Was hat der Klimawandel mit den Menschenrechten zu tun?

Auf diese Frage gibt das DIMR – das Deutsche Institut für Menschenrechte1 eine Antwort mit der Studie

„Menschenrechtliche Folgen des Klimawandels in Deutschland2“:

Bereits 2010 erkannten die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) an, dass der Klimawandel einen direkten wie auch indirekten Einfluss auf die Wahrnehmung der Menschenrechte hat. Auch der Sonderbericht (2018) des aus Fachexpert_innen bestehenden Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hob 2018 erstmalig die menschenrechtlichen Auswirkungen des Klimawandels hervor.

Ansteigende Temperaturen und vermehrte Hitzetage, Dürren und Stürme sind einige der Auswirkungen des Klimawandels, die auch Deutschland bereits treffen. Diese klimatischen Veränderungen beeinträchtigen eine Vielzahl menschlicher Lebensbereiche sowie die Verwirklichung von Menschenrechten. Infolgedessen kann unter anderem das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung und Unterbringung (UN-Sozialpakt, Art. 11), das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit (UN-Sozialpakt, Art. 12), das Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitäranlagen (UN-Resolution 64/292, Ziff. 1) beeinträchtigt werden. In extremen Fällen ist sogar das Recht auf Leben (UN-Zivilpakt, Art. 6) gefährdet. Im Folgenden werden diese Risiken am Beispiel der menschlichen Gesundheit verdeutlicht….

staatliche Verantwortung …

Bereits 2020 hat das DIMR ein 56-seitiges Handbuch mit dem Titel „Climate Change and Human Rights3 veröffentlicht, in dem das Thema global betrachtet wurde. Darin wird gezeigt, dass die Verantwortung für die Umsetzung des Klimaschutzes bei den einzelnen Staaten liegt:

On the promotive side, new legal theories have been pursued and additional courts engaged in the past year alone. Cases challenging government action or inaction as insufficient to address climate change or seeking to hold private actors accountable have now been filed in at least 28 countries. Though not central to most cases, human rights arguments are increasingly cited by advocates, with the main database tracking this counting 33 non-U.S. cases making human rights arguments up to May 2020. A number of landmark rulings on the merits (refer to the examples below) have found that meeting its human rights obligations requires each state to do its part — defined with reference to nationally established targets or international consensus in the various cases — to mitigate climate change. The use of human rights arguments in climate litigation is therefore likely to continue to grow. Even cases that have not obtained a positive ruling on the merits have influenced policymaking and corporate behaviour.4

Insofern ist die neue Publikation (August 2021) die logische Fortsetzung des 2020er Handbuches, indem sie die Situation in Deutschland untersucht.

Allerdings hinterlässt sie einen ambivalenten Eindruck, der anscheinend – trotz der Formulierung „nur den Menschenrechten verpflichtet und politisch unabhängig“ in der Selbstdarstellung5 – das Prinzip achtet: „Man soll nicht die Hand beißen, die einen füttert.“6

Von einem wirklich unabhängigen Institut darf nicht nur eine Darstellung der Situation in Deutschland erwartet werden, sondern auch eine deutlichere Bewertung als

Damit Deutschland seiner menschenrechtlichen Schutzpflicht angemessen und besser nach­kommt, muss es mehr und adäquate Präventions- und Minderungsmaßnahmen gegen den Klima­wandel ergreifen.

… in Deutschland nicht wahrgenommen

Fast zeitgleich mit der DIMR-Publikation hat Agora Energiewende eine Studie zur aktuellen Klimabilanz Deutschlands veröffentlicht7. Darin wird gezeigt, dass die Bundesrepublik mit dem voraussichtlichen Anstieg von Deutschlands Treibhausgasemissionen 2021 um rund 47 Millionen Tonnen CO2 gegenüber dem Vorjahr vor dem größten Anstieg von Treibhausgasemissionen seit 1990 steht – dem Referenzjahr, an dem internationale Klimabemühungen gemessen werden.

„Das übertrifft selbst den Anstieg nach der Wirtschaftskrise 2009/2010“,

sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. 2010 waren Deutschlands Treibhausgasemissionen um rund 33 Millionen Tonnen CO2 gestiegen.

„Deutschland fällt 2021 sogar hinter sein 2020er Klimaziel zurück, denn wir liegen nur noch 37 Prozent unter dem Niveau von 1990. Das zeigt: Der vermeintliche Erfolg von 40 Prozent Emissionsminderung im letzten Jahr war kein wirksamer Klimaschutz, sondern eine Eintagsfliege, bedingt durch Corona und Sondereffekte. 2021 stehen wir damit wieder an der Startlinie. Daher braucht es jetzt das größte Klimaschutz-Sofortprogramm, das es in der Bundesrepublik je gegeben hat.“

IPCC-Sachstandsbericht

künstlerische Darstellung der Erderhitzung
„Während wir miterleben, wie sich unser Planet um uns herum verändert, beobachten wir, hören, messen … reagieren.“ – 2021 Alisa Sängerin; www.environmentalgraphiti.org

Dies angesichts des kurz zuvor veröffentlichten ersten Teils des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC (AR6 WG1), in dem die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch einen „drängenden Appell zu schnellem und entschiedenem Handeln“ sieht.

„Der Bericht zeigt so umfassend und klar wie nie zuvor, dass sich das Fenster zum Einhalten des 1,5-Grad-Limits schnell schließt“,

kommentiert Rixa Schwarz, Leiterin des Teams Internationale Klimapolitik bei Germanwatch, den Bericht.

„Die Instrumente, um das 1,5 Grad-Limit noch einzuhalten, sind verfügbar. Wenn jedoch die globalen Emissionen nicht in den nächsten Jahren zügig und nachhaltig sinken, werden wir das Limit reißen. Es muss gelingen, die globalen Emissionen in den kommenden zehn Jahren nahezu um die Hälfte zu reduzieren.“8

Diese Mahnungen sind nicht neu9, doch angesichts der Verweigerungsgeschichte der bisherigen Bundesregierungen besteht die reale Gefahr, dass sie auch jetzt ignoriert werden.

Zurück zum Ausgangspunkt

Das Fazit der DIMR-Publikation müsste lauten:

Alle bisheringen Präventions- und Minderungsmaßnahmen gegen den Klima­wandel in Deutschland sind ungenügend und verstoßen gegen die Menschenrechte.

Wolfgang Borchardt
21.8.2021


  1. Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands. Es ist gemäß den Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen akkreditiert (A-Status). Zu den Aufgaben des Instituts gehören Politikberatung, Menschenrechtsbildung, Information und Dokumentation, anwendungsorientierte Forschung zu menschenrechtlichen Themen sowie die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. Es wird vom Deutschen Bundestag finanziert. Das Institut ist zudem mit dem Monitoring der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention betraut worden und hat hierfür entsprechende Monitoring-Stellen eingerichtet. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/ 

  2. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Information/Information_Menschenrechtliche_Folgen_des_Klimawandels_in_Deutschland.pdf oder Download: Information_Menschenrechtliche_Folgen_des_Klimawandels_in_Deutschland 

  3. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/climate-change-and-human-rights 

  4. maschinelle Übersetzung:
    „Auf der werbenden Seite wurden allein im vergangenen Jahr neue Rechtstheorien verfolgt und zusätzliche Gerichte engagiert. In mindestens 28 Ländern wurden Fälle eingereicht, in denen staatliche Maßnahmen oder Untätigkeiten als unzureichend angesehen werden, um den Klimawandel zu bekämpfen oder private Akteure zur Rechenschaft zu ziehen. Obwohl in den meisten Fällen nicht von zentraler Bedeutung, werden Menschenrechtsargumente zunehmend von Befürwortern zitiert, wobei die Hauptdatenbank diese Zählung 33 Nicht-US-Amerikaner verfolgt. Fälle, die bis Mai 2020 Menschenrechtsargumente vorbringen. Eine Reihe von wegweisenden Urteilen über die Verdienste (siehe Beispiele unten) haben festgestellt, dass die Erfüllung seiner Menschenrechtspflichten verlangt, dass jeder Staat seinen Teil – definiert in Bezug auf national festgelegte Ziele oder internationalen Konsens in den verschiedenen Fällen – zur Eindämmung des Klimawandels beitragen muss. Der Einsatz von Menschenrechtsargumenten in Klimakampagnen dürfte daher weiter wachsen. Selbst Fälle, die kein positives Urteil über die Verdienste erhalten haben, haben die Politik und das unternehmerische Verhalten beeinflusst.“ 

  5. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut 

  6. Laut Jahresbericht 2019 bestanden die Einnahmen aus 4.741.048€ von Bund und Ländern und 1.271.862€ „vermischten Einnahmen“. 

  7. Abschätzung der Klimabilanz Deutschlands für das Jahr 2021https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/abschaetzung-der-klimabilanz-deutschlands-fuer-das-jahr-2021/ 

  8. https://www.germanwatch.org/de/20564 

  9. siehe https://www.oekologische-plattform.de/?s=zeitfenster