Erklärung zum Abstimmungsverhalten

zur Änderung des Thüringer Feier- und Gedenktagsgesetz

Dr. Johanna Scheringer-Wright, 20.04.2016

Die Entscheidung gegen dieses Gesetz zu stimmen, habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich weiß, dass auch in der DDR Unrecht geschehen ist und dieses verurteile ich.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Unrecht nie unwidersprochen bleiben darf. Daher muss auch in der DDR geschehenes Unrecht – verursacht durch die SED oder durch wen auch immer – aufgearbeitet werden. Das gilt umso mehr, wenn Tote zu beklagen sind. Jeder Mensch, der gewaltsam zu Tode gebracht wird, ist einer zu viel. Aufarbeitung ist also notwendig, die Frage ist, wie dies geschieht.

Im heute beschlossenen zweiten Gesetz zur Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes wird der 17. Juni 1953 in eine Reihe mit dem 8. Mai 1945 gestellt. Das bedient Geschichtsklitterung. Der 8. Mai 1945 ist der Tag der Befreiung vom Faschismus, der Tag, an dem der grauenhafte II. Weltkrieg mit mehr als 50 Millionen Toten sein Ende in Europa fand, der Tag, an dem der Völkermord an 6 Millionen europäischer Juden beendet wurde. Dieser Tag ist etwas historisch Einmaliges. Und es ist illegitim, die Befreiung vom Holocaust – der industriellen Massenvernichtung von Menschen – mit anderen historischen Ereignissen in eine Reihe zu stellen.

Es wird immer üblicher, man sieht das an der AfD und auch an der CDU, von erster (nämlich Faschismus) und zweiter (nämlich DDR) Diktatur zu sprechen. Das hebt das faschistische Deutschland und die DDR auf eine Stufe und das wiederum ist massive Geschichtsverfälschung.

Vor diesem Hintergrund befürchte ich gerade mit Blick auf den wachsenden Rechtspopulismus eine Verniedlichung der Diktatur der Nationalsozialisten.

Noch einmal zurück zum 17. Juni 1953: Dieser Tag kann nicht bewertet werden, ohne den Kontext des kalten Krieges. Zum Beispiel wurde – nach der Ablehnung der Stalin-Note 1952 durch die von Adenauer geführte Bundesregierung und die West-Alliierten – die Remilitarisierung der BRD und deren Einbindung in die NATO vorangetrieben. Das vertiefte die Spaltung Deutschlands.

Gegen diese Vertiefung der Spaltung regte sich massiver Widerstand auch im Westen, so zum Beispiel am 11. Mai 1952 in Essen. Trotz Demonstrations-Verbots wollten sich mehr als 30.000 Jugendliche nicht vertreiben lassen. Die Demonstration wurde gewaltsam aufgelöst, der FDJ-ler Philipp Müller wurde erschossen und eine ganze Reihe von Jugendlichen wurde verhaftet. Meine Mutter z.B. kam als Siebzehnjährige (!) 7 Monate in Einzelhaft. Bis heute ist sie nicht rehabilitiert. Solche Zusammenhänge und Wechselwirkungen fließen in die offizielle Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichte nicht ein. Auch nicht bei dem Gedenken an den 17. Juni.

Eigentlich müsste es bei diesem Tag um einen Tag für Widerstand und für die Aufforderung zur Widerständigkeit gehen.