  20. Muss nach Ansicht der Bundesregierung das Dispensierrecht für Tierarzneimittel geändert werden und wenn ja, wie?
    Wenn nein, warum nicht?
  21. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Belastung von Gewässern durch Rückstände von Tierarzneimitteln? Wie kann der Eintrag solcher Stoffe in die Umwelt weitgehend verhindert werden, und was sind die häufigsten Ursachen solcher Einträge?
  22. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Antibiotikaeinsatz bei Fischen, insbesondere in Aquakulturen, und davon ausgehende Umweltbeeinträchtigungen und Gesundheitsrisiken für Verbraucherinnen und Verbraucher?
  23. Welche Antibiotika werden sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin eingesetzt, und welche dieser Antibiotika hält die Bundesregierung in der Anwendung bei welchen Tierhaltungsformen für unersetzlich?
  24. Welche Behandlungsnotstände wären bei strikter Trennung von human- und veterinärmedizinisch verwendeten Wirkstoffen in der Tierhaltung zu erwarten?
  25. Welche Untersuchungen sind der Bundesregierung zur sachgerechten Anwendung antibiotischer Wirkstoffe in der Heim- und Haustierhaltung sowie im Gartenbau bekannt?
  26. Wie bewertet die Bundesregierung die Gabe des Spurenelementes Zink als Futtermittelzusatzstoff in der Tiermast, und welche Erfahrungen aus Dänemark oder anderen EU-Mitglieds- oder Drittstaaten sind ihr in diesem Zusammenhang bekannt?
  27. Welche Studien sind der Bundesregierung zur Wirkung des Spurenelementes Zink als Futtermittelzusatzstoff bekannt, und welche Rückschlüsse zieht sie aus diesen wissenschaftlichen Ergebnissen?
  28. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten bei der Bekämpfung von Faktorenkrankheiten in Beständen intensiver Tierproduktion auf den Einsatz von Antibiotika zu verzichten und Alternativen wie z. B. den Einsatz von Senfölen als Futterzusatz zu fördern (bitte begründen)?
  29.  Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss des Bundesrates vom 10. Februar 2012 (TOP 75) hinsichtlich
    a) einer Neudefinition von Tierhaltung mit europaweit klaren und umfassenden Standards einer tiergerechten Haltung;
    b) der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Errichtung von nationalen Datenbanken, in denen die Antibiotikaabgabe und -anwendung vom Hersteller, Handel über den Tierarzt bis hin zum Landwirt lückenlos und umfassend dokumentiert wird;
    c) der Festlegung von Antibiotika, deren Anwendung allein der Humanmedizin vorbehalten bleiben soll (Reserveantibiotika) und für die eine Anwendung am Tier im Regelfall ausgeschlossen ist?
  30.   Gibt es aus Sicht der Bundesregierung einen generellen Zusammenhang der Bestandsgröße bzw. Bestandsdichte in der Tierhaltung und der Einsatzhäufigkeit von Antibiotika (bitte begründen)?
  31.   Kann der Antibiotikaeinsatz in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung nach Ansicht der Bundesregierung als ein Indikator tiergerechter Haltungsverfahren entwickelt werden (bitte begründen)?
  32.   Wann wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Baugesetzbuches – speziell für Bauten im Außenbereich – in den Deutschen Bundestag einbringen?

Berlin, den 27. Februar 2012
Dr. Gregor Gysi und Fraktion