Ein Prozent ist genug

Jørgen Randers (klick), der bereits am Club of Rome-Bericht “Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 als Koautor mitgearbeitet hatte, und der Generalsekretär des Club of Rome Graeme Maxton haben eine neuen Bericht an den Club of Rome gerichtet mit dem Titel: „Ein Prozent ist genug“. Ursprünglich sollte dieser Bericht den Titel bekommen „Ihre Kinder und wie sie vermeiden können, sie umzubringen“. Dieser Titel hätte aber dem Inhalt nicht entsprochen, denn das gegenwärtige kapitalistische System soll nicht ausgehebelt und beseitigt werden, was bei diesem Titel unbedingt notwendig gewesen wäre, sondern Ziel ist nur ein besserer Kapitalismus mit gedämpfter Marktradikalität und Wegen zur Nachhaltigkeit. Es geht den Autoren um eine gerechte Umverteilung von Arbeit, Wohlstand und Einkommen im kapitalistischen System.

Im Zeitraum von 1950 bis 1980 war Wirtschaftswachstum auch für die Arbeiter positiv. Danach entstanden keine neuen Arbeitsplätze mehr, aber es entstand mehr Ungleichheit. Heutzutage profitieren vom geringen Wirtschaftswachstum nicht mehr alle Bürger. Dabei verdoppelte sich das BIP der reichen Länder von 1980 bis 2010. Die Autoren weisen nach, dass seit den 1980er Jahren in den reichen Industrieländern durch Wirtschaftswachstum genau das Gegenteil eingetreten ist, was die neoliberalen Wirtschaftslehrer verkünden: Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, besonders unter Jugendlichen; die Jahresarbeitszeit hat sich verlängert; der Reallohn ist gesunken; die Zahl der in Armut Lebenden hat sich vergrößert; die Kluft zwischen Arm und Reich ist gewachsen. Nur die Reichen haben vom Wirtschaftswachstum profitiert. Das westliche Wirtschafts- und Konsummodell ist kein Zukunftsmodell mehr für die Welt. Ursache dieser Entwicklung ist die vollständige Okkupation des Staatsapparates durch Banken, Shareholder und Unternehmer mit Hilfe ihrer vorzüglichen Lobbyarbeit. Die Autoren kommen zum Schluss, dass das Wirtschaftswachstum vermindert werden muss, um die gegenwärtigen Probleme zu lösen. Verwundern muss, dass bei dieser Analyse für die reichen Industrieländer immer noch 1 % Wachstum vorgeschlagen wird, wo doch ein Schrumpfen der Wirtschaft angebracht und notwendig wäre. Jedes „Weiter so“ der kapitalistischen Wirtschaft bringt die Menschheit voran auf dem Weg in den Abgrund. Seit 30 Jahren funktioniert die marktradikale Doktrin nicht mehr. Aber zu einer Forderung nach Abschaffung des kapitalistischen Systems können sich die Autoren nicht durchringen, weil die Mehrheit der Bürger diesen Weg nicht mitgehen würde, weil sie Angst vor einem Zusammenbruch haben, denn ohne Wachstum würde das System des Kapitalismus zusammenbrechen.

Die Autoren widmen ein Kapitel den gegenwärtigen und zukünftigen Problemen und Bedrohungen, die die Menschheit lösen muss, um zu überleben: Bevölkerungswachstum, Ressourcenende und Rohstoffverknappung, Klimawandel, Umweltverschmutzung, sinkende Artenvielfalt, zunehmende Zahl der Armen, zunehmende Arbeitslosigkeit, Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich sowie Kriege, Terrorismus und Migration. Als Ursache aller dieser Probleme erkennen die Autoren das gegenwärtige Wirtschaftssystem. Der Marktradikalismus sorgt nicht nur für die Umverteilung der Gewinne hin zu den Reichen, sondern er führt auch zu einem egoistischen, gierigen und verschwenderischen Verhalten der Menschen. Die Belastbarkeit des Planeten wird überschritten, was von den Regierungen und den Unternehmern in Kauf genommen wird. Das Tempo auf dem Weg zum Kipppunkt wird immer schneller.

Die Autoren fassen die Herausforderungen der reichen Welt zusammen: Automatisierung und im Gefolge mehr Arbeitslosigkeit, zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, alternde Bevölkerung, erschwerter Zugang zu Rohstoffen, nur noch geringe Produktivitätssteigerungen, Sinken des Wohlstands.
Gegenwärtig wird nichts unternommen, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Weil weder die Herrschenden noch die Beherrschten an den gegenwärtigen Wirtschaftsverhältnissen aus Unkenntnis oder Verantwortungslosigkeit etwas verändern wollen, haben die Autoren 13 Vorschläge gemacht, die zu einer Milderung der Missstände führen können. Das sind Vorschläge, die im System des freien Marktes umgesetzt werden können, um Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Klimawandel zu mildern:

  • Verkürzung der Jahresarbeitszeit und Erhöhung der Urlaubstage, um die Arbeitslosigkeit abzuschaffen;
  • Erhöhung des Renteneintrittsalters, um die Staatsausgaben für die Renten zu senken;
  • Förderung unbezahlter häuslicher Arbeit und Förderung von Frauen, die maximal ein Kind zur Welt bringen;
  • Erhöhung des Arbeitslosengeldes;
  • Erhöhung der Steuern für die Unternehmen und Reichen, um die Gewinne umzuverteilen;
  • Verstärkter Einsatz grüner Konjunkturpakete, finanziert durch gedrucktes Geld, um dem Klimawandel zu begegnen;
  • Besteuerung fossiler Brennstoffe und Verteilung der Erlöse auf alle Bürger;
  • Förderung von Arbeiter*innen, wenn sie umweltfreundliche Berufe ergreifen;
  • Verlagerung von der Einkommensbesteuerung auf die Besteuerung von Emissionen und des Rohstoffverbrauchs, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern;
  • Erhöhung der Erbschaftssteuern;
  • Förderung der Gewerkschaften, um die Einkommen zu erhöhen, die Ausbeutung zu verringern und den Druck auf die Politiker zu erhöhen;
  • Existenzsicherndes Grundeinkommen.

Die Autoren meinen, dass diese Vorschläge richtig sind, „auch wenn das nach extrem linker Gesinnung klingen mag“. Und zwar sind sie deshalb richtig, weil sie einen Übergang von einem „todgeweihten zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem“ ermöglichen. Sonst werden wir in 20 Jahren einen Kollaps des Wirtschaftsystems erleben und „die reichen Menschen verlieren das, was ihnen lieb und teuer ist“. Das Mittel in der „sozial-politischen und ökologischen Schlacht des 21. Jahrhunderts“ kann nur die Demokratie sein. Zurzeit ist „die Demokratie ein Werkzeug der Reichen zur Sicherung ihres Wohlstandes und ihrer Macht“. „Der freie Markt und die Demokratie sind Todfeinde“.

Die Vorschläge der Autoren können eine Grundlage für Koalitionsverhandlungen der LINKEN mit der SPD und den Grünen auf Bundesebene sein, denn viele der Vorschläger sind bekannt, häufig vor Wahlen versprochen und dann nicht gehalten, von NGOs schon seit langem gefordert und entsprechen als Minimalforderung dem linken Parteiprogramm. Voraussetzung für die Umsetzung der Vorschläge ist aber eine globale Ordnungspolitik, damit nicht die Kapitalisten eines Landes Nachteile gegenüber den anderen Ländern haben. Mit dieser Einschränkung ist die vollständige Realisierung der Vorschläge nur in einem Land fraglich, meinen die Autoren.

Götz Brandt

Jørgen Randers, Graeme Maxton: Ein Prozent ist genug. Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen. Oekom- Verlag. 2016. ISBN 978-3-86581-810-2, 22,95 €