Eigenlob

„Eichenlaub stinkt“

… sagt ein altes deutsches Sprichwort. Doch das stört das Wirtschaftsministerium offenbar nicht.

In seinem Newsletter verkündet es „Emissionshandel mit Erfolgsbilanz1 und an anderer Stelle2

„Der Europäische Emissionshandel gilt als besonders zielsicher, wenn es darum geht, Emissionen auf lange Sicht zu reduzieren. […] Schädliche Treibhausgasemissionen sollen sinken, um das Klima zu schützen – zu möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten. […] So bekommt jede Tonne eingespartes CO2 (kurz auch 1 EUA genannt) einen direkten Geldwert, der durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Jedes Jahr Ende April müssen die Anlagenbetreiber Bilanz ziehen. Stimmt die Zahl der Zertifikate nicht mit der tatsächlich ausgestoßenen CO2-Menge überein, wird eine Strafe von 100 Euro pro fehlendem EUA fällig.“

Emissionsminderungen 2005-2018
Quelle: https://www.bmwi-energiewende.de/EWD/Redaktion/Newsletter/2020/08/Meldung/direkt-erfasst_infografik.html

Als Beleg für den Erfolg soll eine Grafik dienen, in der die Ent­wick­lun­gen der CO2-Emis­sionen 2005 bis 2018 der Wirt­schafts­berei­che mit und ohne Emis­sions­handel miteinander verglichen wurden.
Und siehe da: Die Verteue­rung der CO2-Emis­sionen hat zur stär­keren Reduk­tion geführt als in den Wirt­schafts­berei­chen ohne. Wie verblüffend: Regu­lie­rung kann Wir­kung zeigen.3 Doch das Abfeiern des Emis­sions­handels (ETS) durch das Wirt­schafts­minis­terium ist ein billiger Taschen­spieler­trick, mit dem die Taten­losig­keit auf den anderen Gebieten verdeckt wird, aber vor allem, dass der Preis für die CO2-Zertifikate nach wie vor viel zu gering ist.

Das geht aus einer Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hervor, die zum Zeitpunkt der BMWi-Veröffentlichung4 gerade einen Tag alt war:

UN-Klimaziele sind ökonomisch sinnvoll: Ambitionierter Klimaschutz zahlt sich aus

Die Forscher stellten sich die Frage, die das Handeln eines Wirtschaftsministeriums bestimmen sollte:

Klimaschutz ist nicht billig – aber Klimaschäden sind es auch nicht.
Wie viel Klimaschutz ist also wirtschaftlich gesehen am sinnvollsten?

Als der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) im Auftrag der UNO seinen so genannten 1,5-Grad-Bericht veröffentlichte, erhielt William Nordhaus den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften „für die Integration des Klimawandels in die langfristige makroökonomische Analyse“. Konkret gelang ihm das mittels einer Computersimulation, seinem sehr einflussreichen Dynamic Integrated Climate-Economy (DICE)-Modell. Im Pariser Abkommen der UNO wurde vereinbart, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen, um Klimarisiken einzudämmen. Nordhaus‘ Zahlen deuten auf 3,5 Grad als eine gleichsam wirtschaftlich optimale Erwärmung bis zum Jahr 2100 hin. Jetzt wurde in der wissenschaftlichen Zeitschrift Nature Climate Change eine Studie mit einer Aktualisierung des DICE-Modells veröffentlicht.5 Sie kann helfen, die Perspektiven in Einklang zu bringen.

„Im Wesentlichen haben wir das Nordhaus-Modell aufgeschnürt, gründlich überprüft und einige wichtige Aktualisierungen vorgenommen, die auf den neuesten Erkenntnissen der Klimawissenschaft und Wirtschaftsanalyse basieren“,

erklärt Martin Hänsel, Hauptautor der Studie und Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

„Wir haben festgestellt, dass die Ergebnisse der aktualisierten Version tatsächlich in guter Übereinstimmung mit der Pariser 2°C-Grenze für die globale Erwärmung stehen.“

Die Aktualisierungen umfassen ein akkurateres Kohlenstoffkreislaufmodell, eine neue Gewichtung des Temperaturmodells, eine angepasste Schadensfunktion, und neue Erkenntnisse über die normativen Annahmen des Modells. Diese zeigen sich konkret bei der Frage, wie eine gerechte Verteilung von Wohlstand zwischen heutigen und zukünftigen Generationen gestaltet werden sollte, die den Klimawandel berücksichtigt – ausgedrückt in der so genannten sozialen Diskont-Rate. Deren Aktualisierung basiert nun auf einer breiten Palette von Expertenempfehlungen zur Generationengerechtigkeit. Ergänzt wird dies durch angepasste Annahmen in Bezug auf die Emissionen von anderen Treibhausgasen zusätzlich zum CO2, Technologien zu negativen Emissionen (also dem Herausholen von CO2 aus der Atmosphäre), und wie zügig eine Abkehr von einer kohlenstoffbasierten Wirtschaft erreicht werden kann.

Wie schlimm wird es? Die Schadensfunktion

Die Schadensfunktion beurteilt, wie stark sich künftige Klimaveränderungen auf die Weltwirtschaft auswirken werden. Ko-Autor Thomas Sterner, Professor an der Universität Göteborg, erklärt:

„Die standardmäßige Schadensfunktion im DICE-Modell hat eine Reihe von methodischen Mängeln. Unsere Analyse baut auf einer kürzlich durchgeführten Meta-Analyse auf, in der wir diese Mängel beheben. Infolgedessen finden wir höhere Schäden als im Standard-DICE-Modell. Allein nach dem, was wir in den letzten zehn Jahren gesehen haben, ist die Annahme hoher klimabedingter wirtschaftlicher Schäden leider realistisch.“

Wie viel zählt es? Die soziale Diskontrate

Darüber hinaus schaut die Studie auch auf das, was manchmal als die normative „Black Box“ wahrgenommen wird: Wie oft in der Wirtschaftswissenschaft enthält das, was wie eine nüchterne mathematische Funktion aussieht, eine Reihe normativer Annahmen. Die so genannte „soziale Diskont-Rate“ ist ein solcher Fall. Sie gibt an, wie wir das zukünftige Wohlergehen unserer Kinder und Enkelkinder bewerten – eine grundlegend moralische Frage.

„Die Klimaauswirkungen unserer Emissionen reichen weit in zukünftige Generationen hinein. Um diese langfristigen Folgen angemessen bewerten zu können, müssen wir unterschiedliche Ansichten darüber berücksichtigen, wie wir einen Ausgleich zwischen den Interessen heutiger und zukünftiger Generationen schaffen können“,

erklärt Moritz Drupp, Ko-Autor und Professor am Exzellenzcluster Klima, Klimawandel und Gesellschaft (CLICCS) der Universität Hamburg. Erstmals enthält die Studie eine repräsentative Auswahl von Empfehlungen von mehr als 170 Expertinnen und Experten zu den normativen Annahmen der sozialen Diskontrate.

„Unser aktualisiertes Modell zeigt, dass das 2-Grad-Ziel nach den von der Mehrheit der Experten vorgeschlagenen sozialen Diskont-Raten ökonomisch optimal ist.“

Der richtige Preis für CO2

Die Änderungen am Modell, insbesondere die Neubewertung der sozialen Diskontrate zugunsten des Wohlergehens künftiger Generationen, haben weitere Auswirkungen: Sie führen zu einem höheren Preis für CO2. Während das Standard DICE-Modell von Nordhaus knapp 40 US-Dollar pro Tonne CO2 im Jahr 2020 ergibt, errechnet das aktualisierte DICE-Modell einen CO2-Preis von über 100 Dollar. Die CO2-Preise, die sich aus der Mehrheit der Expertenmeinungen zur sozialen Diskontierung ergeben, sind mit wenigen Ausnahmen höher als das, was in den meisten Sektoren selbst in den ehrgeizigsten Regionen der Welt umgesetzt wird.

„Das ist ein weiterer Beleg dafür, welch ein entscheidendes politisches Instrument eine intelligente CO2-Preisgestaltung ist“,

so die Schlussfolgerung von Ko-Autor Ben Groom, Professor an der Universität Exeter und Mitglied des Grantham Research Institute on Climate Change an der London School of Economics.

„Unsere Studie bedeutet damit auch, dass eine ehrgeizigere Klimapolitik nötig ist, um zu vermeiden, dass wir unseren Kindern eine ungerechtfertigt hohe Last der Klimaauswirkungen hinterlassen.“

Wirtschaftskompetenz vs. Eigenlob

Bund und Länder einigten sich im Vermittlungsausschuss darauf, den CO2-Preis ab Januar 2021 auf zunächst 25 Euro pro Tonne festzulegen. Danach steigt der Preis schrittweise bis zu 55 Euro im Jahr 2025 an. Für das Jahr 2026 soll ein Preiskorridor von mindestens 55 und höchstens 65 Euro gelten.6

Der Plan ist also:

  • ein Zertifikatspreis, der mit 25€ statt 100$ (~87€) weniger als 30% des wirtschaftlich optimalen beträgt – und das erst ab 20217
  • Strafen, die mit 100€ nur 14% über dem wirtschaftlich optimalen Niveau liegen. Das ist weniger, als der Mehrwertsteuersatz.
    („Wirtschaftlich optimal“ ist nicht das ökologisch erforderliche Niveau!)

Damit wird die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft8 aufs Spiel gesetzt. Zu diesem Vorhaben hat es nicht an Warnungen und Kritik gemangelt.9 Doch diese argumentierten zum großen Teil aus ökologischer Sicht.

Es zeigt sich, dass das Wirtschaftsministerium nicht einmal wirtschaftlich optimal handelt.

Wolfgang Borchardt
20.7.2020


  1. https://web.archive.org/web/20230206191030/https://www.bmwi-energiewende.de/EWD/Redaktion/Newsletter/2020/08/Meldung/direkt-erfasst_infografik.html 

  2. https://www.bmwi-energiewende.de/EWD/Redaktion/Newsletter/2020/08/Meldung/direkt-erklaert.html 

  3. Die Emissionsbereiche Strom, Industrie und EU-interner Flugverkehr werden von der EU-ETS-Obergrenze (cap) reguliert.“  

  4. 14.7.2020 

  5. Artikel: Martin C. Hänsel, Moritz A. Drupp, Daniel J.A. Johansson, Frikk Nesje, Christian Azar, Mark C. Freeman, Ben Groom, Thomas Sterner: „Climate economics support for the UN Climate targets“. Nature Climate Change (2020). DOI: [10.1038/s41558-020-0833-x]
    Weblink zum Artikel: https://www.nature.com/articles/s41558-020-0833-x 

  6. Pressemitteilung der Bundesregierung; https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/nationaler-emissionshandel-1684508 

  7. Aktuell beträgt der Börsenpreis 25,15€. 

  8. in der PIK-Studie ausgedrückt in der sozialen Diskont-Rate 

  9. siehe diverse Beiträge hier: https://www.oekologische-plattform.de/?s=emissionshandel