Ein Klasse-Apparat

Antrag an den Bundesparteitag

Antragsteller: ÖPF

Der Bundesparteitag möge beschließen:

Der kommende Bundesvorstand hat Daten über die Parteistruktur zu erheben:

  • Über die Parteivorstände auf Europaebene, Bundesebene, Landesebene, Kommunalebene
    • Für die Vorsitzenden und Stellvertreter*innen dieser Gremien
    • Für die Schatzmeister*innen
  • Über die Mitglieder / Delegierten der Bundesparteitage / Landesparteitage
  • Über die Mitglieder des Bundesausschusses und der Landesausschüsse
  • Über die Kommissionen in Bund und Land<.

Bei der Datenerhebung sind die folgenden Daten der Mitglieder der oben genannten Strukturen zu erheben:

  • Zahl der Mandatsträger*innen mit Angabe der Ebene (Europa, Bund, Land, Kommune)
  • Zahl der Angestellten der Mandatsträger*innen bzw. Fraktionen mit Angabe der Ebene (Europa, Bund, Land, Kommune)
  • Zahl der Angestellten der Partei (inklusive EL) mit Angabe der Ebene
  • Zahl der Angestellten der Rosa-Luxemburg-Stiftung
  • Zahl der Angestellten in Firmen in Parteibesitz.

Bei allen erhobenen Daten ist aufzuschlüsseln, ob es sich um Vollzeit- / Teilzeitstellen handelt. Bei Anstellungsverhältnissen ist die Stundenzahl zu ermitteln (Zahl der Vollzeitstellen / Zahl der Teilzeitstellen mit der durchschnittlichen Arbeitszeit).

Auf allen erhobenen Ebenen der Partei ist die Anzahl wie prozentuale Zusammensetzung zu ermitteln.

Der kommende Vorstand legt diese Zahlen erstmals ein halbes Jahr nach seiner Wahl vor. Ein jährlicher Stichtag ist vom Parteivorstand festzulegen. Die Ergebnisse werden auf jedem Parteitag, auf dem die Vorstände neu gewählt werden, dem Parteitag mit der Einladung vorgelegt. Die Daten stehen auch den Ländern zur Verfügung.

Begründung

Wer im Sozialbereich unserer Partei tätig ist, bekommt zunehmend das Gefühl, unsere Partei werde mehr und mehr aus dem Funktionsbereich der Partei gesteuert. Das schadet uns in vielerlei Hinsicht. Kolja Möller und Jörg Schindler wiesen schon 2014 in ihrem Artikel Funktions- und Sozialbereich – Linke Parteien zwischen Verstaatlichung und Autonomie1 auf wesentliche Probleme eines abgekoppelten Funktionärsbereichs hin:

Bestimmte Entscheidungen im Funktionsbereich, die in hehrer Absicht oder aus verstaatlichter Logik heraus vollkommen vernünftig erscheinen, führen zum Einsturz des linken Sozialbereichs. Sie können auch nicht von linken Staatssekretären aus der Regierungsbank heraus den Vertretenen nachträglich erklärt werden. (…) Eine demokratische Mitgliederpartei muss versuchen solche Bewusstseinsformen zurückzudrängen. Manche unprofessionelle Form der Sozialbereichspolitik ist tausendfach emanzipierter als die durch die Agentur gelayoutete Broschüre, (…), auf denen Berufspolitiker von vorne ewig über die Welt dozieren.“

Bernd Riexinger hat in seinem Beitrag zur Strategiekonferenz das begrüßenswerte Ziel ausgegeben, wieder eine Partei der 100.000 Mitglieder zu werden.2 Er sieht eine einladende Parteikultur, Kampagnen, Stadtteilarbeit und der Erweiterung der Bildungsarbeit als zentralen Kern des Parteiaufbaus. Hierzu müssen wir attraktiv für die eigene Basis werden – die Offenlegung des Klassencharakters in unseren Reihen kann hier helfen.

In unserem Programm heißt es: „Wir sind und werden nicht wie jene Parteien, die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind. (…) Wir kämpfen für einen Richtungswechsel der Politik, der den Weg zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft öffnet, die den Kapitalismus überwindet.“ Um dies zu gewährleisten, muss die LINKE aber in der Lage sein, ein strukturelles Eigenleben als Partei zu führen und sich von der parlamentarischen Ebene, die besonderen, gesellschaftlichen Einflüssen ausgesetzt ist, zu emanzipieren. Diese parlamentarische Ebene ist nicht allein ein Ort, um die eigene Programmatik durchzusetzen, sie ist auch ein bewusst geschaffener systemintegrierender Faktor, der die Stabilisierung der Zustände, die wir als Partei mit demokratischen Mitteln überwinden wollen, zum Ziel hat. Die Integration des Führungspersonals in ein finanziell lukratives System, von dem die Partei selbst schnell abhängig wird, gerät in Widerspruch mit den programmatischen Zielen. Die Millionenbeträge, die in Fraktionen und Stiftung fließen, bringen einen unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen, Informationen und zur Macht mit sich. Bei den im Politikbetrieb Beschäftigten wächst die objektive, ökonomische Notwendigkeit, dieses System möglichst ohne Stimmenverluste am Laufen zu halten. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Diese bürokratisierte Sozialschicht (nach Wolfgang Abendroth – nicht mit dem Sozialbereich oben zu verwechseln) ist dringend auf das Wohlwollen einer medialen Öffentlichkeit angewiesen und wirkt strukturell konservativ – nicht nur im parlamentarischen Sektor, sondern auch innerhalb der Partei. Die Bequemlichkeitsfehler, die bereits die SPD und die Grünen gemacht haben, müssen wir vermeiden, da die LINKE sonst ihre Existenzberechtigung verliert.

Die Kritik an diesen herrschenden politischen Strukturen, ob durch bürgerliche Philosophen wie Hans Herbert von Arnim als auch von Marxisten wie Wolfgang Abendroth oder Johannes Agnoli ist ernst zu nehmen. Die Partei sollte sich bewusst machen, welche strukturellen Folgen die Finanzierung durch die staatlichen Mittel mit sich bringt.

Es wird nicht gelingen, eine große Zahl an Genoss*innen dauerhaft und ehrenamtlich an die LINKE zu binden, wenn an der Basis der Eindruck besteht, sie führe die Kärrnerarbeit (Zettel verteilen, Stände betreuen, Haustürgespräche führen) nicht für eine Partei, sondern für eine elitäre, schwer erreichbare, Profiebene durch, die materiell oft auch besser steht und einflussreicher ist. Das Abwenden von den Genoss*innen an der Basis erfolgt meist still.

Die Visualisierung der Zusammensetzung der Entscheidungsebenen in der Partei wäre ein wichtiger Beitrag zur Transparenz und um Strategien zu debattieren, aus einer Parlamentsfixierung im Parteileben heraus zu kommen. Sie hilft in Zeiten der Wahlen den Fokus auf Kandidat*innen zu richten, deren berufliche Erfahrung außerhalb des staatsfinanzierten Politikbetriebs liegt. Die Zahlen wären Basis dafür Methoden zu entwickeln, den Wandel zur 100.000 Mitgliederpartei zu forcieren. Sie könnten natürlich auch, Mitgliedern, die von der Dominanz des Funktionsbereichs ausgehen, ihren Irrtum belegen.

Es geht bei dem Antrag nicht um ein Schwarz-Weiß bezüglich Parlamentarismus/ Berufspolitikertum/ Regierungsbeteiligung, sondern um ein Instrument, strukturelle Probleme sichtbar zu machen und zu lösen. Viele Mandatsträger*innen, Mitarbeiter*innen, Parlamentarier*innen haben große Ziele und sind oft mit sehr großem Engagement und Einsatz bei ihrer Sache. Was die Funktionsebene oft nicht sieht und nicht immer zu verstehen scheint ist, dass die im Sozialbereich geleistete Arbeit, auch für Wahlerfolge notwendig ist. Diese wird nicht bedingungslos gegeben. Wie Möller und Schindler 2014 richtigerweise bereits schrieben: „Sozial- und Funktionsbereich brauchen sich gegenseitig.“ Das soll gefördert werden.

Die Antragsteller unterstützen den Parteivorstand gerne bei der Erstellung der notwendigen Abfragen. Intention ist ein Datenbestand, der datenschutzkonform ist.


  1. Prager Frühling Februar 2014, S. 46 

  2. Partei eines sozialen und ökologischen Systemwandels… in Beiträge zur Strategiekonferenz 29.2.-01-03-2020, Kassel, S. 439 – inzwischen wieder auf der Seite https://strategiedebatte.die-linke.de/start/ 

4 Gedanken zu „Ein Klasse-Apparat“

  1. Schon eine Debatte darüber lohnt. Denn wenn ich mir ansehe welche politischen Positionen die SPD in ihren langen Geschichte immer wieder geräumt hat, ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen keinen „Markenkern“ mehr erkennen. Von der Bewilligung der Kriegskredite 1914 bis zu Hartz4 hat sich die SPD selbst demontiert und für viele Menschen überflüssig gemacht. Von ursprünglichen Grünen Zielen und programmatischen Unterschieden zur CDU ist fast nichts übriggeblieben. Bemerkenswerter auch hier, der erste schwere „Sündenfall“ die Aufgabe von friedenspolitisch zentraler Position durch Fischer im Kosovo Balkankrieg. Jedes Liebäugeln mit sogenannter „Realpolitik“ auf internationaler Ebene wäre auch für die Linke gleichbedeutend mit Aufgabe der Existenzberechtigung.

  2. Das ist ja das Mindeste: Trennung von Amt und Mandat und kein/e Angestellte/r eines Mandatsträgers vom Landtag aufwärts in irgendwelchen Vorständen!

  3. Liebe Genossinen, Genossen

    das Problem der Profipolitker ist häufig Abgehobenheit
    Sie haben mit der Basis nichts zu tuen. Manche meiner Emails an Solche landeten in Spam oder wurde en nicht beantwortet.
    Bemerkenswert ist, dass nicht selten die Profis wurden, direkt von der „Schulbank“ / Uni ins Parlament gingen. Ich denke solche Personen können sich nicht vorstellen , was es heißt Arbeiter oder Angestellter zu sein. Sie haben nur von Problemen oder Auseinandersetzungen gelesen in der Arbeitswelt gelesen aber nie selbst erlebt. Deswegen soll die parlamentarische
    Besetzung auf allen ! Ebenen mindestens 1 zu 1 sein
    D.h. 1 aus dem akademischen 1 aus dem Angestellten/Arbeiter Bereich
    “ Wo ist denn “ unser Georg Leber“ im Bundestag ? Für Verbesserungen des Geschriebenen und für das Einbringen in den Antrag würde ich mich freuen
    Gruß
    Wolfram Richter

  4. Dieser Antrag ist eine sehr gute Idee! Wenn ich mich richtig erinnere, dürfen beim BUND keine Hauptamtlichen für Verbandsämter kandidieren.

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