Spaltung der Gesellschaft fördert Zerstörung der menschlichen Zivilisation

Am 20. März 2014 hat das National Socio-Environmental Synthesis Center (SESYNC) auf seiner Internetseite eine Studie veröffentlicht mit dem Titel Human and Nature Dynamics (HANDY): Modeling Inequality and Use of Resources in the Collapse or Sustainability of Societies„. Forscher vom SESYNC, der Universität Maryland und der Universität Minnesota haben daran gearbeitet. Auch die NASA hat die Studie mitfinanziert. Sie wird in der Zeitschrift Ecological Economics veröffentlicht.

Die Forscher verwendeten ein vergleichsweise einfaches Rechenmodell, das auf der bereits seit etwa 90 Jahren bekannten Räuber-Beute-Beziehung („Lotka-Volterra-Gleichungen“) beruht. Bei geeigneten Anfangsbedingungen ergeben sich Schwankungen der Räuber- und der Beute-Populationen (Näheres siehe Wikipedia: „Räuber-Beute-Beziehung„). Wird jedoch die Räuber-Population zu groß, dann wird die gesamte Beute gefressen und beide Populationen brechen zusammen.

In der Studie sind die „Räuber“ die Menschen und die „Beute“ die natürlichen Ressourcen. Das benutzte Modell berücksichtigt jedoch zusätzlich zu dem klassischen den in der Geschichte angesammelten Reichtum, der zu einer verzögerten Reaktion der Population „Mensch“ führt (bzw. führen kann). Da jedoch die Verfügung über den Reichtum zwischen „Eliten“ und „Gemeinen“ ungleich verteilt ist, gibt es eine weitere Beziehung, bei der der akkumulierte Reichtum (der „Eliten“) die Basis für das längere Überleben (=“Beute“) der „Gemeinen“ ist, wenn die Ressourcen zu Ende gehen.

Mit den sich ergebenden vier Differentialgleichungen wurden verschiedene Szenarien mit folgenden Ergebnissen simuliert:

  • Szenarium1
    In einer nicht-egalitären Gesellschaft („Eliten“ und „Gemeine“) kann ein Kollaps der Zivilisation nur abgewendet werden durch drastische Reduktion der sozialen Spaltung bei gleichzeitiger Begrenzung des Bevölkerungswachstums unterhalb eines kritischen Wertes.
  • Szenarium2
    Auch eine egalitäre Gesellschaft (ohne Spaltung in Arm und Reich) kann durch Ressourcenübernutzung kollabieren.
  • Szenarium3
    Eine „faire“ Gesellschaft mit Arbeitern und Nicht-Arbeitern (Studenten, Pensionäre, Behinderte, Intellektuelle, Manager und andere Nicht-Produktive) kann einen Gleichgewichtszustand ohne Kollaps erreichen.
    Wird die Ressourcennutzung höher, können Schwankungen der Population der Arbeiter und Nicht-Arbeiter mit kurzzeitiger Ressourcenübernutzung auftreten, aber das System kann noch – bei geringerem Wohlstand und geringerer Bevölkerungszahl – stabilisiert werden (bzw. sich stabilisieren).
    Bei noch stärkerer Ressourcen(über-)nutzung treten größere und längere Zusammenbrüche auf, aus denen sich die Naturressourcen eventuell wieder erholen.

Hierbei ist zu beachten:

  1. Es handelt sich nicht um eine politisch oder moralisch motivierte Untersuchung, sondern um eine nüchterne wissenschaftliche Arbeit. Über die Art und Weise, wie sich die Population den verfügbaren Ressourcen anpasst oder angepasst wird, wird keinerlei Aussage getroffen. (Beispielsweise werden auch Hungersnöte mit Millionen Toten mit dem Modell erfasst.) Wenn von „Begrenzung des Bevölkerungswachstums“ die Rede ist, impliziert das irgendeine Form bewusster Steuerung (damit nicht die gesamte menschliche Zivilisation untergeht).
  2. Die Industrieländer verbrauchen bereits jetzt weit mehr, als weltweit nachwachsen kann. Da also die verfügbaren Ressourcen global übernutzt werden, gelten auch die Studienergebnisse global.
    Es ist zwar absolut notwendig, reicht aber nicht, die Schere zwischen Arm und Reich z.B. in Deutschland zu schließen – wir alle in Deutschland sind Teil dieser „Elite“ (im Weltmaßstab). Fatal ist, dass der vorhandene Reichtum dazu führt, dass diese „Elite“ die Umweltkatastrophen wesentlich schwächer und später verspürt, als z.B. die Menschen in Bangladesh, Afrika, … (s.o. „verzögerte Reaktion“).

Das ist auch der Grund, weshalb die soziale Spaltung weltweit drastisch reduziert werden muss, damit überhaupt noch eine Handlungsoption besteht (Szenarium1). Ich sehe keine politische Partei, die diese Thematik in der gebotenen Deutlichkeit thematisiert. Die Hoffnung darauf ist gering; die Ergebnisse der bisherigen Klimaverhandlungen bestätigen das (siehe „Klimakassandras“ in Tarantel 62, S. 15).

Dass „Eliten“ ihr Vermögen und ihre Bedürfnisse freiwillig auf ein global tragbares Niveau reduzieren, ist nicht zu erwarten; diejenigen Staaten, die die Mittel hätten, um gegenzusteuern, verspüren selbst keinen Handlungsdruck; Politiker denken in Wahlperioden und Wahlkreisen und die Betroffenen des Globalen Südens haben keine Stimme bei der Wahl der „Eliten“-Politiker.

Damit ist nicht nur die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu hinterfragen, sondern auch die gegenwärtige Form der Verfassung der Gesellschaft. Ob aber die Überschrift der Berliner Zeitung „Studie der Nasa: Zivilisation ist dem Untergang geweiht“1 gerechtfertigt ist oder eher zur Resignation beiträgt und die Ursache verschleiert, ist eine andere Frage.

Wolfgang Borchardt
24.3.2014


  1. https://www.berliner-zeitung.de/wissen/studie-der-nasa-zivilisation-ist-dem-untergang-geweiht-3062084