Das Cochabamba Protokoll

Heute ist der 21.7.2013.  In genau zwei Monaten findet die Bundestagswahl statt.

In der Öffentlichkeit spielen ökologische Fragen immer noch eine zu geringe Rolle. Im Zentrum stehen soziale Probleme und die deutsche Nabelschau. Beim Klimaschutz geht es jedoch um weit mehr.

Aus diesem Anlass erinnern wir hier an die globale Dimension der Probleme mit einem zeitgeschichtlichen Dokument von herausragender Bedeutung, der

Erklärung der Weltkonferenz über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde
22. April 2010 Cochabamba, Bolivia
Abkommen der Völker

Cochabamba.jpg

Heute ist unsere Mutter Erde verletzt und die Zukunft der Menschheit in Gefahr.

„Sollte die globale Erwärmung auf mehr als 2°C steigen, wohin uns die so genannte „Kopenhagener Vereinbarung“ führen wird, gibt es eine 50 %ige Wahrscheinlichkeit, dass die unserer Mutter Erde zugefügten Verletzungen vollständig unumkehrbar werden.

Zwischen 10 und 30 % der Arten sind vom Verschwinden bedroht. Große Waldflächen werden betroffen sein, Dürren und Überschwemmungen werden verschiedene Gebiete des Planeten beeinträchtigen, die Wüsten werden sich ausbreiten und das Abschmelzen der Polkappen und der Gletscher in den Anden und im Himalaya wird sich verstärken. Viele Inselstaaten werden verschwinden und Afrika wird einen Temperaturanstieg von mehr als 3 °C erleiden. Damit wird sich die Erzeugung von Lebensmitteln auf der Welt mit katastrophalen Auswirkungen für das Überleben der Bewohner weiter Regionen des Planeten verringern und die Zahl der Hungernden in der Welt, die bereits 1,02 Millionen Menschen übersteigt, dramatisch zunehmen.

Die Konzerne und Regierungen der sogenannten „entwickelten“ Länder haben uns in Komplizenschaft mit einem Teil der wissenschaftlichen Gemeinsachaft dazu gebracht, den Klimawandel als Problem zu diskutieren, das sich auf den Temperaturanstieg beschränkt, ohne die Ursache, das kapitalistische System zu hinterfragen.

Wir stehen vor einer Endzeitkrise des Zivilisations-Modells, das auf Patriarchat und auf einer sich seit der Industriellen Revolution beschleunigenden Unterwerfung und Zerstörung der Menschen und der Natur beruht.

Das kapitalistische System hat uns eine Logik der Konkurrenz, des Fortschritts und grenzenloses Wachstum auferlegt. Dieses Regime der Produktion und des Verbrauchs strebt nach grenzenlosem Gewinn, Trennung des Menschen von der Natur, gebietet Überlegenheit über die Natur, verwandelt alles in Waren: Wasser, Erde, menschliches Erbgut, Kultur der Vorfahren, Artenvielfalt, Justiz, Ethik, Rechte der Völker und das Leben selbst.

Im Kapitalismus werden die Mutter Erde in eine Rohstoffquelle und Menschen zu Konsumenten und in Produktionsmittel verwandelt, in Menschen, die nur das wert sind, was sie besitzen, und nicht, was sie sind.

Der Kapitalismus erfordert eine leistungsfähige Rüstungsindustrie für seine Akkumulationsprozesse und die Kontrolle von Territorien, Naturressourcen und die Unterdrückung des Widerstandes der Völker. Es ist ein imperialistisches System der Kolonisierung des Planeten.

Die Menschheit steht vor einer großen Entscheidung: den Weg des Kapitalismus, von Plünderung und Tod fortzusetzen oder den Weg der Harmonie mit der Natur und den Respekt für das Leben zu wählen.

Es ist zwingend notwendig, dass wir ein neues System formen, das die Harmonie mit der Natur und unter den Menschen wieder herstellt. Und um im Gleichgewicht mit der Natur zu sein, muss zuerst Gerechtigkeit unter den Menschen herrschen. Wir schlagen den Völkern der Welt die Wiederherstellung, Wiederaufwertung und Stärkung der Kenntnisse, des Verstands und der überlieferten Praktiken der indigenen Völker vor, die auf dem Gedanken und den Methoden des „Guten Lebens“ beruhen, die Mutter Erde als ein Wesen anerkennen, mit dem wir eine unteilbare, voneinander abhängige, sich ergänzende und geistige Beziehung haben. Um den Klimaveränderungen zu begegnen, müssen wir Mutter Erde als die Quelle des Lebens anerkennen und ein neues System schmieden, das auf die Grundsätze gestützt ist:

  • Harmonie und Gleichgewicht unter allen und mit allen Dingen;
  • Komplementarität, Solidarität und Gleichheit;
  • Kollektives Wohlbefinden und Zufriedenheit der Grundbedürfnisse aller;
  • Menschen in Harmonie mit der Natur;
  • Anerkennung der Menschen für das, was sie sind, und nicht, was sie besitzen;
  • Beseitigung aller Formen von Kolonialismus, Imperialismus und Interventionismus;
  • Frieden unter den Völkern und mit der Mutter Erde;

Das Modell, das wir vorschlagen, ist nicht das einer destruktiven und unbegrenzten Entwicklung.  Die Länder sind darauf angewiesen, Güter und Dienstleistungen zu erzeugen, um die grundlegenden Bedürfnisse ihrer Bevölkerung zu befriedigen, aber sie dürfen auf keinen Fall weiter den Entwicklungsweg verfolgen, bei dem die reichsten Länder einen fünfmal größeren ökologischen Fußabdruck verursachen als unser Planet zu verkraften vermag. Derzeit ist dieser bereits auf mehr als 30 % der Regenierungsfähigkeit des Planeten angewachsen. Bei diesem Rhythmus der übermäßigen Ausbeutung unserer Mutter Erde würden für 2030 zwei Planeten benötigt.

In einem interdependenten System, in dem wir Menschen einer der Bestandteile sind, kann man nicht allein dem menschlichen Teil Rechte zugestehen, ohne dem Gesamtsystem Schaden zuzufügen. Um die Menschenrechte zu gewährleisten und die Harmonie mit der Natur wieder herzustellen, müssen die Rechte von Mutter Erde anerkannt und wirkungsvoll durchgesetzt werden.

Wir schlagen dazu das an der Universalen Erklärung der Rechte von Mutter Erde angefügte Projekt vor, in dem gefordert wird:

  • Recht auf Leben und auf Existenz;
  • Recht darauf, geachtet zu werden;
  • Recht auf Fortsetzung ihrer Zyklen und Lebensprozesse frei von menschlicher Beeinträchtigung;
  • Recht auf Wahrung ihrer Identität und Integrität als unterschiedliche, sich selbst steuernde und mit einander in Beziehung stehende Wesen;
  • Recht auf Wasser als Quelle des Lebens;
  • Recht auf saubere Luft;
  • Recht auf umfassende Gesundheit;
  • Recht auf Freiheit von Verseuchung und Verschmutzung durch toxische und radioaktive Abfälle;
  • Recht darauf, nicht genetisch beeinträchtigt oder in ihrer Struktur verändert zu werden, was ihre Integrität oder Lebens- und Gesundheitsfunktionen bedroht;
  • Recht auf rasche und vollständige Rückgängigmachungen der in dieser Erklärung anerkannten Verletzungen von Rechten durch menschliche Aktivitäten.

Die gemeinsame Vision besteht darin, die Konzentrationen von Treibhausgasen zu stabilisieren, um Artikel 2 des Rahmenabkommens der Vereinten Nationen über den Klimawandel zur Geltung zu bringen, in dem es heißt: „die Stabilisierung der Konzentrationen von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf einem Niveau, das für das Klimasystem gefährliche antropogene Interferenzen ausschließt“. Unsere Vision besteht darin, auf der Grundlage des Prinzips der gemeinsamen, aber differenzierten historischen Verantwortung zu fordern, dass sich die entwickelten Länder zu messbaren Zielen bei der Verringerung der Emissionen verpflichten, die eine Reduzierung der Konzentrationen von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf 300 ppm ermöglicht und damit den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal 1 °C beschränkt.

Das Bedürfnis nach dringendem Handlungsbedarf betonend, um diese Vision mit der Unterstützung von Völkern, Bewegungen und Ländern zu erreichen, sollten sich die entwickelten Länder zu ehrgeizigen Zielen verpflichten, um die Emissionen zu reduzieren, die das Erreichen der Kurzzeitziele erlauben, ohne unsere Vision für das Gleichgewicht im Klimasystem der Erde in Übereinstimmung mit dem Endziel aus den Augen zu verlieren.
[…]
Wir weisen die Welt darauf hin, dass die Emissionen der entwickelten Staaten ungeachtet ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Verringerung zwischen 1990 und 2007 um 11,2 % stiegen. Aufgrund des unbegrenzten Verbrauchs erhöhten die USA ihre Treibhausgas-Emissionen im Zeitraum von 1990 bis 2007 um 16,8 % und stießen im Durchschnitt zwischen 20 und 30 Tonnen CO2 pro Jahr und Einwohner aus, was das Neunfache der entsprechenden Emissionen eines Durchschnittsbewohners der Dritten Welt ausmacht und mehr als das Zwanzigfache eines Bewohners des subsaharischen Afrikas.

Wir weisen die unrechtmäßige “Verständigung von Kopenhagen” absolut zurück. Sie erlaubt diesen entwickelten Ländern das Angebot unzureichender Verringerungen von Treibhausgasen auf der Grundlage freiwilliger und individueller Kompromisse, die die Umweltintegrität von Mutter Erde verletzen und uns zu einem Temperaturanstieg von mehr als 4 ºC führen.
Die nächste Konferenz über den Klimawandel Ende des Jahren in Mexiko muss den Zusatz zum Kyoto-Protokoll bestätigen, für den zweiten Zeitraum von Verpflichtungen für 2013 bis 2017, in dem die entwickelten Staaten sich zu beträchtlichen verbindlichen Verringerungen ihrer eigenen Emissionen um mindestens 50 % in Bezug auf 1990 zu verpflichten haben, ohne Einbeziehung von Kohlenstoff-Märkten oder andere Ablenkungssysteme, die die Nichteinhaltung der realen Verringerung der Treibhausgasemissionen nur verschleiern sollen.
[…]
Die enorme Herausforderung, vor der wir als Menschheit bei der Begrenzung der globalen Erwärmung und der Abkühlung des Planeten stehen, kann nur bewältigt werden, wenn wir eine tiefgründige Umgestaltung der Landwirtschaft, hin zu einem Modell nachhaltiger, bäuerlicher und indigener/ursprünglicher Wirtschaft und anderer jahrhundertealter ökologischer Praktiken und Modelle, die dazu beitragen, das Problem des Klimawandels zu lösen und Lebensmittelsouveränität gewährleisten. Diese ist zu verstehen als das Recht der Völker auf Kontrolle ihres eigenen Saatguts, ihrer Böden, ihres Wassers und der Erzeugung von Lebensmitteln zur Gewährleistung einer Produktion im Einklang mit Mutter Erde, örtlich und kulturell angemessen, Zugang der Völker zu abwechslungsreichen und nahrhaften Lebensmitteln in ausreichendem Maße, in Ergänzung mit Mutter Erde und verbunden mit einer Stärkung der autonomen Erzeugung (partizipativ, gemeinschaftlich und arbeitsteilig) durch jede einzelne Nation und jedes einzelne Volk. eine jede Nation und jedes einzelne Volk.
[…]
Die UNO-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker ist bei den Klimaverhandlungen umfassend anzuerkennen, durchzusetzen und einzubeziehen. Die beste Strategie und Aktion zur Verhinderung von Abholzungen und Schädigungen und zum Schutz der ursprünglichen Wälder und Regenwälder besteht in der Anerkennung der kollektiven Rechte an Grund und Boden, insbesondere da die meisten Wälder und Urwälder in den Gebieten liegen, in denen indigene Völker und Nationen sowie bäuerliche und traditionelle Gemeinschaften leben.
[…]
Die den Entwicklungsländern derzeit zugedachten Finanzierungen für den Klimawandel und die Verständigung von Kopenhagen sind minimal. Die entwickelten Länder müssen sich zusätzlich zur offiziellen Entwicklungshilfe zu einer neuen jährlichen Finanzierung von mindestens 6 % ihres BIP verpflichten, um dem Klimawandel in den Entwicklungsländern zu begegnen. Das ist machbar, wenn man in Betracht zieht, dass sie eine ähnliche Summe für die nationale Verteidigung aufwenden und das Fünffache dieser Summer für die Rettung von bankrotten Banken und Spekulanten aufbrachten, was ihre weltweiten Prioritäten und ihren politischen Willen unter Beweis stellt. Diese Finanzierung muss direkt sein und darf weder an Bedingungen geknüpft sein, noch die nationale Souveränität und Selbstbestimmung der am meisten betroffenen Gemeinschaften und Gruppen beeinträchtigen.
[…]
Wir rufen die Völker dazu auf, eine tiefgreifende Reform der Organisation der Vereinten Nationen vorzuschlagen und voranzubringen, damit alle ihre Mitgliedstaaten an die Beschlüsse des Internationalen Tribunals für Klima- und Umweltgerechtigkeit erfüllen.
[…]
Der erfolgreiche Durchführung des Welt-Referendums, eines Volksentscheid oder einer Volksbefragung muss durch einen entsprechenden Vorbereitungsprozesses zum Erfolg geführt werden.
Zur Koordinierung unseres internationalen Vorgehens und zur Umsetzung der Ergebnisse der vorliegenden “Übereinkunft der Völker” rufen wir auf zur Schaffung einer Weltbewegung der Völker für Mutter Erde, auf der Grundlage der Prinzipien der Komplementarität und der Achtung der unterschiedlichen Herkunft und Visionen ihrer Mitglieder, durch Schaffung eines breiten, demokratischen Raums der Abstimmung und Artikulierung der Aktionen im weltweiten Rahmen.

Zu diesem Zweck nehmen wir einen Welt-Aktionsplan an, damit die entwickelten Länder des Anhangs I in Mexiko den geltenden rechtlichen Rahmen einhalten, ihren Treibhausgasausstoß um 50 % verringern und die einzelnen Vorschläge dieser Übereinkunft akzeptieren. Schließlich kommen wir überein, die 2. Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte von Mutter Erde 2011 als Teil dieses Prozesses der Schaffung einer Weltbewegung der Völker für Mutter Erde durchzuführen und auf die Ergebnisse der Konferenz über den Klimawandel Ende des Jahres in Cancún/Mexiko zu reagieren.“

vollständig hier lesen (in deutsch nach der englischen und französischen Fassung, etwa in Seitenmitte)