fünf Fragen an Prof. Ulrich Brand

Mit einer Konferenz zum sozial-ökologischen Umbau starten DIE LINKE. im Bundestag und die Rosa-Luxemburg-Stiftung in das Jahr 2017.
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In der Zeche Zollverein in Essen wollen wir mit ExpertInnen, AktivistInnen und PolitikerInnen aus Umwelt- und Klimabewegung, aus Wissenschaft und Gewerkschaften diskutieren, wie wir die gesellschaftliche Transformation vorantreiben können.

Im Vorfeld der Konferenz haben wir einigen Teilnehmenden fünf Fragen gestellt und um möglichst prägnante Antworten gebeten – heute:

Prof. Ulrich Brand, Universität Wien, Stellv. Leiter des Instituts für PolitikwissenschaftFoto Prof. Brand

1. Warum ist die ökologische auch immer eine soziale bzw. Gerechtigkeits-Frage?

Zum einen sind die Ursachen ökologischer Probleme und der ökologischen Krise in der Gesellschaft verortet. Es ist ja nicht „die“ Menschheit, die allgemein zu viele Ressourcen verbraucht oder den Klimawandel verursacht, sondern es ist die kapitalistische, fossilistische und industrielle Produktions- und Lebensweise. Damit sind wir bei Macht- und Eigentumsfragen. Wer bestimmt über Investitionen, über neue Produktlinien etc.? Das sind starke Kapitalgruppen zusammen mit der sie stützenden Politik. Natürlich haben auch Beschäftige, Gewerkschaften und KonsumentInnen Handlungsmöglichkeiten, aber die sind ungleich geringer.

Zum anderen sind unterschiedliche Regionen und soziale Gruppen sehr verschieden von negativen ökologischen Auswirkungen betroffen. Im Nord-Süd-Verhältnis wird das als Verletzbarkeit – Vulnerabilität – diskutiert. Die Armen leben in Gebieten, die von Überschwemmungen bedroht sind oder in denen das Wasser stärker verschmutzt ist. Aber auch in den kapitalistischen Zentren hängen geringer sozialer Status und stärkere Betroffenheit von ökologischen Problemen zusammen. An stark befahrenen Straßen oder in der Nähe von Industrieanlagen sind die Mieten erschwinglicher.

Und drittens sind im sozial-ökologischen Umbau die Beschäftigten in den ressourcen- und energieintensiven Betrieben natürlich stärker betroffen. Also darf das nicht auf ihrem Rücken ausgetragen werden.

2. Welche Strukturen müssen sich verändern, dass ökologische Lebensweisen für alle möglich werden?

Ich würde eher von einer solidarischen Lebensweise sprechen, denn es geht ja um eine gerechte, friedliche, demokratische und ökologische Lebensweise. Die bestehende „imperiale“ Lebensweise beruht auf kapitalistischen, patriarchalen, rassistischen und neokolonialen Strukturen, sie ist aber auch tief in den Alltag, die Begehren und Wünsche der Menschen eingeschrieben. Das wird von mächtigen Unternehmen und staatlicher Politik abgesichert.

In einem Buch, das ich mit Markus Wissen zum Thema imperiale Lebensweise geschrieben habe und im März 2017 erscheint, argumentieren wir, dass es um Mehreres geht: Erstens herrschende Entwicklungen, die die imperiale Lebensweise absichern, zurückdrängen – wie etwa Freihandel, die Macht transnationaler Konzerne, die militärische Absicherung von Ressourcenausbeutung, die Ausweisung immer größerer Autos oder die Kultur des „Geiz ist geil“. Zweitens sollten die Alternativen politisch gestärkt werden: öffentlicher Verkehr, Öko-Landwirtschaft, fairer Handel, der Kampf um gute Arbeitsbedingungen.

Drittens geht es darum, die enge Orientierung an Wachstum, marktförmiger Produktion und Erwerbsarbeit zu überdenken. Wir haben so viele andere Tätigkeiten, die Wohlstand schaffen, aber nicht über Erwerbsarbeit geleistet werden und die nicht zum Wachstum beitragen.

3. Was sind die „harten Brocken“ für die linke Politik, denen sie sich stellen muss?

Natürlich benötigen wir starke Gewerkschaften und gute Arbeit. Doch linke Politik ist immer noch sehr auf die Erwerbsarbeit und hier insbesondere auf die mehrheitlich männlichen Kernbelegschaften in den traditionell starken Industrien konzentriert. Und die Linke ist bislang eher eine Umverteilungs- und keine Transformationslinke, sie fragt zu wenig nach der Art und Weise der Produktion.

Der zweite „harte Brocken“ liegt in der internationalen Orientierung. Friedenspolitik ist zentral, doch sie muss ergänzt werden um politische Vorschläge, wie hierzulande und weltweit die imperiale Lebensweise, die sich ja auch in den Schwellenländern rasch ausbreitet, verändert werden kann.

4. Erwerb/Muße/Sorgearbeit: Welchen Mix brauchen wir, um die Gesellschaft nachhaltig umzugestalten?

Genau den richtigen Mix gibt es nicht, sondern es geht zunächst um die Anerkennung von Muße und Tätigkeiten, die Wohlstand und Lebensqualität stiften, wie eben die Sorgearbeit. Wie der Mix von professioneller Sorgearbeit und familiärer oder ehrenamtlicher aussieht, muss man konkret sehen. Die gesellschaftspolitische Gestaltungsaufgabe liegt darin, dass Erwerbsarbeit gute Arbeit ist, dass es Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung gibt im Sinne von „kurzer Vollzeit“, dass Menschen andere Tätigkeiten ausüben können, wenn ihnen das sinnvoll scheint, dass sie aber in Notlagen – zum Beispiel wenn die Eltern krank werden – nicht aus materiellen Gründen dazu gezwungen werden. Zudem sollte die Politik noch stärker progressive Experimente unterstützen, die aus der Gesellschaft kommen: Kollektives Wohnen und Erziehen, Alters-WGs und anderes.

5. Was machen Sie schon oder haben sich vorgenommen, um Ihren eigenen ökologischen Fußabdruck zu verkleinern?

Ich würde die Frage weiter fassen. Mit meiner wissenschaftlichen Arbeit in Forschung und Lehre und meinem politischen Engagement möchte ich zu einer gerechteren Welt beitragen, in der das Leben für viele Menschen besser ist und die ökologischen Fußabdrücke insgesamt kleiner werden. Doch dazu muss man eben auch ab und an transkontinental fliegen und benötigt alle paar Jahre ein neues Notebook.

Was ich versuche: Maximal zwei transkontinentale Flüge im Jahr, obwohl sich aufgrund von Forschungen und Vorträgen eigentlich viel mehr ergeben. Dazu: wenig und wenn möglich nachhaltig produziertes Fleisch, kein Auto, möglichst viele Reisen mit dem Zug. Ich habe kein Handy. Für mich ist das durchaus eine Freiheit vom permanenten Kommunikations- und Informationszwang, den ich schon per Mail habe. Über die Jahre wurde das auch zu einem Experiment mit mir und meiner Handy-nutzenden Mitwelt. Ich möchte im Hinblick auf diese Kommunikationsform der Unwissende bleiben und finde das witzig, teile aber nicht die kulturpessimistischen Einschätzungen gegenüber neuen Kommunikationsformen.